3D-Illustration von verschiedenen Pollen in der Nahaufnahme© Dr_Microbe / iStock / Getty Images Plus
Pollen – so klein und doch so gefährlich. Sie gehören zu den häufigsten Auslösern einer allergischen Reaktion.

Repetitorium

ALLERGIEN – TEIL 1

In Deutschland ist schätzungsweise jeder Dritte von einer überschießenden Immunreaktion betroffen. Davon leidet fast jeder Zweite gleich unter mehreren allergischen Erscheinungsformen. Was geschieht da im Körper und wie behandelt man Allergien heute?

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Allergien gab es bereits in der Antike. Man geht davon aus, dass der ägyptische Pharao Menes an den Folgen eines Wespenstiches verstarb. Der Begriff der Allergie wurde aber erst Anfang des 20. Jahrhunderts vom Kinderarzt und Immunologen Clemens von Piquet geprägt.

Allergie (griech. allos = anders und ergon = Reaktion) umschreibt die veränderte Reaktion des Körpers auf körperfremde Stoffe, die eigentlich harmlos sind. Das Abwehrsystemeines Allergikers stuft sie aber als gefährlich ein und setzt eine überschießende Abwehrreaktion auf diesen als Allergen bezeichneten Fremdstoff in Gang.

Allergieauslöser

Theoretisch kann jeder Fremdstoff eine Überreaktion, also eine Allergie auslösen, sofern sein Molekül eine bestimmte Größe besitzt. Einerseits muss es groß und auch recht kompliziert aufgebaut sein, andererseits muss es aber klein genug sein, um Haut und Schleimhäutedurchdringen zu können.

Schätzungen zu Folge ist für circa 20 000 Substanzen eine allergieauslösende Wirkung bekannt, wobei 90 Prozent der Allergiker unter einer begrenzten Anzahl von Allergen leiden. Diese lassen sich in folgende Kategorien einteilen:

  • Inhalationsallergene: z. B. Blütenpollen, Schimmelpilzsporen, Mehl, Holzstaub, Milbenkot, Tierepithelien (tierische Ausscheidungsprodukte, die an Haaren oder Federn kleben)
  • Nahrungsmittelallergene: z. B. Milch, Ei, Getreide, Fisch, Hülsenfrüchte, Soja, Nüsse, Gewürze, Farbstoffe, Konservierungsmittel, Obst
  • Insektengiftallergene: z. B. Wespen-, Biene-, Hummeln-, Hornissengift
  • Kontaktallergene: z. B. Kosmetika, Haarfärbemittel, Nickel- und Chrom-haltiger Schmuck, Wolle, Latex, Wasch- und Putzmittel
  • Arzneimittelallergene: z. B. Penicillin und andere Antibiotika, Sulfonamide, Schmerzmittel

Allergische Reaktionen

Sie können von schwach bis lebensbedrohlich ausfallen und sich an den unterschiedlichsten Stellen zeigen. Typische Manifestationen sind die Schleimhäute des Nasen-Rachen-Raums, der Augen und des Magen-Darms-Traktes sowie die Haut. Am häufigsten leiden Betroffene an allergischer Rhinitis, allergischem Asthma und atopischer Dermatitis. Diese drei allergischen Erscheinungsformen werden als atopische Krankheiten oder als Erkrankungen des atopischen Formenkreises bezeichnet. Sie können einzeln, gleichzeitig oder zeitlich versetzt auftreten. Daneben ist noch das Kontaktekzem weit verbreitet.

Die allergischen Reaktionen lassen sich anhand ihrer zugrunde liegenden Immunmechanismen in verschiedene Typen einteilen (Typ I, II, III und IV). Am häufigsten reagiert der Körper mit einer Sofortreaktion (Typ I), die als Soforttyp oder Typ-I-Reaktion bezeichnet wird. Soforttyp deshalb, weil die allergischen Beschwerden in der Regel innerhalb weniger Sekunden bis Minuten nach Kontakt des Allergens mit Haut oder Schleimhaut auftreten.

Seltener tritt sie verzögert nach vier bis sechs Stunden ein. 90 Prozent aller allergischen Reaktion zählen zum Typ I. Dabei spielen spezifische Antikörper vom Immunglobulin-Typ E (IgE) eine Rolle, weshalb man auch von einer IgE-vermittelten Reaktion spricht. Typische Beispiele für Allergien vom Typ I sind die Erkrankungen des atopischen Formenkreises, die Nesselsucht (Urtikaria), Insektengiftallergien sowie der anaphylaktische Schock. Die häufigsten Auslöser dafür sind Pollen, Milbenkot, Nahrungsmittel, Insektengifte sowie Tierhaare.

Bevor jedoch eine allergische Reaktion einsetzt, muss eine – in der Regel symptomlos verlaufende – Sensibilisierung stattgefunden haben. Dabei bilden B-Lymphozyten bei Erstkontakt mit einem Fremdstoff Antikörper, also IgE, die sich gegen dieses Allergen richten. Die IgE setzen sich anschließend auf die Oberfläche von Mastzellen und warten dort quasi auf den erneuten Kontakt mit „ihrem“ Allergen. Mastzellen sind Zellen der körpereigenen Abwehr, die Entzündungsstoffe (Mediatoren) speichern und mit spezifischen Bindungsstellen für IgE-Antikörper ausgestattet sind. Sie befinden sich im Blut und Körpergeweben, insbesondere in der Haut sowie in den Schleimhäuten von Nase, Mund, Augen, Atmungsorganen und Darm.

Kommt es zu einem wiederholten Kontakt mit dem Allergen (Antigen), wird dieses in der zweiten Reaktionsphase an seine spezifischen IgE-Antikörper auf den Mastzellen gebunden. Bei dieser Antigen-Antikörper-Reaktion überbrückt ein Antigen zwei benachbarte Antikörper (bridging) und bringt damit die Mastzelle zum Platzen (Degranulation). Die Mastzellen entleeren sich und setzen dabei Entzündungsstoffe frei. Der wichtigste Mediator ist Histamin, der an H1-Rezeptoren verschiedener Körpergewebe bindet und eine lokale Vasodilatation und erhöhte Permeabilität der Gefäße verursacht.

Typische allergische Symptome wie Rötung, Schwellung, Juckreiz, verstärkte Schleimsekretion, Ödeme, Quaddelbildung oder Muskelkontraktion sind die Folge, die beispielsweise in der Nase zur allergischen Rhinitis, im Mund- und Rachenraum zum Glottisödem oder in den Bronchien zum Asthmaanfall und im schlimmsten Fall zu einem anaphylaktischen Schock führen.

Neben Histamin spielen noch Leukotriene und andere zelltoxische Mediatoren eine Rolle. Sie werden ungefähr vier bis 24 Stunden nach Allergenkontakt im Rahmen einer Spätphasenreaktion über aktivierte eosinophile Granulozyten sezerniert und lösen eine chronische Entzündung der Nasenschleimhaut, eine vermehrte nasale Obstruktion sowie eine nasale Hyperreaktivität auf unspezifische Reize (z. B. Temperaturänderungen, Tabakrauch, Abgase, Duftstoffe) aus.

Weitere allergische Reaktionstypen

Ein ebenfalls häufiger Allergietyp ist die Typ-IV-Allergie oder Typ-IV-Reaktion. Sie ist nicht wie Typ I humoral durch Antikörper, sondern zellulär durch sensibilisierte T-Lymphozyten vermittelt. Diese wandern an die Kontaktstelle des Allergens und führen nach einer erneuten Allergenexposition zu einer Gewebsentzündung, die sich mit juckenden, geröteten Quaddeln zeigt. Nach diesem Reaktionsmuster verlaufen beispielsweise Transplantat-Abstoßungsreaktionen oder das allergische Kontaktekzem.

Häufige Kontaktallergene sind diverse Inhaltsstoffe von Kosmetika, Latex oder Metalle wie Nickel. Da die allergischen Symptome erst 12 bis 48 (72) Stunden nach Allergenkontakt einsetzen, wird dieser Reaktionstyp auch als Spättyp bezeichnet. In selten Fällen macht sich die Spätreaktion auch erst nach Wochen bemerkbar.

Bei den sehr seltenen Allergien vom Typ II und III sind wieder wie bei der Sofortreaktion (Typ I) Antikörper die Hauptakteure. Bei der zytotoxischen Reaktion (Typ II) bilden sich innerhalb weniger Stunden Immunkomplexe aus zellständigen Antigenen und im Blut kreisenden Antikörpern (IgM, IgG), die eine Zerstörung (Lyse) körpereigener Zellen einleiten. Beispiel für eine Typ-II-Allergie ist eine Agranulozytose, bei der es durch Arzneistoffe wie Metamizol zur Zytolyse kommt, oder die Zerstörung von Erythrozyten nach einer Bluttransfusion mit einer falschen Blutgruppe.

Bei einer Typ-III-Allergie handelt es sich um eine allergische Immunkomplex-Reaktion. Es bilden sich Komplexe aus Allergenen und Antikörpern (IgM, IgG), die sowohl zellständig sein können als auch frei im Blut schwimmen, und Entzündungsreaktionen mit Freisetzung zytotoxischer Enzyme auslösen. Bekannte Beispiele dafür sind die exogene allergische Alveolitis (Farmerlunge) oder die allergische Vaskulitis.

Allen allergischen Reaktionstypen liegt eine immunologische Reaktion zugrunde, bei der sich entweder spezifische Antikörper oder spezifische Immunzellen bilden. Davon abzugrenzen sind Unverträglichkeits- oder Überempfindlichkeitsreaktionen. Sie werden häufig mit einer Allergie verwechselt, sind aber nicht-immunologisch bedingt. Bei ihnen spielen vielmehr Pathomechanismen unterschiedlichster Art (z. B. Enzymmangel, Transporterdefekte) eine Rolle. Ebenso sind Autoimmunkrankheiten zu differenzieren. Hier liegt eine fehlgerichtete Immunantwort auf körpereigene Strukturen vor.

Vererbt und erworben

Die Neigung, an einer Allergie zu erkranken, ist vererbbar, was als Atopie bezeichnet wird. Dabei wird nicht die Erscheinungsform der Allergie weitergegeben, sondern lediglich die erhöhte Bereitschaft, auf Fremdstoffe schneller, leichter und stärker zu reagieren. Prinzipiell hat jeder – auch ohne allergievorbelastete Eltern – ein Grundrisiko von 15 Prozent, eine atopische Erkrankung zu entwickeln. Dies erhöht sich auf circa 20 bis 40 Prozent, wenn ein Elternteil allergisch ist. Sind beide Eltern Allergiker, beträgt das Risiko der Kinder 50 bis 60 Prozent und schnellt auf 60 bis 80 Prozent, wenn beide Eltern unter der gleichen Allergie leiden.

Damit eine Allergie zum Ausbruch kommt, müssen neben der Allergieveranlagung noch verschiedene äußere Einflussfaktoren dazukommen. Man geht von einer multifaktoriellen Genese aus, wobei verschiedene Aspekte diskutiert werden. Vor allem werden frühkindliche Infektionen, Ernährungsgewohnheiten, Allergendosierung, Innenraumbelastung (z. B. Schimmelpilzsporen, Tabakrauch), Luftverschmutzung (z. B. Schwefeldioxid, Feinstäube, Ozon) sowie der westliche Lebensstil mit dem Auftreten von Allergien in Verbindung gebracht. Im Fokus der Diskussion steht dabei immer wieder die Hygiene-Hypothese. Hierbei gehen Forscher davon aus, dass in den industrialisierten Ländern eine übertriebene Hygiene zu einer mangelnden Aktivierung des kindlichen Immunsystems und damit zum Auftreten von Allergien führt.

Kinder, die auf einem Bauernhof mit traditioneller Rinderhaltung aufwachsen, trainieren hingegen ihr Immunsystem, da sie dort einem speziellen Molkenprotein aus Stallstaub, direkter Umgebungsluft und Rohmilch begegnen. Man spricht dabei auch vom „Bauernhof-Effekt“.

Allergene aufspüren, Allergien bestätigen

Es stehen verschiedene Testverfahren zur Verfügung, mit denen man auf die Suche nach Allergenen geht. Dazu zählen Hauttests, Blutuntersuchungen und Provokationstests. Hauttests werden als Such- oder Bestätigungstest durchgeführt. Dafür werden Allergenextrakte auf oder unter die Haut gebracht, die bei sensibilisierten Personen eine Rötung oder Schwellung auslösen. Bei Verdacht auf eine Allergie vom Soforttyp wird standardmäßig ein Pricktest durchgeführt. Dabei wird mit einer Lanzette ein Auszug des möglichen Allergens in die oberste Hautschicht des Unterarms geritzt und nach wenigen Minuten überprüft, ob die Haut reagiert.

Ekzeme aufgrund einer Allergie vom Spättyp lassen sich mit einem Epicutan-(Pflaster-)Test erfassen. Hierfür werden mit Allergenlösung getränkte Testpflaster auf die Haut (meist auf den Rücken) geklebt. Eine Kontrolle auf Rötung, Schwellung oder Bläschen erfolgt nach 24, 48 und 72 Stunden. Während der Pricktest nur einen Hinweis auf eine bestehende Sensibilisierung und keinen Beweis für eine aktuell vorliegende Allergie gibt, stellt der Epicutan-Test gleichzeitig einen organbezogenen Provokationstest dar.

Mit dem RAST-Test (Radio-Allergen-Sorbent-Test), einer Blutuntersuchung, werden spezifische IgE gegen wichtige Inhalationsallergene quantitativ erfasst. Man benutzt diesen Test oftmals zur Bestätigung einer möglichen Sensibilisierung, die sich schon im Hauttest gezeigt hat. Er kommt aber auch bei Personen zum Einsatz, auf deren Haut Hauttests nicht durchführbar sind. Das ist beispielsweise bei Patienten mit Neurodermitis oder bei hochgradig sensibilisierten Personen der Fall.

Mit Provokationstests lässt sich eine klinisch relevante Allergie von einer reinen Sensibilisierung abgrenzen. Hierzu werden die Allergene dem Körper auf die Art und Weise zugeführt, wie es auch in der Realität geschieht (z. B. per Inhalation, oral, kutan).

Neueste Therapieoption

Auf den Erkenntnissen der Hygiene-Hypothese, die auf dem „Bauernhof-Effekt“ beruht, basiert die Entwicklung einer Lutschtablette mit einem von Kühen abgesonderten Protein, dem Beta-Lactoglobulin. Sie stellt eine alternative Therapieoption zur Anwendung von Antihistaminika oder Glucocorticoid-haltigen Nasensprays dar.

Mit der Lutschtablette soll das bei Allergikern bestehende nutritive Defizit, insbesondere der intrazelluläre Eisenmangel, ausgleichen werden. Das Beta-Lactoglobulin aus der Molke von Bio-Rohmilch ist mit Vitamin A, Zink und Eisen beladen. Beim Lutschen gelangen die drei für Patienten mit allergischer Rhinitis wichtigen Nährstoffe direkt in die Immunzellen hinein. Auf diese Weise sollen der spezifische Nährstoffbedarf der Immunzellen ausgeglichen und die Entzündung gehemmt werden.

Idealerweise wird die „Kuhstallpille“ über drei Monate appliziert, erste spürbare Effekte können aber bereits nach einem Monat eintreten. Vor allem profitieren Hausstaubmilben-Allergiker, aber auch bei Katzenallergikern lassen sich gute Effekte erzielen, wie kürzlich durchgeführte Untersuchungen belegen. Eine Tablettenkur kann grundsätzlich jederzeit begonnen werden. Erwachsene nehmen dafür täglich zwei Lutschtabletten ein und Kinder ab drei Jahren täglich eine.

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