Eine junge Forscherin sitzt in einem Labor vor einem Computer mit drei Bildschirmen und betrachtet MRT-Aufnahmen und Modelldarstellungen des menschlichen Gehirns.© gorodenkoff/iStock/Getty Images Plus
Alzheimer-Demenz ist noch immer nicht heilbar, doch die Forschung schreitet voran.

Demenz

ALZHEIMER – EIN UPDATE

Rund 1,8 Millionen Menschen leben in Deutschland mit Demenz. Die bekannteste ist der Morbus Alzheimer. Die Forschung zu Ursachen und Therapien hat in den letzten Jahren einiges erreicht.

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Morbus Alzheimer, die häufigste Demenz-Erkrankung hierzulande, ist benannt nach dem Neurologen Alois Alzheimer. Er entdeckte die neurodegenerative Erkrankung im Jahre 1901. 123 Jahre später hat sich viel getan. Heilbar ist Morbus Alzheimer jedoch bisher nicht, und auch mit modernsten Methoden verstehen Forscher immer noch nicht, was ihn auslöst.

Aber immer neue Puzzleteile kommen dazu. Eines Tages wird es vielleicht möglich sein, Alzheimer aufzuhalten. Hier kommt ein Überblick über das, was aktuell in der Forschung passiert.

Je früher die Alzheimer-Diagnose, desto besser

Um Alzheimer behandeln zu können, ist allem eine frühzeitige Diagnostik wichtig. Hier bemühen sich Forscher schon seit Jahren. Denn ein umfassendes Verständnis der biochemischen Prozesse hinter der Erkrankung hilft, neue Therapien zu entwickeln.

Bisher wissen wir, dass ein Protein namens Beta-Amyloid sich im Gehirn von Erkrankten zu Plaques verklumpt. Diese Ablagerungen führen zu einer entzündlichen Reaktion umgebender Immun- und Gliazellen. Schließlich bilden sich Tau-Fibrillen in den Nervenzellen, welche diese in ihrer Funktion beeinträchtigen und zu deren Zelltod beitragen.

Ein Problem für die Behandlung: Wenn die Gedächtnisleistung bereits auffällig nachgelassen hat, sodass Betroffene einen Arzt aufsuchen, sind die Schäden im Gehirn bereits fortgeschritten. Forscher versuchen daher, bereits früheste Anzeichen für Demenzen nachzuweisen.

Alzheimer an den Augen ablesen

Zum Beispiel könnte eine nachlassende Bewegung der Augen auf beginnenden Verfall von Nervenzellen hindeuten. Eine britische Analyse von rund 8000 Datensätzen gesunder Menschen zeigt bereits zwölf Jahre vor einer Demenz-Diagnose erste Auffälligkeiten. Die Probanden sollten schnellstmöglich einen Knopf drücken, sobald sich bewegliche Punkte auf einem Bildschirm zu einem Dreieck zusammenfügten. Eef Hogervorst von der Loughborough University fiel auf, dass Menschen, die später an Demenz erkrankten, das Dreieck viel später erkannten.

Schon länger vermuten Wissenschaftler einen Zusammenhang zwischen Alzheimer und verminderten Augenbewegungen. Demenzkranke wirken auf manche Menschen seltsam und verloren. Das liegt daran, dass ihre Augenbewegungen nicht mehr den standardisierten Mustern folgen, die Menschen nutzen, um sich neue Gesichter einzuprägen.

Das „Scannen“ der Umgebung und die Kontrastempfindlichkeit lässt bei Demenzkranken ebenfalls nach, was auch ein Grund für Orientierungsschwierigkeiten sein könnte. Hintergrund ist, dass die Amyloid-Plaques sich zuerst in den Hirnarealen bilden, die für das Sehen zuständig sind.

Bisher sind die Verfahren, mit denen sich Augenbewegungen messen lassen, noch technisch sehr aufwändig und teuer. Gelingt es, die Prozesse zu verfeinern, kann das frühzeitig Hinweise liefern, die wertvolle Zeit für eine Behandlung schenken.

Ist Demenz im Blut erkennbar?

Auch im Blut fallen Unterschiede früh auf. Britische Forschende der University of Warwick gemeinsam mit der University of Shanghai untersuchten 50000 gesunde Erwachsene zwischen 2006 und 2010. Von ihnen erkrankten 1417 später an Alzheimer. Bereits im Untersuchungszeitraum waren vier Proteine im Blut auffällig.

Eines davon, das saure Gliafaser-Protein (GFAP), entsteht im Gehirn bei Entzündungsprozessen. Die Wahrscheinlichkeit, an einer Demenz zu erkranken, steigt um 50 Prozent, wenn der Gehalt an GFAP erhöht ist. Bereits zehn Jahre vor einer Diagnose sind die Blutwerte hier bereits auffällig.

Auch das Blutprotein NEFL, das mit geschädigten Nervenfasern in Verbindung steht, sowie das nach Gefäßverletzungen im Gehirn auftretende GDF15 fallen bei den Untersuchungen auf. In Kombination mit konventionellen Risikofaktoren wie erhöhtem Alter und genetischen Auffälligkeiten lassen die Bluttests eine recht genaue Vorhersage zu, ob jemand in den nächsten 15 Jahren an Alzheimer erkranken wird.

Technischer Fortschritt in der Alzheimer-Diagnose

Ein neuer Biosensor für Blut-, Speichel- und Urinproben befindet sich in Kalifornien in der Entwicklung. Er arbeitet mit einem Chip, der mit Elektroden verbunden ist. An jeder der Elektroden sitzt ein DNA-Stück, ein sogenanntes Aptamer, das speziell auf Amyloid, Tau oder Synuclein (bei Morbus Parkinson erhöht) reagiert. Eine Bindung des gesuchten Eiweißes, und zwar schon in geringen Konzentrationen, löst ein elektrisches Signal aus, das der Chip registriert. Der Test könnte in Altersheimen und Kliniken zum Einsatz kommen.

Möglicherweise kann bald auch eine App helfen, Alzheimer zu erkennen. Unterschiedliche Aufgabentypen, die verschiedene Hirnareale ansprechen, sollen helfen, leichte kognitive Einschränkungen früh zu erkennen. Und zwar ohne einen Arztbesuch. Die App wurde vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen gemeinsam mit dem Unternehmen neotiv entwickelt und bislang an 200 Probanden erprobt.

Ursachenforschung ist essenziell

Auch an den Ursachen für Morbus Alzheimer wird intensiv geforscht. Man weiß, dass bestimmte Genmutationen das Risiko erhöhen können, alleinige Auslöser sind sie aber nur bei rund drei Prozent der Erkrankten. Die wichtigste genetische Veränderung ist eine Variante des für Apoprotein E codierenden Gens (ApoE). Eine davon, Epsilon-4-Variante genannt, ist nur in acht Prozent aller Menschen vorhanden, in Alzheimer-Patienten jedoch zu 40 Prozent. Aber auch Menschen ohne die Variante erkranken an Alzheimer, und es gibt noch viele weitere genetische Veränderungen, die eine Rolle spielen könnten.

Die Fünf Alzheimer-Typen

Forscher haben mittlerweile fünf Subtypen der Alzheimer-Krankheit gefunden. Das Team um Betty Tijms vom Alzheimer Zentrum Amsterdam hat sich die Proteine in der Rückenmarksflüssigkeit von 419 Alzheimer-Patienten und 147 gesunden Kontrollpersonen mit Hilfe KI-gestützter Massenspektrometrie angesehen. Die Gruppierungen veränderter Proteine ließen fünf Subtypen erkennen.

  • Typ 1 ist gekennzeichnet durch gesteigerte Aktivität von Hirnzellen, was zu vermehrter Bildung von Beta-Amyloid und Tau führt.
  • Bei Typ 2 sind vor allem immunspezifische Eiweiße erhöht.
  • Bei Typ 3 steht eine Fehlregulation von DNA im Vordergrund.
  • Bei Typ 4 entstehen vermehrt Proteine aus dem Choroid Plexus. Dies ist ein Adergeflecht, das den Liquor produziert und den Transport von Stoffen durch die Blut-Hirn-Schranke regelt. Hier scheint ein vermehrter Abbau von Hirnsubstanz stattzufinden.
  • Bei Typ 5 finden sich Proteine im Liquor, die aus dem Blut stammen. Das weist auf eine Fehlfunktion der Blut-Hirn-Schranke hin.

Während Subtyp 1 am längsten überlebt und Subtyp 3 am kürzesten, sind bei Subtyp 4 die Beta-Amyloid-Spiegel deutlich erniedrigt. Wirkstoffe, die die Produktion von Beta-Amyloid verringern, könnten für diesen Subtyp also nachteilig sein.

Laufende Forschung: Weitere Alzheimer-Ursachen

Neue Forschungsergebnisse lassen schließen, dass die Verarbeitung des Amyloid-Vorläuferproteins APP eine Rolle bei der Regulierung des Fettstoffwechsels im Gehirn spielt. Bestimmte Fette, die Sulfatide, sind erniedrigt, wenn Beta-Amyloid erhöht ist und umgekehrt. Die Spaltung von APP zu Beta-Amyloid setzt ein Proteinfragment frei, das die körpereigene Synthese von Sulfatiden hemmt. Sie können aber auch mit der Nahrung aufgenommen werden, zum Beispiel durch Meeresfrüchte. Rauchen dagegen senkt den Sulfatid-Spiegel.

Auch Infektionen könnten das Alzheimer-Risiko erhöhen, wie etwa Helicobacter pylori-Infektionen, Herpes simplex oder die Grippe.

Kürzlich entdeckten Forscher zudem einen möglichen Übertragungsweg für Alzheimer von Mensch zu Mensch. Allerdings beruhte diese äußerst seltene Möglichkeit darauf, dass Menschen mit Eiweißen verunreinigte Wachstumshormone aus den Gehirnen Verstorbener injiziert bekommen hatten. Die makabre Praxis ist zum Glück seit Mitte der 1980er Jahre verboten. Über das Blut oder andere Körperflüssigkeiten kann man sich nicht anstecken, auch nicht beim Umgang mit Erkrankten!

Wer ist betroffen?

Was genau das Beta-Amyloid zum Verklumpen bringt, ist noch nicht genau geklärt. Das Risiko für eine Erkrankung steigt mit dem Alter, Männer trifft es seltener als Frauen. Im frühen Lebensalter schlechte Bildung, im mittleren Alter Schädel-Hirn-Traumata (wie durch Unfälle, Boxen oder Kopfballtraining beim Fußball) sind Faktoren, die das Erkrankungsrisiko erhöhen. Auch Rauchen, soziale Isolation im Alter und körperliche Inaktivität verschlechtern die Aussichten auf ein demenzfreies Leben. Ganz genau weiß man das aber noch nicht.

Sicher ist, dass ein gesunder, aktiver Lebensstil und kognitive Stimulation, zum Beispiel durch Rätsel, Lesen und Unterhaltungen, sowie ein gutes Hören und Sehen helfen. Wer schlecht hört oder sieht, dessen geistiger Input lässt nach, und das kann das Demenzrisiko erhöhen. Außerdem liefern Studien Hinweise darauf, dass schnelle, horizontale Augenbewegungen, wie beim Lesen, das Gehirn trainieren und seine Leistungsfähigkeit erhalten helfen.

Zu guter Letzt finden im Schlaf Reinigungsprozesse des Gehirns statt, weshalb eine gute Nachtruhe von Vorteil ist. Eine ausgewogene Ernährung, reich an Omega-3-Fettsäuren, Ballaststoffen und Antioxidantien, sowie ausreichend Bewegung unterstützen das Gefäßsystem im Allgemeinen und senken das Alzheimer-Risiko.

Alzheimer-Therapie: Symptome behandeln

Behandelt wird die Erkrankung meist symptomatisch. Bei Alzheimer besteht ein Mangel an Acetylcholin, aber andererseits ein Überschuss von Glutamat. Die Acetylcholin-Esterase-Hemmstoffe Donepezil, Galantamin und Rivastigmin halten Erkrankte noch möglichst lange alltagstauglich. Sie sollen möglichst viele Alltagsaufgaben selbst übernehmen können, gegebenenfalls mit Unterstützung. Das fördert das Selbstwertgefühl und bessert die Stimmung. Nebenwirkungen sind Übelkeit, Unruhe, Schwindel oder Durchfall. Memantin kommt bei mittlerer bis schwerer Erkrankung zum Einsatz, es wirkt als Glutamat-Antagonist. Nebenwirkungen sind hier meist weniger ausgeprägt.

Die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie votieren zudem für Ginkgo biloba-Präparate. Das ist für die Apotheke wichtig. 240 Milligramm des Extraktes EGb761® empfehlen die Autoren bei leichter bis mittlerer Demenz.

Zukunftsmusik: Impfstoffe und Antikörper

Alle Substanzen können den Untergang von Nervenzellen jedoch nicht aufhalten. Daher forscht man schon lange an weiteren Arzneimitteln. Beispielsweise befinden sich in klinischen Studien Impfstoffe gegen Beta-Amyloid, was das Immunsystem zum Abbau der Plaques anregen soll. Ergebnisse stehen noch aus.

In den USA sind zwei monoklonale Antikörper gegen Beta-Amyloid, Aducanumab und Lecanemab, zugelassen, in Europa führten Nebenwirkungen wie Hirnschwellungen und Blutungen dazu, dass der Zulassungsantrag für Aducanumab zurückgezogen wurde. Lecanemab dagegen könnte, wenn es zugelassen wird, den Leitlinienautoren zufolge zur Regeltherapie werden.

Die Tau-Fibrillen behandelt man mit Antisense-Oligonukleotiden, also kurzen RNA-Stücken, die verhindern, dass das für Tau codierende Gen abgelesen wird. Die Tau-Konzentration im Liquor sinkt so um bis zu 50 Prozent.

Es tut sich viel in der Forschung. Neue Diagnoseverfahren könnten Betroffenen Zeit schenken, und moderne Therapien machen es bald vielleicht möglich, den Verlauf der Erkrankung zu verlangsamen.

Quellen:
https://idw-online.de/de/news824910
https://idw-online.de/de/news825943
https://www.deutschealzheimer.de/fileadmin/Alz/pdf/factsheets/infoblatt5_medikamentoese_behandlung_dalzg.pdf
https://www.deutsche-alzheimer.de/fileadmin/Alz/pdf/factsheets/infoblatt4_genetik_dalzg.pdf
https://www.n-tv.de/wissen/Probleme-beim-Sehen-koennen-auf-Alzheimer-hindeuten-article24874530.html
https://www.nature.com/articles/s41746-024-00999-9
https://www.nature.com/articles/s41591-023-02729-2
https://www.scinexx.de/news/medizin/fuenf-subtypen-von-alzheimer-identifiziert/
https://www.pharmazeutische-zeitung.de/endgueltiges-aus-fuer-alzheimer-antikoerper-132953/
https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2023/daz-19-2023/ermutigende-ergebnisse-bei-alzheimer
https://www.pharmazeutische-zeitung.de/die-oldies-bleiben-die-goldies-143983/
https://www.n-tv.de/wissen/Herpesviren-koennen-Alzheimer-Risiko-verdoppeln-article24750378.html

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