Krankheiten im Kindesalter
KEIN KINDERSPIEL
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Rotaviren sind hochansteckend: Bereits zehn Viruspartikel reichen aus, um ein Kind zu infizieren. Zum Vergleich: Ein Gramm Stuhl enthält mehrere Milliarden Viren, die außerdem extrem widerstandsfähig sind und auf Oberflächen mehrere Tage überdauern können. Kein Wunder, dass sie der Haupterreger von Durchfallerkrankungen bei Kindern sind: Das erste Mal erwischt es die Kleinen am häufigsten im Alter zwischen sechs Monaten und zwei Jahren. Bis zum Alter von drei Jahren haben neun von zehn Kindern eine Infektion durchgemacht, im Alter von fünf Jahren so gut wie alle. Etwa die Hälfte der Betroffenen muss im Krankenhaus behandelt werden.
Der Erreger Rotaviren kommen weltweit vor, das Hauptreservoir ist der Mensch. Zwar wurden Infektionen auch bei Haustieren nachgewiesen, sie scheinen für Infektionen beim Menschen aber keine relevante Rolle zu spielen. Die Übertragung erfolgt ganz überwiegend fäkal-oral, also indem mit dem Stuhl ausgeschiedene Viren wieder in den Mund gelangen, zum Beispiel als Schmierinfektion durch Kontakt zu Stuhl oder Erbrochenem, über kontaminierte Flächen, Lebensmittel oder Trinkwasser. Nach der Aufnahme vermehrt sich das Virus im Darm. Bis zum Ausbruch der Erkrankung dauert es ein bis drei Tage. Die meisten Erkrankungen treten zwischen Februar und April auf.
Durchfall und Erbrechen Typisch für Rotavirus-Infektionen sind ein plötzlicher Erkrankungsbeginn mit wässrigen Durchfällen und Erbrechen, möglicherweise begleitet von Bauchschmerzen und/oder Fieber. Häufig befinden sich Schleimbeimengungen im Stuhl. Etwa die Hälfte der Patienten hat auch unspezifische Atemwegssymptome. Meist dauert die Erkrankung zwei bis sechs Tage. Magendarminfekte, die durch Rotaviren ausgelöst werden, lassen sich äußerlich nicht von solchen durch andere Erreger unterscheiden.
Gerade bei jüngeren Kindern verlaufen sie aber häufig schwerer. Insgesamt reicht das Spektrum von symptomlos über leichte Diarrhöen bis zur Notwenigkeit einer Krankenhauseinweisung. Insbesondere bei Säuglingen und jüngeren Kindern ist erhöhte Aufmerksamkeit geboten: Ihr Immunsystem ist noch nicht voll ausgebildet und bei ihnen kann der mit der Erkrankung einhergehende Flüssigkeits- und Elek- trolytverlust schnell kritisch und sogar lebensbedrohlich werden. Eine zeitnahe Vorstellung beim Kinderarzt ist deshalb wichtig. Alarmsignale für einen Flüssigkeitsverlust – die für ein rasches Handeln nicht abgewartet werden sollten – können ein spröder Mund, blasse Haut ohne Spannung, Schläfrigkeit und tiefe Atmung durch den Mund sein.
Behandlung und Diagnostik Grundpfeiler der Behandlung sind Bettruhe und die Zufuhr von Flüssigkeit und Elektrolyten – am besten in vielen kleinen Portionen über den Tag und gegebenenfalls auch die Nacht verteilt. Hier können in der Apotheke erhältliche Elektrolytersatzlösungen sinnvoll sein. Gestillte Säuglinge können weiter gestillt werden. Falls die Zufuhr über den Mund nicht ausreicht, um eine Austrocknung abzuwenden, ist eine Infusionsbehandlung im Krankenhaus erforderlich. Eine antivirale Therapie gegen Rotaviren existiert nicht.
Die Gabe von Antibiotika oder Medikamenten gegen Durchfall wird nicht empfohlen. Patienten sind so lange ansteckend, wie das Virus mit dem Stuhl ausgeschieden wird. Dies ist typischerweise nicht länger als acht Tage der Fall. Frühgeborene und Menschen mit eingeschränkter Immunfunktion können das Virus auch länger ausscheiden. Der Nachweis von Rotaviren ist mittels Enzym-Immun-Test (EIA) möglich, bei dem ein Bestandteil des Viruskapsids im Stuhl nachgewiesen wird. Allerdings ergeben sich daraus normalerweise keine Konsequenzen für die Behandlung. Daher ist der Test nur erforderlich, wenn es etwa gilt, im Rahmen von Epidemien Infektionswege zu untersuchen und zu unterbrechen.
Eingedampft
+ Rotaviren sind der Haupterreger von Magendarminfekten bei Kindern.
+ Insbesondere bei Säuglingen und Kleinkindern kann die Erkrankung so schwer verlaufen, dass sie im Krankenhaus behandelt werden müssen.
+ Schutz bietet eine Impfung. Daneben sind konsequente Hygienemaßnahmen unverzichtbar.
Schutzimpfung Die Ständige Impfkommission empfiehlt eine Impfung gegen Rotaviren für alle Säuglinge ab einem Alter von sechs Wochen. Dafür sind in Deutschland zwei Schluckimpfungen mit einem Lebendimpfstoff verfügbar: Bei dem einen sind zwei Dosen und bei dem anderen drei Dosen jeweils im Abstand von vier Wochen für eine vollständige Immunisierung notwendig. Möglicherweise besteht als Nebenwirkung ein geringfügig erhöhtes Risiko für eine Darmeinstülpung. Hierbei rutscht ein Darmabschnitt in den nächsten hinein (wie bei einem Teleskop) und behindert Blutfluss und Darmtätigkeit.
Symptome, die darauf hinweisen könnten, sind starke Bauchschmerzen, Erbrechen, blutige Stühle oder schrilles Schreien mit Anziehen der Beine. Hier ist sofort eine Vorstellung beim Arzt notwendig. Darminvaginationen sind selten, allerdings nimmt das Risiko ohnehin mit dem Alter zu. Daher sollte die Immunisierung gegen die Rotaviren so früh wie möglich erfolgen und bis zu einem Alter von 24 beziehungsweise 32 Wochen abgeschlossen sein. Vor der Einführung der Schutz- impfung im Jahr 2013 erkrankten jedes Jahr in Deutschland rund 40 000 bis 60 000 Menschen an einer Rotavirus-Infektion, etwa die Hälfte davon Kinder bis zu fünf Jahren.
Seitdem gehen die Erkrankungszahlen zurück. Im Jahr 2018 wurden dem Robert Koch-Institut 23 600 Fälle gemeldet, 2019 waren es knapp 37 000 und im Coronajahr 2020 knapp 6 500. Weltweit, insbesondere in Afrika, Asien und Lateinamerika, erkranken jährlich schätzungsweise rund 100 Millionen Säuglinge und Kinder an Rotavirus-Infektionen, rund 350 000 bis 600 000 sterben daran.
Hygienemaßnahmen Es wird davon ausgegangen, dass der Impfschutz für zwei bis drei Saisons anhält. Daher bleiben insbesondere für ältere Kinder und Erwachsene Hygienemaßnahmen unverzichtbar. Selbstverständlich dürfen Kinder mit ansteckenden Durchfallerkrankungen Gemeinschaftseinrichtungen nicht besuchen. Abgesehen davon gilt es, die fäkal-orale Übertragung zu unterbrechen. Hier ist an vorderster Stelle die Händehygiene nach dem Toilettengang und vor dem Essen zu nennen. Weitere mögliche Maßnahmen sind das Tragen von Handschuhen und Schutzkitteln, Händedesinfektion sowie Desinfektion von Flächen in der Nähe des Patienten, Türgriffen, Toiletten und Waschbecken. Bei Ausbrüchen in Gemeinschaftseinrichtungen gelten besondere Bestimmungen.
Diesen Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 11/2021 ab Seite 108.
Dr. Anne Benckendorff, Medizinjournalistin