Ein Astronaut im Raumanzug schwebt über einen steinigen Himmelskörper. Im Hintergrund über Kopf sieht man einen bewohnten Planeten.© sdecoret / iStock / Getty Images Pus
In der Schwerelosigkeit des Alls gehen Erythrozyten, die sauerstofftransportierenden Blutkörperchen, zugrunde.

Erythrozyten

WAS WIR VON ANÄMISCHEN ASTRONAUTEN ÜBER IRDISCHE BLUTARMUT LERNEN

Astronauten werden in der Schwerelosigkeit anämisch, die Zahl ihrer roten Blutkörperchen sinkt. Der Effekt ist lange bekannt, die Hintergründe jedoch haben Forscher kürzlich erst untersucht. Können ihre Erkenntnisse auch Menschen mit Erythrozytenmangel helfen, die nie im Weltall waren?

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Dass der Körper im Weltall überhaupt funktioniert, ist ein Wunder. Er hat sich im Laufe der Evolution an die Gravitation angepasst, seine Funktionen berücksichtigen die Schwerkraft bis ins Detail. In der Schwerelosigkeit, auf einer Raumstation zum Beispiel, fehlt dieser Faktor plötzlich. Tatsächlich zeigen Untersuchungen, dass die unnatürlichen Bedingungen im Weltraum kritische Effekte auf den menschlichen Körper haben und gesundheitliche Risiken bergen.

Einer dieser Effekte ist eine Erythrozytenanämie, der Mangel an Sauerstoff-transportierenden Blutzellen. Schon die Rückkehrer der ersten Raummissionen waren anämisch. Woran das liegt, ist unklar. Ein Team von Wissenschaftlern um Guy Trudel von der University of Ottawa hat nun untersucht, ob die Erythrozyten im All vermehrt zugrunde gehen oder ob zu wenige von ihnen nachgebildet werden. Sie wollten wissen, wann der Effekt eintritt und wie lange er anhält.

Eine von 30 Billionen
Im gesunden Körper zirkulieren bis zu 30 000 000 000 000 rote Blutzellen. Jede Sekunde werden rund zwei Millionen davon zerstört – und im Knochenmark entsprechend nachgebildet. Ein Mangel an Erythrozyten kann also bedeuten, dass mehr Blutkörperchen verloren gehen als üblich, oder dass zu wenige neu entstehen.

Projekt MARROW

Das „Projekt MARROW“ untersucht die Knochenmarksgesundheit und die Blutproduktion im All. Dazu werteten Trudel und sein Team die Daten von elf Astronauten und drei Astronautinnen aus, die durchschnittlich 167 Tage lang auf der ISS waren. Die konkrete Fragestellung: Entsteht die Weltraumanämie, weil rote Blutkörperchen vermehrt abgebaut werden?

Die Abbaurate von Erythrozyten lässt sich über die Atemluft ermitteln, und zwar über das Häm aus dem Hämoglobin der roten Blutkörperchen. Beim Abbau eines Moleküls Häm entsteht jeweils ein Molekül Kohlenmonoxid (CO), das anschließend abgeatmet wird. 85 Prozent des Kohlenmonoxids im Atem entstehen aus dem Häm-Abbau. Aus dem CO-Gehalt im Atem kann man also auf die Abbaurate der Erythrozyten rückschließen.

Erythrozyten massenweise zerstört

So stellte das Team fest, dass in der Schwerelosigkeit mehr als anderthalbmal so viele rote Blutkörperchen zerstört werden wie üblich. Die Nachproduktion im Knochenmark untersuchten die Wissenschaftler nicht, sie gehen jedoch davon aus, dass der Körper sie hochreguliert. Andernfalls müsste die Anämie der Astronauten noch ausgeprägter sein.

„Glücklicherweise ist die durch den Effekt verursachte geringere Anzahl roter Blutkörperchen im Weltraum kein Problem, wenn der Körper schwerelos ist“, erklärt Trudel. „Die Auswirkungen der Anämie machen sich erst bemerkbar, wenn man wieder mit der Schwerkraft zurechtkommen muss. Bei der Landung auf der Erde und möglicherweise auf anderen Planeten oder Monden kann diese Form der Anämie deshalb die Energie, Ausdauer und Kraft beeinträchtigen und somit Missionsziele gefährden“, fürchtet der Wissenschaftler. Bei der Landung auf der Erde wurden die Probanden als klinisch anämisch eingestuft.

„Die Auswirkungen der Anämie machen sich erst bemerkbar, wenn man wieder mit der Schwerkraft zurechtkommen muss.“

Wie lange bleiben Astronauten anämisch?

Drei bis vier Monate nach ihrer Rückkehr zur Erde normalisierte sich die Zahl der Erythrozyten der Raumfahrer. Das bedeutet jedoch nicht, dass die massive Abbaurate sich wieder eingependelt hätte: Auch nach einem Jahr lag sie noch 30 Prozent über dem Niveau vor der Mission im All. Die Ursache dafür bleibt ungewiss.

Was heißt das für die Raumfahrt?

Die Forscher schlagen eine Reihe von Maßnahmen vor, um Astronauten künftig vor der Anämie in der Schwerelosigkeit zu schützen:

  • Astronauten und Weltraumtouristen sollen vor dem Flug auf Anämie-Risikofaktoren hin untersucht werden.
  • Die Ernährung im All sollte so angepasst werden, dass sie die Neuproduktion von Erythrozyten im Knochenmark unterstützt.
  • Weitere Untersuchungen sollen zeigen, wie lange der Körper den hohen Umsatz roter Blutkörperchen toleriert, insbesondere im Hinblick auf längere Aufenthalte im All wie etwa Reisen zum Mars.

Und was bringen die Erkenntnisse uns Erdlingen?

Die Forscher hoffen, mit ihren Erkenntnissen auch die Ursachen bestimmter Anämieformen beleuchten zu können, die auf der Erde auftreten, zum Beispiel die Anämie bei langer Bettruhe. Trudel vermutet einen Zusammenhang: „Wenn wir genau herausfinden können, was diese Anämien verursacht, dann besteht die Möglichkeit, sie zu behandeln oder zu verhindern – sowohl bei Astronauten als auch bei Patienten auf der Erde.“

Quellen:
https://www.wissenschaft.de/gesundheit-medizin/spaciger-verlust-von-blutkoerperchen/ 
Guy Trudel et al.: "Hemolysis contributes to anemia during long-duration space flight", Nature Medicine, 14. Januar 2022. https://www.nature.com/articles/s41591-021-01637-7 

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