Verstädterung
MODERNE GEBÄUDE UNTERBINDEN KONTAKT ZU „GUTEN“ MIKROBEN
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Professor Thomas Bosch von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel führt ein Team an, das sich mit den Auswirkungen von Städte- und Gebäudeplanungen auf das menschliche Mikrobiom beschäftigt. Denn in den letzten 20 Jahren hat sich in der Wissenschaft die Erkenntnis durchgesetzt, dass alle Lebewesen – und zwar von den einfachsten Organismen bis hin zum Menschen – in enger Verbindung mit einem ganzen Zoo von Mikroorganismen leben.
Um diese Mikroorganismen zu schützen und zu fördern, schlägt Boschs Team nun vor, Städte Mikrobiom-freundlich zu planen. Warum ist das nötig, und was heißt das überhaupt?
Industrialisierung bedroht Vielfalt des Mikrobioms
Das sogenannte Mikrobiom besteht aus Bakterien, Viren und Pilzen, die sich auf und in Geweben ansiedeln und die eine vor allem vorteilhafte Lebensgemeinschaft in Form eines Metaorganismus darstellen. Viele Lebensprozesse einschließlich der Gesundheit und Krankheit des Gesamtorganismus sind nur durch die Zusammenarbeit zwischen Wirtsorganismus und Mikroorganismen möglich. Etwa die Nährstoffaufnahme, Immunfunktion oder neuronale Prozesse.
Der Lebensstil in den industriell geprägten Gesellschaften führte in den vergangenen Jahrzehnten jedoch dazu, dass die Vielfalt des menschlichen Mikrobioms sukzessive verarmte. Dies führte zu den sogenannten Umwelterkrankungen – zum Beispiel entzündlichen Darmerkrankungen, Typ-2-Diabetes oder neurodegenerative Krankheiten wie Parkinson oder Alzheimer.
Stadtplaner sollen umdenken
Die oben erwähnte Gruppe von Wissenschaftlern schlägt nicht weniger als einen Paradigmenwechsel in der Stadt- und Gebäudeplanung vor. Sie vertritt die Hypothese, dass moderne Gebäude einen bedeutenden Einfluss auf die menschliche Mikrobenbesiedlung ausüben. Wie groß der Einfluss ist, ist an die Beschaffenheit der Gebäude und den Grad der Abschirmung gegenüber der Umwelt gebunden. Das soll die Architektur künftig im Sinne von gesunden und Mikrobiom-freundlichen baulichen Bedingungen berücksichtigen.
„Gebäude unterbrechen den Kontakt mit Mikroorganismen aus der Umwelt.“
Dabei ist das menschliche Streben nach Unterkunft und Schutz vor den Elementen so alt wie die Menschheit selbst. Seit tausenden von Jahren erschaffen Menschen überall auf der Welt verschiedenste Behausungen. Sie entwickelten diese weiter bis hin zur Architektur der Gegenwart.
In naher Zukunft werden mehr als zwei Drittel der Weltbevölkerung in Städten leben. Dieser urbane Lebensstil hat (unter anderem) immerhin dafür gesorgt, dass sich die Lebenserwartung und die Lebensqualität für die meisten Menschen deutlich verbessert hat.
„Gebäude als solche und der Siegeszug des urbanen Lebens haben jedoch auch negative Auswirkungen hervorgebracht, indem sie den Menschen mehr oder weniger stark vom Kontakt mit seiner mikrobiellen Umwelt abschirmen“, sagt Professor Bosch. Das Ausmaß der vermutlich ungünstigen Folgen für das menschliche Mikrobiom sei bisher kaum abzuschätzen.
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Die Natur wird ausgesperrt
Nach Ansicht der Forschenden unterbindet unser heutiges Leben zunehmend den Kontakt mit Mikroben der natürlichen Umwelt. Gebäude, so die Wissenschaftler, seien selbst komplexe organische Systeme im Sinne zahlloser, voneinander abhängiger mikrobieller Gemeinschaften, die sich auf den menschlichen Metaorganismus auswirken.
Zusammengenommen hat dies negative Folgen: Etwa indem in Gebäuden neue Nischen für Krankheitswirte und -überträger geschaffen werden. Abfälle und toxische Stoffe können sich konzentrieren, der Einfall von Sonnenlicht kann sich verringern. So entstehen in der bebauten Umwelt für den Menschen schädliche Mikroben mit gleichzeitiger Verringerung der nützlichen.
Stätische Bebauung fördert schädliche Mikroben und hält die nützlichen fern.
Mikrobiom-freundliche Architektur
Wie kann man also Gebäude für eine bessere Gesundheit so entwerfen, dass ein komplexes und vielseitiges Mikrobiom überleben kann? Unsere urbane Lebensweise ignoriert, dass der Körper sich im Laufe der Jahrtausende mit seiner Umwelt und seinen Mikroben bestens arrangiert hat. „Nur wenn wir diese multi-organismische Komplexität annehmen, werden wir zu einem tiefen Verständnis von Gesundheit und damit zu einem Verstehen der Umwelterkrankungen kommen“, verdeutlicht Bosch.
„Wir bieten hier innovative wissenschaftliche Perspektiven für die Entwicklung einer mikrobiomfreundlichen Architektur.“
Voraussetzung sei ein Umdenken: Nicht als Barriere zur Abkehr von Umwelteinflüssen solle man Gebäude künftig verstehen. Sondern im Gegenteil: Man solle sie der Natur gegenüber wieder öffnen. Dies kann beispielsweise durch die Verwendung von weniger toxischen Baumaterialien und die Schaffung einer insgesamt größeren baulichen Durchlässigkeit gegenüber äußeren Einflüssen geschehen.
„Mit dieser Sichtweise erweitern wir unseren Blick auf das menschliche Mikrobiom grundlegend und stellen einen direkten Bezug zur bebauten Umwelt und modernen Städteplanung her. Daraus ergeben sich faszinierende Ansätze, die sich mit einer Mikrobiom-freundlichen Architektur und Bauweise beschäftigen und sich in Zukunft möglicherweise in einer deutlich verbesserten bebauten Umwelt niederschlagen werden, die der Gesundheit des Menschen förderlich sein wird“, fasst Thomas Bosch zusammen.
Quelle: Informationsdienst Wissenschaft