Diabetes-Praxiswissen: Typ-2-Therapie neu gedacht
17 Minuten
- 1Blutzucker-Stoffwechsel
- 2Erkrankungs-Typen
- 3Diabetes-Diagnose
- 4Typ-2-Therapie: Teil I
- 5Typ-2-Therapie: Teil II
- 6Insuline
- 7Lernerfolgskontrolle
01. März 2025
In Deutschland leben schätzungsweise sieben Millionen Menschen mit Diabetes. Das sind etwa 7,2 Prozent der deutschen Bevölkerung – Tendenz steigend. Etwa 560000 Menschen kommen jedes Jahr laut Robert Koch-Institut (RKI) dazu. Betroffen sind Menschen aus allen Altersschichten mit unterschiedlichen Risikoprofilen für Folgeerkrankungen. Sie sind regelmäßig auf Beratung und Unterstützung von Apothekern und PTA angewiesen, besonders zur Umsetzung der Medikation, der Anpassung des Lebensstils und der Prävention.
In der aktuellen nationalen Versorgungsleitlinie Diabetes mellitus Typ 2 wird die Beteiligung des Patienten an der Konzeption der Therapie herausgestellt. Dem Prinzip der partizipativen Entscheidungsfindung folgend sollen Patienten nach ihren Gesundheitszielen befragt werden. Die Erkrankung und deren Behandlungsmöglichkeiten sollen dem Diabetiker erläutert werden, sodass er sich aufgrund dieser Informationen aktiv für eine Therapieoption mit dem behandelnden Arzt entscheidet.
Der Hintergrund ist, dass viele Typ-2-Diabetiker nicht therapietreu genug sind, also ihre Medikamente zum Beispiel wegen möglicher Nebenwirkungen nicht regelmäßig einnehmen. Unter Einbeziehung der Patienten sollen Therapieverständnis und Adhärenz verbessert werden. Dazu können auch Apotheker und PTA beitragen, wenn sie bei der Abgabe von Antidiabetika aufklären und Patienten zur richtigen Anwendung motivieren.
Lernziele
Lernen Sie in dieser von der Bundesapothekerkammer akkreditierten Fortbildung unter anderem,
- welche Arten von Diabetes mellitus es gibt,
- welche Veränderungen im Glucosestoffwechsel die Entstehung von Diabetes mellitus begünstigen,
- welche Risikofaktoren einen Diabetes mellitus Typ 2 fördern,
- welche Folgekrankheiten Menschen mit Diabetes mellitus Typ 2 entwickeln können,
- mit welchen Arzneimitteln Diabetes mellitus behandelt wird,
- welche Beratungsaspekte Sie bei der Abgabe von Arzneimitteln gegen Diabetes mellitus bedenken sollten und
- welche Beratungstipps zur gesunden Lebensführung Sie bei Diabetes mellitus geben können.
Fallzahlen steigen
95 Prozent der Diabetiker leiden unter Diabetes mellitus Typ 2. Besonders problematisch ist die hohe Dunkelziffer: Rund zwei Prozent der Deutschen wissen nichts von ihrer Erkrankung, obwohl Diabetes oft bereits im Verborgenen Schäden an Gefäßen und Organen verursacht. Aufgrund der besseren Screenings ist die Zahl der unerkannten Diabetiker jedoch in den letzten Jahren gesunken.
Bedenklich ist die steigende Zahl der jungen Menschen, die an Typ-2-Diabetes erkranken. Diese Entwicklung hat einen engen Zusammenhang mit den Hauptrisikofaktoren der Erkrankung, nämlich Bewegungsmangel und hyperkalorischer Ernährung.
Auch die Rate der Typ-1-Diabetes-Neuerkrankungen steigt jährlich um 3,5 Prozent an. In der Gruppe der Typ-1-Diabetiker sind 32000 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren erkrankt.
Regulieren den Blutzuckerstoffwechsel: Insulin und Glucagon
Es trägt zum Therapieverständnis der Patienten bei, wenn er die Vorgänge versteht, die im Glucosestoffwechsel ablaufen. Glucose, die über die Nahrung aufgenommen wird, ist die wichtigste Energiequelle des Körpers. Sie wird benötigt für
- die Funktionen der Organe,
- des Stoffwechsels,
- der Bewegungsabläufe
- und in besonders hohem Maße für die Prozesse im Gehirn.
Entscheidend ist, dass der Blutzuckerspiegel immer in einem gewissen Normbereich liegt und nicht zu sehr ansteigt oder abfällt.
Die Hormone Insulin und Glucagon regulieren den Glucosestoffwechsel. Steigt der Blutzuckerspiegel nach einer Mahlzeit, produzieren die Langerhans‘schen Zellen der Bauchspeicheldrüse Insulin. Insulin sorgt dafür, dass Glucose in die Zellen transportiert wird und dort zur Energiegewinnung zur Verfügung steht.
Durch den Transport der Glucose in die Zellen sinkt der Zuckerspiegel im Blut. Das wiederum regt die Glucagonsynthese an. Glucagon ist der Gegenspieler des Insulins. Es bremst zum einen die durch Insulin gesteuerte Glucoseaufnahme in die Körperzellen. Zum anderen regt es die Leber dazu an, Glucose zu bilden und ins Blut abzugeben.
Bei Diabetikern ist der beschriebene Prozess gestört.
Beim Diabetes Typ 1 fehlt das Insulin komplett. Aufgrund des Insulindefizits reichert sich Glucose im Blut an, ist aber nicht für die Muskeln und Organe verfügbar. Da Erkrankte ihren Energiebedarf nun aus dem Fettabbau decken müssen, kommt es zu einem ungewollten Gewichtsverlust in kurzer Zeit.
Glucagon sorgt für eine ungebremste Gluconeogenese und weiter steigende Blutzuckerwerte. Wird die Nierenschwelle überschritten, wird vermehrt Glucose über den Urin ausgeschieden. Der Diabetiker leidet typischerweise unter einer Polyurie – einem häufigen Wasserlassen begleitet von einem starken Durstgefühl.
Beim Diabetes Typ 2 entwickeln sich zunächst langsam eine Glucosetoleranz und Insulinresistenz, die eine Erhöhung der Blutzuckerwerte zur Folge haben. Es entsteht ein schleichender relativer Insulinmangel. Das macht den Beginn der Erkrankung unauffällig und ist der Grund dafür, dass ein Prädiabetes zunächst oftmals nicht entdeckt wird.
Spielen auch mit: Inkretine
Seit den 1960er-Jahren sind außerdem Inkretine als weitere Regulatoren des Blutzuckerspiegels bekannt. Bei einer Nahrungsaufnahme stimulieren die Inkretinhormone die Sekretion von Insulin in Abhängigkeit vom aktuellen Plasma-Glucosespiegel. Zugleich wird die Ausschüttung von Glucagon gehemmt und die Magenentleerung gebremst, was zu einem längeren Sättigungsgefühl führt. Man kennt heute die Inkretine Glucagon-like peptide (GLP-1) und Glucose dependent insulinotropic peptide (GIP).
Bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 ist die Sekretion von Inkretinen nach dem Essen vermindert.