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Repetitorium

ERKRANKUNGEN DER HARNWEGE – TEIL 3

Lange Zeit galt bei unkomplizierten Harnwegsinfekten die Gabe von Antibiotika als Standardtherapie. Mittlerweile hat ein Umdenken stattgefunden. Daher erfahren altbewährte Heilpflanzen ein Comeback.

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Obwohl meist Bakterien die Entzündung auslösen, sind Antibiotika bei Frauen mit einer Zystitis heute nicht mehr grundsätzlich Mittel der Wahl, zumal Antibiotika mit Nebenwirkungen einhergehen und der Anteil an resistenten Bakterien aufgrund der hohen Verordnungszahlen in der ambulanten Urologie ansteigt.

Mit dem Verzicht auf Antibiotika wird auch den Frauen Rechnung getragen, die keine sofortige Antibiose wünschen. Viele möchten eine Blasenentzündung zunächst mit gut verträglichen Phytotherapeutika behandeln.

Leitlinien-Empfehlungen Inzwischen stellt eine nicht-antibiotische Behandlung bei Frauen mit einer Zystitis für beide in Deutschland relevanten Leitlinien, eine mögliche Alternative dar. Sowohl die S3-Leitlinie „Harnwegsinfektio- nen“ der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU) als auch die S3-Leitlinie „Brennen beim Wasserlassen“ der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) erkennen als vorrangiges Ziel ein rasches Abklingen der Symptome an, was bei Frauen mit einer Entzündung, die auf die Harnblase beschränkt ist, auch antibiotikafrei gelingen kann.

Hintergrund für die Einschätzung der Experten ist, dass in diesen Fällen nicht mit gravierenden Komplikationen zu rechnen ist und eine hohe Spontanheilungsrate von etwa 30 bis 50 Prozent besteht. Zudem ließen sich diese Infektionen in neueren Studien oftmals ohne Antibiotikum erfolgreich behandeln. Daher kann bei Patientinnen mit leichten bis mittelgradigen Beschwerden eine alleinige symptomatische Behandlung als Alternative angeboten werden.

Die Leitlinienautoren legen zugleich darauf Wert, dass bei der Therapieentscheidung die Vorlieben der Frauen berücksichtigt werden und sie dafür wissen sollen, dass unter einer Antibiotikatherapie die Symptome in der Regel zwei Tage schneller abklingen und bei einer nicht-antibiotischen Behandlung das Risiko für die Entwicklung einer Nierenbeckenentzündung (Pyelonephritis) höher ist.

Antibiotikafreie Therapie Typischerweise ist eine Blasenentzündung mit leichten bis mittleren Beschwerden bei einer nicht-schwangeren, erwachsenen Frau im gebärfähigen Alter ein Paradebeispiel für einen symptomatischen Therapieversuch in Eigenregie. Aber auch ältere Frauen nach der Menopause ohne Begleiterkrankungen benötigen bei einer unkomplizierten Zystitis ebenso wie die jüngeren häufig keine Antibiotika.

Bei der Abgabe von Harnwegstherapeutika ist also immer ein ausführliches Beratungsgespräch erforderlich, um die Grenzen der Selbstmedikation auszuloten. PTA und Apotheker sollten Symptome wie Fieber, Blut im Urin oder Flankenschmerzen kennen, die auf einen komplizierten Verlauf deuten und damit eine ärztliche Behandlung notwendig machen. Zusätzlich sollten sie zu Allgemeinmaßnahmen wie reichlichem Trinken (mindestens zwei Liter am Tag), Wärmeapplikation (z. B. Wärmflasche, Kirschkernkissen, warme Sitzbäder, feuchtwarme Umschläge) und Schonung raten.

Unter den nicht-antibiotischen Behandlungsoptionen spielen Analgetika und pflanzliche Alternativen eine Rolle. Als geeignete Substanzen zur Linderung der Schmerzen werden in den Leitlinien Ibuprofen und Paracetamol genannt. Bei krampfartigen Schmerzen hat sich in der Praxis auch die kombinierte Gabe eines Analgetikums mit einem Spasmolytikum wie Butylscopolamin bewährt, das den Tonus der überaktiven Blasenwand senkt.

Pflanzliche Optionen Phytopharmaka führen die Autoren vor allem zur Verhinderung von Rezidiven auf. Im Apothekenalltag haben sie aber auch einen hohen Stellenwert bei der Therapie akuter Blasenentzündungen und sind damit ein guter Tipp für die Selbstmedikation. Im Gegensatz zu den Schmerzmitteln besitzen pflanzliche Präparate als Vielstoffgemische ein breiteres Wirkspektrum, das neben rein symptomlindernden Eigenschaften zusätzlich diuretische, spasmolytische, antiphlogistische, antibakterielle und antiadhäsive Eigenschaften umfassen kann.

Traditionell findet bei Harnwegsbeschwerden eine Vielzahl von Pflanzen Verwendung. Häufig kann es sinnvoll sein, Präparate mit mehreren Pflanzenextrakten auszuwählen, die ein breites pharmakologisches Wirkspektrum aufweisen und sich idealerweise in ihrer Wirkung ergänzen.

Blase durchspülen Gleich bei den ersten Anzeichen einer Blasenentzündung sollten die Betroffenen viel trinken, um pathogene Keime aus den Harnwegen auszuspülen. Damit lässt sich ein Aufsteigen von Keimen aus der Harnröhre in die Blase vermindern und einer Entzündung entgegenwirken. Eine Durchspülungstherapie erfordert reichlich Flüssigkeit (mindestens zwei Liter am Tag), ist aber bei Patienten mit Ödemen infolge einer Herz- und Niereninsuffizienz kontraindiziert.

Werden zusätzlich Antibiotika eingenommen, sollte die Flüssigkeitszufuhr 1,5 Liter nicht übersteigen, um die Wirkstoffspiegel des Antibiotikums in der Blase nicht zu stark zu verdünnen und sie nicht zu rasch aus den Harnwegen zu spülen. Verschiedene Pflanzen stehen als Aquaretika zur Wahl, die durch enthaltene Flavonoide diuretisch wirken.

Dazu zählen beispielsweise Brennnesselblätter und -kraut, Schachtelhalmkraut, Birkenblätter, Goldrutenkraut, Hauhechelwurzel, Orthosiphonblätter oder Queckenwurzelstock. Sowohl Orthosiphonblätter als auch Goldrutenkraut wirken zudem leicht spasmolytisch. Goldrutenkraut hat darüber hinaus noch ebenso wie Hauhechelwurzel antiphlogistische Eigenschaften.

Harntreibende Arzneidrogen werden traditionell als Nieren- und Blasentees (lose, in Teebeuteln, als Pulver/Granulat) angeboten. Vorteil der Teezubereitungen ist, dass mit ihnen die notwendige Zufuhr ausreichender Flüssigkeitsmengen erleichtert wird. Werden feste (Dragees, Tabletten) oder flüssige Darreichungsformen (Tropfen, Frischpflanzensäfte) gewählt, sollte bei der Abgabe der Hinweis erfolgen, zusätzlich zur Einnahme reichlich zu trinken.

Infektionen und Rezidive vermeiden

+
ausreichende Trinkmenge (zirka 1,5 bis 2 Liter Flüssigkeit pro Tag, Kontraindikationen beachten, z. B. Herzinsuffizienz)
+ regelmäßiger Toilettengang mit vollständiger Blasenentleerung (auch nach Geschlechtsverkehr)
+ richtige Analhygiene (von vorne nach hinten wischen)
+ locker sitzende Baumwollunterwäsche (keine einengenden Strings, die Schmierinfektionen erleichtern)
+ keine übertriebene Genitalhygiene (auf Intimsprays, Scheidenspülungen, alkalische Seifen verzichten), aber Tampons und Binden häufig wechseln (mögliche Infektionsquelle)
+ keine Verhütung mit Scheidendiaphragma oder spermiziden Kontrazeptiva
+ untere Körperpartien warm und trocken halten (nasse Badekleidung rasch wechseln, nicht auf kalten Steinen sitzen)
+ blasengesund ernähren (Immunabwehr stärken, z. B. mit Vitamin C, Selen, Zink) 

Harn desinfizieren Zudem stehen Phytotherapeutika mit antibakterieller Wirkung zur Verfügung, von denen die Leitlinie Bärentraubenblätter sowie die Fixkombination aus Kapuzinerkressekraut und Meerrettichwurzel favorisiert. Während Bärentraubenblätter aufgrund des Verdachts auf mutagene und lebertoxische Effekte maximal nur für einen Monat zur Anwendung kommen dürfen, eignet sich das Kombinationspräparat auch zur Langzeitanwendung bei häufig wiederkehrenden Infekten.

Die beiden Pflanzen der Fixkombination enthalten Senföle, deren Isothiocyanate ein breites antibakterielles Wirkspektrum im grampositiven und gramnegativen Bereich aufweisen. Sie sollen sogar gegen resistente Formen von E. coli und Problemkeime wie MRSA (Methicilin-resistenter Staphylococcus aureus) effektiv wirken. Zudem verfügen sie über antiphlogistische Eigenschaften. Auch Bärentraubenblätter wirken antimikrobiell, wofür der Hauptinhaltsstoff Arbutin verantwortlich gemacht wird.

Arbutin wird im Körper in das aktiv wirksame Hydrochinon umgewandelt, das gegen mehr als 95 Prozent der Bakterien wirkt, die Blasenentzündungen verursachen. Enthaltene Tannine wirken antiphlogistisch und antiadhäsiv. Letzteres erschwert ein Anheften der Erreger an der Schleimhaut.

Bärentraubenblätter kommen am besten als Dragee in Form eines standardisierten Fertigarzneimittels oder als Kaltmazerat zum Einsatz, da sie als herkömmlicher Teeauszug aufgrund ihres hohen Gerbstoffgehaltes zu einer Reizung der Magenschleimhaut führen können.

Eine Einnahme zur Nacht ist sinnvoll, damit sich der Wirkstoff im Harn anreichern kann. Bewährt hat sich auch eine Kombination aus den Extrakten von Rosmarinblättern, Liebstöckelwurzel und Tausendgüldenkraut. Sie ist zugleich antibakeriell, diuretisch und spasmolytisch wirksam.

Ein derartig umfassendes Wirkspektrum weist auch die Dreierkombination aus Goldrutenkraut, Orthosiphonblättern und Hauhechelwurzel auf. Diese Kombination verfügt zudem noch über antiadhäsive und antiinvasive Eigenschaften, mit denen sie ein Einnisten von uropathogenen Erregern unterbindet.

Anhaften verhindern Eine Hemmung der bakteriellen Adhäsion lässt sich auch mit D-Mannose erzielen. Der Zucker bindet an die Fimbrien der entzündungsauslösenden Bakterien und verhindert damit, dass sie sich an der Blasenwand festsetzen. Stattdessen werden sie mit dem Urin ausgespült. Ebenso verhindern in Cranberries enthaltene Tannine (Pro- und Anthocyanidine) das Andocken von E. coli am Zellgewebe der Harnwege und so eine Bakterienvermehrung im Harntrakt.

Somit können die in Deutschland auch als Kranichbeere, Großfruchtige Moosbeere oder Nordamerikanische Preiselbeere bekannten Früchte eine protektive Wirkung vor wiederkehrenden Infektionen entfalten. Auf eine bereits bestehende Blasenentzündung scheinen sie keinen Einfluss zu haben. Da die Cranberry-Tannine lediglich die Bakterien von der Blasenschleimhaut fernhalten und nicht abtöten, bleibt das physiologische Mikrobiom von Darm und Vagina erhalten und eine Resistenzbildung der Bakterien ist nicht zu erwarten.

Rezidive lassen sich auch über eine Ansäuerung des Urins mit chemischen Harndesinfizientien wie L-Methionin verhindern, da ein saures Milieu das Wachstum vieler uropathogener Keime eindämmt. Darüber hinaus soll die Aminosäure auch ihr Anheften am Epithel der ableitenden Harnwege unterbinden. Vor allem scheinen Patienten mit neurogener Blasenstörung und Kathetern zu profitieren.

Zweifach wirksam ist auch eine Kombination aus Xyloglucan, Hibiskus und Propolis. Das Cellulose-Derivat bildet im Darm einen Gelschutz, der den E. coli-Bakterien das An- haften, die Vermehrung und das anschließende Eindringen in die Harnwege erschwert. Hibiskusblüten und Propolis wirken harnansäuernd, wodurch die Bakterienproliferation gehemmt wird.

Leitliniengerechte Antibiotikatherapie Spätestens dann, wenn sich mit Schmerzmitteln oder Phytotherapeutika keine ausreichende Linderung der Symptome erzielen lässt, leitet der Arzt eine Antibiotikatherapie ein. Die Substanzwahl richtet sich nach der Diagnose (Zystitis oder Pyelonephritis), der Verlaufsform (mild/mittelschwer oder schwer) und der Patientengruppe (z. B. Frauen, Männer, Schwangere, Diabetiker mit instabiler Stoffwechsellage).

Bei unkomplizierten Harnwegsinfektionen werden Antibiotika in der Regel kalkuliert, das heißt ohne vorige mikrobiologische Erregerbestimmung, eingesetzt, da man die Infektion möglichst rasch in den Griff kriegen möchte. Die Antibiotikawahl erfolgt also empirisch nach der größten Erregerwahrscheinlichkeit und der erwarteten Resistenzsituation. Nur bei bestimmten Personengruppen (z. B. Männer, Schwangere), bei häufig wiederkehrenden oder komplizierten Infektionen (z. B. Rezidive, Pyelonephritis) oder vor urogenitalen Operationen wird das Erregerspektrum durch Anlegen einer Bakterienkultur identifiziert.

Im Folgenden werden die Therapievorschläge für gesunde, nicht-schwangere Frauen in der Prämenopause näher vorgestellt. Sie zählen zu den häufigsten Betroffenen mit Harnwegsinfektionen und stellen für die Leitlinienautoren die Standardgruppe dar. Prinzipiell wird bei ihnen eine Zystitis je nach Substanzwahl nur ein bis drei Tage, längstens fünf bis sieben Tage antibiotisch therapiert.

Die Behandlung einer Pyelonephritis erfordert einen längeren Zeitraum. Ist die Infektion ins Nierenbecken aufgestiegen, ist eine fünf bis 14-tägige orale Gabe von Antibiotika erforderlich. Bei schweren Verlaufsformen wird mit einer parenteralen Therapie begonnen, die nach Besserung auf eine orale Behandlung umgestellt wird.

Standardgruppe Frauen Für sie sieht die Leitlinie zur Behandlung einer Zystitis als Mittel der ersten Wahl Fosfomycin, Nitrofurantoin, Nitroxolin, Pivmecillinam und Trimethoprim (wenn weniger als 20 Prozent der E. coli Resistenzen zeigen) vor. In der Praxis wird vor allem Fosfomycin häufig verordnet, da es als Einmalgabe (möglichst zur Nacht nach Entleerung der Blase) gegeben wird.

Auf die früher standardmäßig praktizierte Gabe von Sulfamethoxazol (Cotrimoxazol = Trimethoprim/Sulfamethoxazol) ist heute wegen regional bestehender hoher Resistenzraten zu verzichten. Stattdessen wird Trimethoprim als Monosubstanz über drei Tage bevorzugt. Ebenso kommt Pivmecillinam für drei Tage zur Anwendung, Nitrofurantoin wird je nach Dosierung und Darreichungsform (nicht-retardiert/retardiert) fünf oder sieben Tage und Nitroxolin fünf Tage lang eingenommen.

Cephalosporine (z. B. Cefpodoxim) und Fluorchinolone (z. B. Ciprofloxacin, Levofloxacin) sind heute bei Frauen mit unkomplizierten Blasenentzündungen nicht mehr Mittel der ersten Wahl. Sie gelten heute als Mittel der Reserve und bleiben für komplizierte Verläufe oder die Behandlung einer Pyelonephritis vorbehalten.

Zudem sind Cephalosporine noch für besondere Patientengruppen wie beispielsweise Schwangere mit einer Zystitis oder Fluorchinolone für die Therapie einer Harnwegsentzündung mit Prostatabeteiligung bei Männern vorgesehen.

Rezidive behandeln Häufig wiederkehrende Harnwegsinfektionen erfordern eine besondere Vorgehensweise. Mögliche Ursachen können nicht erkannte Risikofaktoren (z. B. Anomalie der Harnwege mit Harnabflussstörungen) aber auch mangelnde Compliance (z. B. eine zu kurz durchgeführte Antibiose) oder resistente Erreger sein. Gegebenenfalls kommt ein anderes Antibiotikum zum Einsatz, wobei häufig eine längere Therapiedauer von fünf bis sieben Tagen erfolgt.

Empfohlen wird zudem eine Urinkultur, um die Substanz auf den Erreger abzustimmen. Wird von einer Neuinfektion ausgegangen, wird diese wie eine Erstinfektion behandelt (kalkulierte Kurzzeittherapie). Für eine antibiotikafreie Behandlung sehen die Leitlinien verschiedene Optionen vor. So werden beispielsweise eine Immunoprophylaxe mit Zellwandbestandteilen uropathogener E. coli Stämme (orale Immunstimulation) oder mit inaktivierten Keimen verschiedener spezifizierter Enterobakterien (parenterale Immunstimulation) aufgeführt.

Mit ihnen soll im Sinne einer Impfung die lokale Immunantwort gestärkt werden. Zudem haben zur Hemmung der bakteriellen Adhäsion der Zucker D-Mannose und als antimikrobielle Phytotherapeutika Bärentraubenblätter (nicht länger als einen Monat) sowie die Kombination aus Kapuzinerkressekraut und Meerrettichwurzel eine explizite Empfehlung erhalten. Frauen nach der Menopause wird eine lokale Estrogenapplikation geraten.

Durch die vaginale Gabe von 0,5 Milligramm Estriol am Tag werden die Schleimhäute gegen uropathogene Keime widerstandsfähiger, was zur Verhinderung wiederkehrender Blasenentzündungen beiträgt. Eine Langzeiteinnahme niedrig dosierter Antibiotika über drei bis sechs Monate (in Ausnahmefällen auch länger) oder die postkoitale Einmaleinnahme eines Antibiotikums wird Frauen empfohlen, bei denen die vorab beschriebenen Maßnahmen nicht zum Erfolg geführt haben.

Diesen Artikel finden Sie auch in DIE PTA IN DER APOTHEKE 06/2022 ab Seite 94.

Gode Chlond, Apothekerin

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