Neurotransmitter
EIN ESSENZIELLES MULTITALENT: ACETYLCHOLIN
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Mit der Entdeckung des Acetylcholins haben Forscher damals zugleich nachgewiesen, dass es Neurotransmitter überhaupt gibt – bis dahin hatte man eher vermutet, dass die Signalübertragung zwischen Nervenzellen elektrisch erfolgt.
Heute weiß man, dass Acetylcholin sowohl im zentralen als auch im peripheren Nervensystem vorkommt. Es dient als Signalstoff in sympathischen und parasympathischen Nervenzellen und ist auch für die Übertragung von Nervenimpulsen von Neuronen auf Muskeln verantwortlich. Zahlreiche Medikamente aus ganz unterschiedlichen Indikationen greifen am Acetylcholin-Stoffwechsel beziehungsweise an den Acetylcholin-Rezeptoren an.
Synthese und Abbau
Acetylcholin gehört zu den biogenen Aminen. Es wird vom Enzym Cholinacetyltransferase aus den Komponenten Cholin und Acetyl-CoA hergestellt. Wie alle Neurotransmitter wird es in Vesikeln in Axonendigungen gespeichert und als Reaktion auf ein Aktionspotential in den synaptischen Spalt abgegeben. Dort wird es, sobald es nicht mehr benötigt wird, durch das Enzym Acetylcholinesterase in Cholin und Essigsäure gespalten. Cholin kann von den Neuronen wieder aufgenommen und wiederverwertet werden.
Im zentralen Nervensystem kommt Acetylcholin unter anderem im basalen Vorderhirn, in den medialen Septumkernen, der Pons und der Medulla oblongata sowie im Striatum vor. Hier spielt es eine Rolle bei kognitiven Funktionen wie Gedächtnis und Lernen sowie beim Schlaf und der motorischen Kontrolle.
Darüber hinaus ist Acetylcholin im vegetativen Nervensystem von essenzieller Bedeutung: So nutzt der Parasympathikus Acetylcholin sowohl für die Signalübertragung vom präganglionären auf das postganglionäre Neuron als auch von dort auf das Zielorgan. Dies können neben verschiedenen Organen auch Blutgefäße sowie Drüsen wie die Speicheldrüsen, Schweißdrüsen, Tränendrüsen, aber auch neuroendokrine Zellen des Nebennierenmarks sein. Der Sympathikus nutzt Acetylcholin nur für die Signalübertragung vom präganglionären auf das postganglionäre Neuron. Acetylcholin ist außerdem der Neurotransmitter, mit dem Motorneurone den Muskeln den Befehl zur Kontraktion geben.
Acetylcholin-Rezeptoren
Acetylcholin kann an zwei verschiedene Typen von Rezeptoren binden: Da sind zum einen die nikotinische Acetylcholin-Rezeptoren: Sie werden auch als nikotinerge Acetylcholin-Rezeptoren oder einfach als Nikotinrezeptoren bezeichnet. Sie heißen so, weil neben Acetylcholin unter anderem auch Nikotin an diese Rezeptoren binden und sie aktivieren kann. Nikotinische Acetylcholin-Rezeptoren kommen in verschiedenen Bereichen des Gehirns, im autonomen Nervensystem und an den motorischen Endplatten der quergestreiften Muskulatur vor. Sie bestehen aus fünf Untereinheiten, von denen es zahlreiche Subtypen gibt, die in unterschiedlichen Kombinationen in unterschiedlichen Nerven- beziehungsweise Muskelzellen zu finden sind. Nikotinische Acetylcholin-Rezeptoren sind ionotrope Rezeptoren, also Ionenkanäle, die durch die Bindung von Acetylcholin geöffnet werden.
Zum anderen gibt es muskarinische Acetylcholin-Rezeptoren: Sie werden entsprechend als muskarinerge Acetylcholin-Rezeptoren oder einfach als Muskarinrezeptoren bezeichnet, weil sie unter anderem durch das Pilzgift Muskarin aktiviert werden können. Muskarinrezeptoren sind metabotrope Rezeptoren, die über G-Proteine Signaltransduktionskaskaden mit Second Messengern in Gang setzen. Auch hier gibt es verschiedene Typen, die in unterschiedlichen Geweben vorkommen und als M1 bis M5 bezeichnet werden.
M1-Acetylcholin-Rezeptoren finden sich vor allem im Gehirn und sind an Lern- und Gedächtnisprozessen beteiligt. Außerdem sind sie für die Interkation mit dem dopaminergen System wichtig. Außerhalb des Gehirns kommen M1-Acetylcholin-Rezeptoren zum Beispiel auf Drüsenzellen vor. M2-Acetylcholin-Rezeptoren finden sich auf bestimmten Herzzellen – sie werden vom autonomen Nervensystem angesteuert, um die Herzfrequenz zu verlangsamen. M3-Acetylcholin-Rezeptoren sind unter anderem in der glatten Muskulatur zahlreicher Organe lokalisiert, darunter Gastrointestinaltrakt, Atemwege und Harntrakt. Die Bindung von Acetylcholin führt dort zur Kontraktion der Muskulatur. Das ist für die Peristaltik im Darm, die Verengung der Atemwege und die Blasenentleerung wichtig. Die Aktivierung von M3-Rezpeptoren auf Blutgefäßen führt zu einer Erweiterung der Gefäße.
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Pharmakologie
Zahlreiche Medikamente aus den unterschiedlichsten Indikationen entfalten ihre Wirkung, indem sie die Wirkung von Acetylcholin verstärken (Cholinergika) oder hemmen (Anticholinergika). Cholinergika wirken entweder direkt als Agonisten an den Actylcholinrezeptoren oder sie erhöhen die Menge des Acetylcholins, indem sie die Acetylcholinesterase und damit seinen Abbau inhibieren. Sie werden auch als Parasympathomimetika bezeichnet. Anticholinergika dagegen hemmen die Wirkung von Acetylcholin an den Muskarinrezeptoren; sie werden auch als Parasympatholytika bezeichnet.
Zum Beispiel am Auge und an der Blase
Von den Parasympathomimetika wirken Betanechol und Pilocarpin direkt am Rezeptor und aktivieren ihn. Sie werden beispielsweise beim Glaukom oder bei einer Blasenatonie eingesetzt: Durch die Stimulation der Kontraktion der Harnblasenmuskulatur führen sie zur Blasenentleerung.
Donepezil, Neostigmin und Pyridostigmin sind dagegen Beispiele für reversible Cholinesterase-Hemmer. Donepezil ist zentral wirksam und kann bei leichter bis mittelschwerer Alzheimer-Demenz verschrieben werden. Neostigmin und Pyridostigmin wirken in der Peripherie; beide kommen bei der Myasthenia gravis, einer autoimmun-bedingten Muskelschwäche, zum Einsatz, außerdem bei Blasen- beziehungsweise Darmatonien, um die Muskeltätigkeit anzuregen. Neostigmin wird auch als Antidot bei Acetylcholin-Rezeptor-Antagonisten wie Curare sowie bei bestimmten Schlangengiften verwendet.
Anticholinergika haben eine entgegengesetzte Wirkung: Sie führen zu Hemmung des Parasympathikus und damit zu einer Relaxation der glatten Muskulatur im Gastrointestinaltrakt und in der Blase sowie zu einer Bronchodilatation. Sie werden insbesondere zur Behandlung der überaktiven Blase (z.B. Oxybutynin, Tolterodin, Solifenacin), des Reizdarmsyndroms (Scopolamin) sowie von Asthma und der chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung (z.B. Ipratropium, Glycopyrronium, Aclidinium, Tiotropium) eingesetzt.
Cholinerges und anticholinerges Syndrom
Unter einem cholinergen Syndrom versteht man eine Kombination von Symptomen, die durch eine übermäßige Simulation des Parasympathikus ausgelöst werden, unter einem anticholinergen Syndrom das Gegenteil. Häufige Ursache ist eine Überdosierung von cholinerg beziehungsweise anticholinerg wirkenden Medikamenten. Auch verschiedene natürliche Gifte (z.B. Botulinumtoxin, alpha-Bungarotoxin, Curare) und chemische Kampfstoffe (z.B. Sarin, Nowitschok) setzen an Acetylcholin-Rezeptoren oder dem Acetylcholin-Stoffwechsel an.