Botenstoffe werden freigesetzt.© Artur Plawgo / Getty Images Plus
Schmerzimpulse gelangen ins Rückenmark und von dort aus weiter zum Gehirn.

Repetitorium – Teil 1

JETZT WISSEN ÜBER SCHMERZEN AUFFRISCHEN!

Er brennt, beißt, bohrt – Schmerz hat viele Gesichter und viele Ursachen. Dieser erste Teil des Repetitoriums stellt physiologische Grundlagen des Schmerzes vor, bevor es in den nächsten Folgen um verschiedene Schmerzarten und deren Behandlung geht.

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Schmerzen kennt jeder, dennoch fällt es vielen schwer, sie genau zu beschreiben. Die International Association for the Study of Pain (IASP) hat eine Definition dafür formuliert: „Schmerz ist ein unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis, das mit aktueller oder potentieller Gewebeschädigung verknüpft ist oder mit Begriffen einer solchen beschrieben wird“. 

Diese kompliziert klingende Begriffsbestimmung macht deutlich, dass Schmerzen ein komplexes Phänomen sind. Sie sind kein reiner körperlicher Vorgang. Das persönliche Schmerzerleben spielt auch eine wichtige Rolle, so dass der Schmerz individuell unterschiedlich wahrgenommen wird. Schließlich kann sogar jemand unter Schmerzen leiden, ohne dass dafür eine körperliche Ursache gefunden wird.

Schmerz als wichtiges Alarmsignal

Prinzipiell sind akute Schmerzen sehr sinnvoll, denn sie übernehmen eine überlebenswichtige Alarm- und Schutzfunktion. Sie machen den Körper auf gesundheitliche Gefahren aufmerksam, damit er schnell auf die Warnung mit Gegenmaßnahmen reagieren kann, um körperliche Schäden abzuwehren.

So verhindert beispielsweise ein abruptes Wegziehen des Messers von der Schnittwunde, dass sich das Schneidewerkzeug noch tiefer in den Finger bohrt. Akute Schmerzen sind nur von kurzer Dauer. Laut Definition sind sie zeitlich auf wenige Stunden, Tage oder Wochen begrenzt und lassen sich durch Ausschalten des Schmerzauslösers schnell limitieren. Diese überlebensnotwendige Alarmfunktion geht einem Schmerz verloren, der länger als sechs Monate andauert oder immer wiederkehrend ist.

Das Gehirn erhält weiterhin Schmerzsignale, obwohl der Auslöser nicht mehr vorhanden ist. Der Schmerz hat sich verselbstständigt, er chronifiziert. Der chronische Schmerz kann sich zu einem eigenständigen Krankheitsbild entwickeln, bei dem der Patient schließlich in seinem Denken und Fühlen vom Schmerz übermäßig beherrscht wird, was sich wiederum verstärkend auf die Schmerzempfindung auswirkt.

Wie entstehen Schmerzen?

Akute Schmerzen nehmen in den meisten Fällen ihren Ursprung in einer Gewebeschädigung, bei der schmerz- und entzündungsfördernde Botenstoffe (z. B. Prostaglandine, Bradykinin, Leukotriene) im Körper freigesetzt werden. Sie werden auch als Schmerzmediatoren bezeichnet, da sie die Schmerzfühler (Nozizeptoren) reizen. Nozizeptoren sind freie Nervenendigungen von aufsteigenden (afferenten) sensiblen Nervenfasern (Neuronen), die sich in fast allen Körpergeweben (z. B. Haut, Knochen, Sehnen, Muskeln) und in den meisten Organen befinden.

Sie reagieren auf thermische (Hitze, Kälte), mechanische (Stich, Schnitt, Quetschung) und chemische Reize (pH-Wert-Änderungen, Tiergifte), die sie in Form von elektrischen Impulsen, den Aktionspotentialen, weiterleiten. Diese Schmerzimpulse gelangen entsprechend ihrem Nervenfasertyp in unterschiedlicher Geschwindigkeit zunächst über das Hinterhorn ins Rückenmark und von dort aus weiter zum Gehirn.

Die A-Delta-Fasern leiten aufgrund der sie umgebenden schützenden, isolierenden Myelinscheide die Schmerzimpulse schnell weiter (mit bis zu 30 Metern pro Sekunde). Die C-Fasern sind nicht myelinisiert, weshalb sich die Schmerzimpulse deutlich langsamer ausbreiten (mit bis zu zwei Metern pro Sekunde) und das Rückenmark später erreichen.

Rolle des Rückenmarks im Schmerzgeschehen

Eine wichtige Zwischenstation ist das Rückenmark, das zusammen mit dem Gehirn das zentrale Nervensystem (ZNS) bildet. Die aus der Peripherie ins Rückenmark eingehenden Nerven gehören ebenso wie die vom Rückenmark zu den Erfolgsorganen ausgehenden Nerven zum peripheren Nervensystem. Das Rückenmark fungiert als Schaltstelle zwischen der Körperperipherie, wo der Schmerzreiz aufgenommen wurde, und dem Gehirn, wo in verschiedenen Hirnregionen die Auswertung des ankommenden Signals – also die Reizverarbeitung und damit die eigentliche Wahrnehmung und Bewertung des Schmerzes stattfindet.

Die Schmerzimpulse nehmen im Rückenmark zwei Wege:

  • Zum einen erfolgt eine direkte Rückkopplung zum geschädigten Körperteil. Dafür werden die elektrischen Impulse der aufsteigenden Bahnen unmittelbar ohne Beteiligung des Gehirns auf absteigende (efferente) motorische Neuronen umgeschaltet. Diese verlassen das Rückenmark über das Vorderhorn und lösen beim betroffenen Körperteil eine unwillkürliche Reaktion reflexartig aus (z. B. Wegziehen der Hand von der Herdplatte).
  • Zeitgleich erfolgt im Rückenmark eine Umwandlung der elektrischen Impulse, die aus der Peripherie im Rückenmark ankommen, in chemische Signale, bevor sie dann wieder als elektrische Impulse zum Gehirn weitergeleitet werden können.

Calciumkanäle von zentraler Bedeutung

Die Umwandlung ist immer erforderlich, wenn eine Weiterleitung des Reizes von einem Neuron auf das nächste Neuron stattfindet. Aktionspotentiale können den synaptischen Spalt – die Verbindungsstelle zwischen zwei Neuronen – nicht überwinden. Da die Nervenfasern aus der Peripherie im Rückenmark beziehungsweise in dem in unmittelbarer Nähe ansässigen Spinalganglion enden, muss für die Reizweiterleitung zum Gehirn eine Verschaltung auf die Leitungsbahnen des zentralen Nervensystems stattfinden.

Dafür öffnen sich Calcium-Kanäle der präsynaptischen Zellmembran, sobald der elektrische Impuls die Synapse erreicht hat. Der darauffolgende Calciumeinstrom veranlasst die Nervenzelle, Neurotransmitter (z. B. Glutamat, Substanz P) in den synaptischen Spalt zu entlassen. Dies geschieht, indem die mit Neurotransmittern gefüllten kleinen Bläschen – die synaptischen Vesikel – mit der präsynaptischen Zellmembran verschmelzen und dabei ihre Ladung abgeben.

Die Neurotransmitter überqueren den synaptischen Spalt und binden an Rezeptoren der benachbarten Nervenzelle. Dadurch öffnen sich an der postsynaptischen Zelloberfläche Ionenkanäle, so dass Natrium-Ionen in die Zelle einströmen und damit wieder ein elektrisches Signal auslösen, das seinen Weg zum Gehirn nimmt.

Schmerzverarbeitung im Gehirn

Als erstes erreicht das Schmerzsignal den Thalamus, den größten Teil des Zwischenhirns. Von dort werden die Impulse ins limbische System weitergeleitet, wo der Schmerz emotional bewertet („Es tut kaum/unerträglich weh.“) und mit emotional ausgelösten Reaktionen (z. B. Weinen) beantwortet wird. Dabei spielen bisherige Erfahrungen sowie das körperliche und seelische Befinden ebenso eine Rolle wie Persönlichkeitsstrukturen (z. B. pessimistische oder optimistische Grundhaltung).

Daher können beispielsweise Schmerzen von Personen mit gedrückter Stimmung intensiver als von zuversichtlichen Menschen erlebt werden. Schließlich gelangt das Signal zur Großhirnrinde. Dort wird die Schmerzwahrnehmung bewusst („Es tut weh.“) und es werden Gegenmaßnahmen (z. B. Einnehmen von Schonhaltungen) eingeleitet. Zudem wird der Entstehungsort des Schmerzes erkannt und der Schmerz als Erfahrung abgespeichert. Vegetative Reaktionen wie Schweißausbruch oder Herzklopfen werden im Hirnstamm ausgelöst.

Die Antworten des Gehirns erfolgen über absteigende (efferente) motorische Nervenfasern, die ihre Signale in umgekehrter Richtung zum Rückenmark senden. Diese Signale setzen auch schmerzlindernde Substanzen (z. B. Endorphine) frei. Die Ausschüttung körpereigener Endorphine geschieht beispielsweise in Extremsituationen wie starker körperlicher Anstrengung (z. B. Sport) oder nach schweren Verletzungen (z. B. Unfall). Sie heben die Schmerzempfindung vorrübergehend auf und wirken zugleich einer Schmerzsensibilisierung entgegen.

Nozizeptorschmerz

Schmerzen, die durch die Erregung von Nozizeptoren entstehen, werden als Nozizeptorschmerz bezeichnet. Je nachdem wo sich der Ort der Schädigung befindet, wird dieser noch weiter in einen somatischen oder viszeralen Schmerz unterteilt. Kommt die schmerzauslösende Ursache von Haut, Bindegewebe, Knochen, Gelenken oder Muskeln, spricht man von einem somatischen Schmerz. Dieser lässt sich noch weiter in einen Oberflächenschmerz und einen Tiefenschmerz differenzieren.

Der Oberflächenschmerz ist eine Reaktion der Haut beispielsweise auf Verbrennung, Verätzung oder einen Schnitt und wird durch die schnell leitenden A-Delta-Fasern übertragen. Sie vermitteln einen einschießenden, hellen Sofortschmerz, der gut lokalisierbar ist und sich spitz, schneidend oder brennend darstellt. Entsprechende Reflex- beziehungsweise Abwehrhandlungen (z. B. blitzschnelles Zurückziehen der Hand von der heißen Herdplatte) sind die Folge.

Der Tiefenschmerz stammt aus Muskeln, Bindegewebe, Gelenken oder Knochen und erfolgt über die langsam leitenden C-Fasern. Sie lösen einen dumpfen, drückenden, schlecht lokalisierbaren zweiten Schmerz aus, der länger als der Oberflächenschmerz anhält. Typische Beispiele eines Tiefenschmerzes sind Spannungskopfschmerzen und Migräne.

Der viszerale Schmerz geht von Organen des Magen-Darm-Traktes aus (z. B. Blinddarmentzündung, Gallenkolik). Er hat einen ähnlich dumpfen Charakter wie der Tiefenschmerz und wird auch Eingeweideschmerz genannt. Er tritt oft in Wellen auf und ist schlecht zu lokalisieren.

Früh handeln!

Eine konsequente und adäquate Schmerztherapie starker akuter Schmerzen ist extrem wichtig. Je früher beim akuten Schmerz eine wirksame Schmerzlinderung in einer ausreichenden Dosierung erfolgt, desto geringer ist die Gefahr einer Chronifizierung. Wird die Dosis hingegen zu gering gewählt oder zu spät appliziert, sind eine unbefriedigende Analgesie und die Ausbildung eines Schmerzgedächtnisses die Folge, die wiederum eine (zu) häufige Schmerzmitteleinnahme bedingen.

Neuropathischer Schmerz

Vom Nozizeptorschmerz sind neuropathische Schmerzen abzugrenzen. Bei diesen liegt keine direkte Schädigung des Gewebes vor, auch werden keine Nozizeptoren gereizt. Vielmehr ist der Nerv im peripheren oder zentralen Nervensystem selber geschädigt und er meldet seine eigene Funktionsstörung durch eine unphysiologische Erregung an der Läsionsstelle (spontane Aktionspotentiale).

Hier können neuropathische Schmerzen (als Folgen) auftreten:

  • nach Virusinfektionen des Nervs (z. B. postzosterische Neuralgie durch Herpes zoster),
  • durch Degeneration von Nerven (z. B. diabetische Neuropathie, durch Diabetes mellitus oder Vitamin B-Mangel),
  • bei Schädigung durch chronischen Druck (z. B. Bandscheibenvorfall oder Engpasssyndrome wie Karpaltunnelsyndrom)
  • nach Amputation (Phantomschmerz).

Neuropathische Schmerzen werden häufig als anfallsartige, einschießende Schmerzen mit einem brennenden, ziehenden, stechenden oder auch elektrisierenden Charakter beschrieben. Es kann auch zu Missempfindungen oder Lähmungserscheinungen kommen. Die Schmerzen sind meist langanhaltend und können dadurch ihren Warncharakter verlieren.

Treten nozizeptive und neuropathische Schmerzen gemeinsam auf, liegt ein gemischter Schmerz vor, der als Mixed Pain bezeichnet wird. Beispielsweise haben chronische postoperative Schmerzen typischerweise (z. B. nach Hüftgelenkersatz) sowohl eine nozizeptive als auch neuropathische Komponente.

Schmerzgedächtnis

Nozizeptoren gewöhnen sich nicht an einen Schmerz. Sich ständig wiederholende oder sehr starke Schmerzsignale können vielmehr die Reizschwelle der Nozizeptoren für Schmerzimpulse senken. Sie werden überempfindlich, was mit einer Veränderung der Nervenzellen einhergeht. Aufgrund der Überempfindlichkeit kann die Reaktion auf Schmerzreize verstärkt sein (Hyperalgesie) oder es kann sich eine gesteigerte Schmerzempfindlichkeit auf normalerweise harmlose, nicht schmerzhafte Reize wie Berührung zeigen (Allodynie).

In manchen Fällen treten Schmerzen sogar ohne Reiz auf. An der Sensibilisierung sind Schmerzmediatoren wie Bradykinin, Substanz P, Histamin und Serotonin beteiligt, die im entzündeten oder verletzten Gewebe bereitgestellt werden. Neben diesen peripheren Vorgängen stellen sich auch Veränderungen auf Rückenmarksebene ein, die zu einer zentralen Sensibilisierung führen. Hier spielen eine erhöhte Freisetzung von Glutamat und in Folge eine langanhaltende Erregung von Glutamatrezeptoren, die an der Gedächtnisbildung beteiligt sind, eine Rolle.

Zudem sind für die neuronale Übererregbarkeit auf zentraler Ebene insbesondere Calcium-Ionen verantwortlich, die infolge der synaptischen Erregung in den Nervenzellen bis zum Zellkern vordringen können und Gene aktiv werden lassen (veränderte Genexpression). Aufgrund der Neuroplastizität sind Umstrukturierungen im ZNS mit Erneuerungen von neuronalen Verschaltungen und Umbauten von Nervenzell-Netzwerken die Folge.

Sie führen dazu, dass sich die Nervenzellen in ihrer Programmierung und damit biochemische Prozesse in der Schmerzverarbeitung verändern. Bei Aktivierung wird nur noch das Signal Schmerz gemeldet. Damit hat das Nervensystem den Schmerz quasi gelernt, ein Schmerzgedächtnis hat sich gebildet. Die Schmerzen sind chronisch geworden.

Frühzeitig den Schmerz bekämpfen

Eine konsequente und adäquate Schmerztherapie starker akuter Schmerzen ist extrem wichtig. Je früher beim akuten Schmerz eine wirksame Schmerzlinderung in einer ausreichenden Dosierung erfolgt, desto geringer ist die Gefahr einer Chronifizierung.

Wird die Dosis hingegen zu gering gewählt oder zu spät appliziert, sind eine unbefriedigende Analgesie und die Ausbildung eines Schmerzgedächtnisses die Folge, die wiederum eine (zu) häufige Schmerzmitteleinnahme bedingen.

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