Tonsillen
MANDELENTZÜNDUNG – WANN EINE OPERATION SINNVOLL IST
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Unsere Mandeln, fachsprachlich Tonsillen genannt, sind Teil des körpereigenen Immunsystem. Die bekanntesten Vertreter ihrer Art sind die Gaumenmandeln (Tonsilla palatina), die paarig vorliegen. Lokalisiert sind die Gaumenmandeln beidseits in der Nische zwischen vorderem und hinterem Gaumenbogen, in der sogenannten Mandelbucht. Sie bestehen aus bis zu zwei Zentimeter dickem lymphatischem Gewebe, das von einem mehrschichtigen Plattenepithel überzogen ist.
An der Oberfläche befinden sich spaltförmige Einsenkungen, sogenannte Krypten. Sie verleihen den Mandeln ihr charakteristisches stark zerklüftetes Aussehen. Wird der Mund weit geöffnet, werden die Gaumenmandeln sichtbar. Gemeinsam mit ihren Verwandten – zu denen die Rachenmandel (Tonsilla pharyngealis), die Zungenmandel (Tonsilla lingualis) sowie die ebenfalls paarig angelegten Tubenmandeln (Tonsilla tubaria) gehören – bilden die Gaumenmandeln den lymphatischen Rachenring, der auch als Waldeyer-Rachenring (benannt nach dem deutschen Anatom Wilhelm von Waldeyer-Hartz) bekannt ist.
Der lymphatische Rachenring dient vor allem der Abwehr von Krankheitserregern wie Bakterien und Viren, die über die Mund- und die Nasenhöhle in den Körper eindringen. Somit fungieren die Tonsillen als erste wichtige Abwehrbarriere der oberen Atemwege. Die Gaumenmandeln haben eine Schlüsselposition: In ihren Krypten sammeln sich bakteriell besiedelte Speisereste an, mit denen sich die weißen Blutkörperchen in den Mandeln auseinandersetzen.
Regelmäßig werden die Krypten entleert, damit sich neue Bakterien ansiedeln können. So kommen die weißen Blutkörperchen immer wieder mit neuen Erregern in Kontakt – und das Immunsystem lernt dazu. In den ersten Lebensjahren haben die Tonsillen die größte Bedeutung für das Immunsystem, etwa ab dem achten Lebensjahr verliert der lymphatische Rachenring dann an Stellenwert.
Wann werden die Mandeln entfernt?
Vor allem bei jüngeren Kindern sind die Gaumenmandeln mitunter arg vergrößert, manchmal so stark, dass sie sich in der Mitte berühren. Auch die Rachenmandel kann deutlich an Größe zulegen, oft geschieht das zwischen dem zweiten und sechsten Lebensjahr. Bei einer Rachenmandelwucherung spricht der Volksmund häufig von „Polypen“, was medizinisch allerdings nicht korrekt ist. Schließlich handelt es sich bei „echten“ Polypen um gutartige Wucherungen der Nasenschleimhaut.
Fachsprachlich wird die Rachenmandelvergrößerung als adenoide Vegetation oder adenoide Hyperplasie bezeichnet. Vergrößere Tonsillen können die Atemwege verengen, die Atmung beeinträchtigen und den jungen Patienten allerlei Kummer bereiten. Mögliche Folgen sind Schnarchen und Atemaussetzer in der Nacht, die die Schlafqualität beeinträchtigen, aber auch häufigere Atemwegsinfekte oder Mittelohrentzündungen.
Die Fachwelt ist heute hinsichtlich einer Operation insgesamt zurückhaltender, da die Bedeutung der Mandeln für das Immunsystem mittlerweile höher eingestuft wird. Ob und wann stark vergrößerte Tonsillen entfernt werden sollten, hängt und Art und Ausmaß der Beschwerden ab und bedarf einer gründlichen Abwägung der mit dem Eingriff verbundenen Chancen und Risiken.
Früher wurde bei vergrößerten Tonsillen oft zu einer Operation geraten.
Wiederkehrende, schmerzhafte Entzündungen der Gaumenmandeln sind ein klassischer Anlass, die paarigen lymphatischen Organe zu entfernen. Vor allem, wenn die Entzündungen schwer und komplikationsreich verlaufen und Arzneimittel wie Analgetika und Antibiotika nicht ausreichend helfen, raten HNO-Ärzte oft zu einem operativen Eingriff. Eine chronische Mandelentzündung (Tonsillitis), kann die Entfernung der Gaumenmandeln sowohl im Kindes- als auch im Erwachsenenalter notwendig machen.
Medizinisch indiziert sein kann der Eingriff zudem bei einem Mandelabszess oder einer Tumorerkrankung. Die vollständige Entfernung heißt Tonsillektomie. Bei diesem Eingriff unter Vollnarkose werden die beiden Gaumenmandeln mit chirurgischen Instrumenten aus ihrem Bett geschält. Daneben besteht die Möglichkeit der Teilentfernung, einer sogenannten Tonsillotomie.
Dieser Eingriff, bei dem die Abwehrfunktion der Organe erhalten bleibt, wird häufig bei jüngeren Kindern durchgeführt, deren Gaumenmandeln vergrößert sind. Ein Eingriff, der ambulant erfolgen kann, ist die Entfernung der Rachenmandel (Adenotomie). Mitunter werden Gaumenmandeln und Rachenmandel auch gleichzeitig entfernt.
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In den ersten Tagen nach einer Mandelentfernung klagen Patienten typischerweise über mitunter heftige postoperative Schmerzen und Schluckbeschwerden – Kinder stecken eine Tonsillektomie meist „besser weg“ als Erwachsene. Zudem besteht bis etwa zum zehnten Tag nach dem Eingriff ein erhöhtes Risiko für Nachblutungen; gelegentlich kommt es sogar noch Wochen später dazu.
Inwiefern eine Tonsillektomie im Kindesalter das Immunsystem langfristig schwächt, ist wissenschaftlich bislang nicht abschließend geklärt. Eine große Bevölkerungsstudie aus Dänemark hat vor einigen Jahren jedoch gezeigt, dass Kinder, denen Gaumenmandeln und/oder Rachenmandel vor dem zehnten Lebensjahr entfernt wurden, im späteren Leben häufiger unter Atemwegskrankheiten, Infektionen und Allergien leiden als Menschen mit Mandeln.
Übrigens …
Seit Jahren nimmt die Zahl der Mandelentfernungen hierzulande ab. Während der Corona-Pandemie hat sich dieser Trend weiter verstärkt, ohne dass Notfalleingriffe zunahmen, hat eine Analyse des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) gezeigt. Während zwischen Januar 2019 und 15. März 2020 durchschnittlich etwa 556 Mandelentfernungen pro Woche durchgeführt wurden, sank die Zahl während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 auf knapp 111 Eingriffe pro Woche. Auch nach der Lockerung der Corona-Beschränkungen im Sommer 2020 wurde das Niveau der Operationshäufigkeit vor Pandemiebeginn nicht mehr erreicht. Hier pendelten sich die operativen Entfernungen der Gaumenmandeln auf 326 Fälle in der Woche ein.