Jemand wischt mit einem Schwamm über eine staubige Oberfläche; der Schwamm hinterlässt eine saubere Spur.© KatarzynaBialasiewicz / iStock / Getty Images Plus
Wie Staub an einem Schwamm haftet sich Interferon-gamma an das Bindegewebe zwischen unseren Zellen. So kann es im restlichen Körper keinen Schaden anrichten.

Zytokine

WIE DER KÖRPER ÜBERSCHIESSENDE IMMUNREAKTIONEN VERHINDERT

Immunbotenstoffe sollen nur da wirken, wo sie gebraucht werden – tun sie dies nicht, kommt es zu Autoimmunerkrankungen oder gar zu lebensbedrohlichen Zuständen. Dem Mechanismus, der der unkontrollierten Ausbreitung entgegenwirkt, ist die Forschung nun ein Stück näher gekommen.

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Wenn T-Zellen des Immunsystems miteinander kommunizieren, tun sie dies mithilfe von Zytokinen. Eins davon ist das Interferon-gamma. Das besondere Protein setzt die Körperabwehr in Gang, die dann beispielsweise gegen Viren und Bakterien schießt.

Damit das nicht außer Kontrolle gerät – man spricht dann von überschießender Immunabwehr, denken Sie zum Beispiel an den Zytokinsturm bei COVID-19 –  hat sich unser Körper Kontrollmechanismen überlegt. Einer davon wurde jetzt entschlüsselt.

Interferon-gamma und das KRKR-Motiv – Partners in crime

Und zwar kann sich das Interferon über vier Aminosäuren an die extrazelluläre Matrix des Bindegewebes heften, die als eine Art Botengang zwischen den einzelnen Zellen liegt. Denn die vier Aminosäuren des Interferons sind positiv geladen, die extrazelluläre Matrix negativ. Das Anheften verhindert, dass sich der Botenstoff im ganzen Körper ausbreitet und dort mehr Nutzen als Schaden anrichtet.

Ein Wissenschaftler namens Professor Thomas Blankenstein vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft machte schon vor Jahren die Beobachtung, dass der molekulare Aufbau des Interferons-gamma zwar je nach Spezies recht unterschiedlich ist. Dass jedoch der kurze Abschnitt der vier Aminosäuren – KRKR-Motiv genannt – über die gesamte Evolution der Wirbeltiere, die immerhin 450 Millionen Jahre dauerte, in allen untersuchten Arten unverändert erhalten blieb.

Der Clip, der Interferon-gamma an die Zelle bindet, bleibt also immer gleich. Was die Hypothese nahe legt, dass das KRKR-Motiv für die Funktion des Zytokins eine wichtige Rolle spielt.

Zu viel Interferon-gamma: toxisch

Versuchsmäusen wurde also der Botenstoff eingespritzt, und siehe da: „In diesen Modellen sahen wir bereits, dass Interferon-gamma recht schnell sehr giftig wird und die Tiere bei größeren Mengen im Blut innerhalb weniger Tage erkranken“, erklärt Dr. Thomas Kammertöns aus der Arbeitsgruppe Blankensteins.

Man beobachtete aber auch, wie das Interferon in Schach gehalten wurde: Nämlich durch seine vier positiv geladenen Aminosäuren, die sich an die negativ geladene extrazelluläre Matrix hefteten, genauer gesagt an das Molekül Heparansulfat. Da sich die Struktur von Heparansulfat aber je nach Gewebe und Zelltyp unterscheidet, kann auch die Fähigkeit des Bindegewebes, das Interferon zu binden, variieren.

Kurze Zeit kann die Immunantwort auch ohne KRKR zielgerichtet funktionieren

Und jetzt wird es ein bisschen kompliziert: Lange Zeit hatte man geglaubt, dass Interferon-gamma ohne die KRKR-Bindungsstelle gar nicht funktioniert. Im nächsten Schritt veränderte die Forschungsgruppe mit Hilfe der Genschere Crisp-Cas9 deshalb die Mäuse so, dass sie gezielt Interferon-Moleküle ohne KRKR-Motiv herstellten.

Und siehe da: Das stimmte gar nicht. Das Team konnte zeigen, dass sich das Interferon-gamma auch ohne KRKR wie gewohnt an seinen Rezeptor an der Zelle heftet und damit seinen üblichen Aufgaben bei der Immunantwort nachkommt. „Immunantworten, bei denen es nur zu sehr kurzen Entzündungsreaktionen kommt, wurden vom Immunsystem der Tiere noch reguliert“, berichtet Kammertöns.

Mechanismus verhindert zu hohe Zytokin-Konzentration im Blut

Anders, wenn man die Mäuse mit LCM-Viren infizierte, die eine Grippe-ähnliche Erkrankung hervorrufen und das Immunsystem über eine längere Zeit beschäftigen. Die genveränderten Tiere wurden aufgrund der hohen Interferon-Konzentration im Blut schnell krank.

Die Erstautorin der Studie, Josephine Kemna, sagt dazu: „Aus meiner Sicht stellt die Arbeit klar, dass unser Immunsystem hochpotente Mechanismen entwickelt hat, um die eigene Immunabwehr in Schach zu halten.“ Greifen diese Mechanismen nicht, könne es sein, dass das Immunsystem dem eigenen Organismus schade, weil bestimmte Moleküle sich systemisch ausbreiten und dies toxisch wirke. „Der von uns vorgestellte Mechanismus zeigt, dass die Evolution dafür gesorgt hat, dass die toxischen Moleküle in der Regel nur dort wirken, wo sie gebraucht werden – nämlich da, wo die T-Zelle eine Virus-infizierte Zelle erkennt.“

Nur vier Aminosäuren schützen vor dem Tod

Da die extrazelluläre Matrix bei Frauen und Männern ganz unterschiedlich aufgebaut ist, kann der jetzt entdeckte Mechanismus womöglich auch erklären, warum manche Infektions- und Autoimmunerkrankung bei Frauen und Männern so unterschiedlich verläuft.

Als Fazit resümiert Blankenstein: „Im Laufe der Evolution hat das Immunsystem in einem Aufrüstungskampf gegen Pathogene immer stärkere Waffen entwickelt. Unsere Arbeit zeigt einen neuen Mechanismus auf, der dieser Aufrüstung entgegenwirkt, ohne die Effizienz der Immunantwort zu vermindern: Nur vier Aminosäuren im Interferon-gamma stellen sicher, dass nicht viel mehr Menschen an Infektionen sterben.“

Quelle: Informationsdienst Wissenschaft

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