Gehirnzellen© Christoph Burgstedt / iStock / Getty Images Plus
Feinverästelte Zellen tasten mit ihren Armen die Hirnumgebung ab und fahnden nach potenziellen Gefahren.

Multiple Sklerose

BAKTERIEN DER LUNGE BEEINFLUSSEN GEHIRN

Von der Darm-Hirn-Achse haben viele schon öfter gehört. Doch der Einfluss unseres Mikrobioms und dessen Zusammensetzung scheint noch größer zu sein. Bei ihrer Forschung zu Autoimmunprozessen stießen Wissenschaftler*innen unlängst auf die Lunge-Hirn-Achse.

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Überall dort, wo der menschliche Körper mit seiner Umwelt in Kontakt tritt, finden sich Bakterien. Dieses Mikrobiom übernimmt vielfältige Aufgaben, nicht zuletzt als schützende Barriere vor potenziellen Krankheitserregern. Während die Zusammensetzung dieser natürlichen Besiedelung von Darm und Haut vergleichsweise gut erforscht ist, tappt man bei der Mikrobiota der Lunge noch im Dunkeln. Lange Zeit dachte man sogar, die Lunge sei steril. Mittlerweile weiß man, dass sie existiert, wenn auch die Mikrobenzahl um mehr als den Faktor geringer ausfällt als die des Darms. 

Die Lunge versorgt unser Gehirn kontinuierlich mit Sauerstoff. Ihr Einfluss geht aber noch weiter. So konnte bereits beobachtet werden, dass Lungeninfektionen oder Rauchen das Risiko erhöhen, an Multipler Sklerose zu erkranken. Das Team um Prof. Dr. Alexander Flügel und Prof. Dr. Francesca Odoardi des Instituts für Neuroimmunologie und Multiple-Sklerose-Forschung der Universitätsmedizin Göttingen entdeckte nun sogar eine noch engere Beziehung zwischen Lunge und Gehirn – unter Beteiligung körpereigener Mikroorganismen. 

Enge Kommunikation trotz Distanz

Die unerwartete Entdeckung der Forschenden: Diese Mikroorgansimen senden ständig Signale an bestimmte Zellen des Gehirns, die Mikroglia. Die feinverästelten Zellen tasten mit ihren Armen die Hirnumgebung ab und fahnden nach potenziellen Gefahren, um schlimmstenfalls Alarm zu schlagen und die komplette Abwehr-Streitkraft auf den Plan zu rufen. „Die Mikroglia passt ihre immunologische Reaktionsfähigkeit entsprechend diesen mikrobiellen Signalen an und kann daher rechtzeitig auf drohende Gefahren reagieren“, sagt Dr. Leon Hosang, Postdoktorand und Klaus Faber Fellow am Institut für Neuroimmunologie und Multiple-Sklerose-Forschung und Erstautor der Studie. „Das Lungenmikrobiom wirkt daher als eine Art Frühwarnsystem für das empfindliche Gehirngewebe“, sagt Francesca Odoardi, Heisenberg Professorin am Institut für Neuroimmunologin und MS-Forschung der UMG und Ko-Senior-Autorin der Publikation. So lassen sich die Einflüsse von Infektionen oder Rauchen auf den Zustand des Gehirns erklären.
 

Lungenmikrobiom verlangsamt Gliazellen

Wie sensibel diese Kommunikation ist, wird dem Team klar, als sie die Mikrobiota mit geringen Antibiotika-Dosen behandelte. Durch diese Manipulation entstanden deutlich messbare, sogar mikroskopisch sichtbare Veränderungen der Mikroglia: Ihre zarten Verästelungen zeigten sich verkürzt und verdickt. Sie reagierten weniger stark auf Entzündungsprozesse im Hirngewebe, Immun-Eskalationen blieben aus. Das Gehirn reagierte so weniger empfänglich für autoimmune Entzündungsprozesse, in deren Ursprung auch die Multiple Sklerose liegt. Die Untersuchung der Lungenbakterien lieferte anschließend einen entscheidenden Faktor: Bakterien mit Lipopolysaccharidhaltiger Zellwand. Diese sammelten sich nach Antibiotikagabe verstärkt im Lungengewebe an und lösten die Mikroglia-Lähmung aus. Im Umkehrschluss führte eine Senkung des Lipopolysaccharids zu einer verstärkten Autoimmunentzündungs-Anfälligkeit. 

„Möglicherweise lässt sich diese neue Lunge-Hirn-Achse sogar therapeutisch einsetzen“, sagt Prof. Dr. Alexander Flügel, Ko-Senior-Autor der Publikation. „So könnte eine gezielte Gabe von Probiotika oder bestimmten Antibiotika dazu genutzt werden die Immunreaktionen des Gehirns gezielt zu beeinflussen und damit nicht nur Multiple Sklerose, sondern generell Erkrankungen unseres Zentralnervensystems, bei denen die Immunaktivität der Mikroglia eine Rolle spielt, zu behandeln“.

Quelle: Informationsdienst Wissenschaft
 

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