Ein ungeborenes Kind in der Fruchtblase an der Placenta© Leptospira / iStock / Getty Images Plus
Wie kommunizieren die Zellen einer werdenden Mutter und ihres ungeborenen Kindes, damit das Kind versorgt wird und das Immunsystem der Mutter es nicht abstößt? Die Antwort haben Forschende jetzt entschlüsselt.

Zellatlas

KOMMUNIKATION ZWISCHEN EMBRYO UND ZELLEN DER MUTTER ENTSCHLÜSSELT

Das Heranwachsen eines kleinen Menschen im Mutterleib wird auch als das Wunder des Lebens bezeichnet. Entsprechend kompliziert sind die Prozesse, die dabei zwischen den Zellen von Mutter und Kind ablaufen. Erstmals ist es gelungen, dieser Kommunikation auf den Grund zu gehen.

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Forscher um Shirley Greenbaum an der Stanford University in Kalifornien konnten mit neuen Bildgebungsverfahren zeigen, wie kindliche Zellen und der mütterliche Organismus kommunizieren. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Plazenta.

Die Ergebnisse der Untersuchungen könnten helfen, Schwangerschaftskomplikationen zu verhindern, Unfruchtbarkeit und Krebs zu behandeln. Oder sie könnten Organtransplantationen unterstützen.

Wie kommunizieren Mutter und Embryo?

Shirley Greenbaum und ihr Team wiesen nach, wie der kindliche Teil der Plazenta die Arterien in der Gebärmutter verändert, um die Blutversorgung des Babys sicherzustellen. Und sie zeigten, wie das mütterliche Immunsystem sich an den fremden Organismus anpasst.

Insgesamt hat das Team Gewebeproben aus der Plazenta von 66 Frauen untersucht, die ihre Schwangerschaft zwischen der sechsten und der zwanzigsten Woche beenden ließen. Mittels spezieller Bildtechnologie gelang es, den Verlauf der Umbaumaßnahmen an den mütterlichen Gefäßen und auch die Veränderungen im Immunsystem der Mutter zeitlich genau nachzuvollziehen.

Wie die Plazenta entsteht
Nach der Befruchtung teilen sich die Zellen und differenzieren sich nach und nach in verschiedene Zelltypen. Ein Teil der Zellen wird zum Embryo, ein weiterer zum sogenannten Trophoblasten. Aus diesem entsteht der kindliche Teil der Plazenta.
Die Trophoblasten-Zellen wachsen in die Gebärmutterschleimhaut ein und beginnen dort, mit dem Immunsystem der Mutter zu interagieren. Mütterlicherseits verändern sich die Arterien, um die Blutzufuhr des Embryos sicherzustellen.
Es bildet sich eine dreischichtige Plazenta: ein kindlicher Teil, ein mütterlicher Teil und ein mit mütterlichem Blut gefüllter Zwischenraum, der die Versorgung des Embryos mit Nährstoffen erleichtert.

Immunzellen und Arterien im Wandel

Schon länger weiß man, dass kindliche Trophoblasten-Zellen in den mütterlichen Arterien der Gebärmutter wachsen. Aber es war nicht klar, wie sie dorthin gelangen. Die aktuellen Untersuchungen zeigen, dass sie von außen nach innen durch die Gefäßwand der Arterien wandern.

Die mütterlichen Arterien verändern sich auch nicht alle gleichzeitig, sondern werden nach und nach umgebaut. Im Frühstadium der Schwangerschaft sind die Arterien muskulös, im weiteren Verlauf baut sich die glatte Muskulatur der Gefäßwände zunehmend ab. Das sorgt für einen starken, aber langsamen Blutfluss zum Baby.

Zwischen der sechsten und der achten Schwangerschaftswoche überwiegen in der Plazenta mütterliche Immunzellen, die fremde Zellen angreifen. Im Laufe der Schwangerschaft wandern zunehmend tolerante Zellen ein.

Diese Wachablöse führt dazu, dass der mütterliche Organismus den Embryo nicht abstößt. Schließlich weicht er genetisch von den Zellen der Mutter ab; Immunzellen könnten ihn als „fremd“ und somit „gefährlich“ einstufen.

Nutzen für viele Bereiche

Können sich die Arterien in der Frühschwangerschaft nicht ausreichend ausdehnen, steigt als Ausgleich der Blutdruck der Mutter. Der Prozess, auch Präeklampsie genannt, kann zum einen die Organe der Mutter schädigen, zum anderen auch den Embryo gefährden. Möglicherweise, so die Hoffnung des beteiligten Forschers Michael Angelo, können die gewonnenen Erkenntnisse in Zukunft helfen, diese gefürchtete Schwangerschaftskomplikation im Vorfeld zu erkennen und zu verhindern.

Der Blick auf die Immunzellen in Plazentaproben ist laut Angelo eine genaue Uhr und erlaubt es, das Alter des Embryos recht exakt zu bestimmen. Außerdem könnten die gewonnenen Erkenntnisse nützlich sein, um bestimmte Arten von Unfruchtbarkeit zu erklären.

Nach Organtransplantationen, wo es ebenfalls darauf ankommt, dass fremdes Material akzeptiert wird, oder in der Krebsforschung ist es ebenfalls gut möglich, dass die Studie aus Stanford Fortschritte bringt. Krebszellen wenden ähnliche Methoden an wie Trophoblastenzellen, um das Immunsystem auszuschalten; möglich wären also auch hier neue Ansätze.

Projekt Zellatlas
Die Untersuchung ist Teil des großen, vom US-Gesundheitsministerium geförderten Projektes Human BioMolecular Atlas Program (HuBMAP). Hier soll eine Art Atlas der menschlichen Organe auf zellulärer Ebene erstellt werden. Die Ergebnisse könnten helfen, die Anordnung und die Interaktionen zwischen den Zellen besser zu verstehen.

Quellen:
https://www.wissenschaft.de/gesundheit-medizin/zellatlas-zeigt-schnittstelle-zwischen-mutter-und-kind/
Greenbaum, S., Averbukh, I., Soon, E. et al.: „A spatially resolved timeline of the human maternal–fetal interface”, Nature, 19. Juli 2023. https://doi.org/10.1038/s41586-023-06298-9
https://hubmapconsortium.org/#

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