Platzhalter Titelbild PTA© DIE PTA IN DER APOTHEKE

Urtikaria

HAUT IM ALARMZUSTAND

Juckreiz, Quaddeln, Rötung sind typische Symptome der Urtikaria. Den Auslösern auf die Spur zu kommen, ist oft Detektivarbeit. Umso wichtiger ist es, die quälenden Symptome effektiv zu lindern. Das Therapieziel heißt: Beschwerdefreiheit!

Seite 1/1 4 Minuten

Seite 1/1 4 Minuten

Die Haut sieht aus, als sei man mit einer Brennnessel (Urtica) in Kontakt gekommen – eine Tatsache, der die Urtikaria ihren Namen verdankt. Umgangssprachlich wird das quälende Phänomen auch als Nesselfieber, Nesselausschlag oder Nesselsucht bezeichnet. Die krankheitstypischen, stark juckenden Quaddeln, deren Größe von wenigen Millimetern bis zu mehreren Zentimetern variieren können, treten meist ganz plötzlich auf, wie aus heiterem Himmel.

Bei vielen Betroffenen werden sie von Haut- und Schleimhautschwellungen, sogenannten Angioödemen, begleitet. Häufig sind die tiefen Schwellungen im Gesicht an Lippen und Augenlidern lokalisiert. Sind die Schleimhäute der Atemwege betroffen, kann es zu lebensgefährlicher Luftnot kommen.

Wie aus heiterem Himmel Tritt eine Nesselsucht plötzlich und ohne offensichtlichen Grund auf, sprechen Experten von spontaner Urtikaria. Dies ist die häufigste Form. Dauert der Spuk nur kurzzeitig, sprich wenige Tage oder Wochen, heißt die Diagnose: akute spontane Urtikaria. Sie bleibt oft ein einmaliges, selbstlimitierendes Ereignis. Hartnäckig ist hingegen die chronische spontane Urtikaria, kurz csU. So lautet die Diagnose, wenn der Nesselausschlag länger als sechs Wochen andauert.

Typisch dafür: Die Quaddelbildung besteht zumeist für einige Stunden und tritt wiederkehrend, bei vielen Patienten sogar täglich auf. Die Ursachen sind oft unklar. Zahlreiche Faktoren kommen als Auslöser einer spontanen Urtikaria infrage – Pseudoallergien gegenüber Nahrungsmitteln oder Medikamenten, akute und chronische Infektionen gehören unter anderem dazu. Eher selten liegt der Nesselsucht eine „echte Allergie“, etwa gegen Pollen oder Nahrungsmittel, zugrunde.

Wie bei vielen Hautkrankheiten kann Stress eine Rolle spielen und die Urtikaria-Symptome verstärken. Von spontanen Krankheitsformen unterscheidet sich die chronische induzierbare Urtikaria. Typisch dafür: Die Symptome lassen sich durch bestimmte, meist physikalische Reize, wie Kälte, Wärme oder Druck, provozieren.

Hauptdarsteller Histamin Die Entstehung einer Urtikaria ist ein komplexer Vorgang, bei dem der körpereigene Botenstoff Histamin eine Hauptrolle spielt. Zur Erinnerung: Histamin, das wie Serotonin oder Thyramin, zu den biogenen Aminen gehört, kommt in vielen Gewebearten vor. Hohe Konzentrationen sind in der Haut, in der Lunge, im Magen, im Darm und im Zwischenhirn zu finden. Im menschlichen Organismus erfüllt Histamin zentrale Funktionen und ist unter anderem wichtig für die Regulation des Schlaf-Wach-Rhythmus.

Bei einer Urtikaria wird der Botenstoff verstärkt von bestimmten Abwehrzellen, den Mastzellen, in der Haut und/oder Schleimhaut ausgeschüttet. Dadurch kommt es zu einer Erweiterung der Blutgefäße und in der Folge zu einem Austritt von Plasmaflüssigkeit in das Gewebe – was die krankheitstypischen quaddelförmigen Schwellungen erklärt. Tritt dieser Effekt in tieferen Hautschichten oder Schleimhäuten auf, entstehen die berüchtigten Angioödeme, die langsamer abklingen als die juckenden Quaddeln.

Histamin und weitere Botenstoffe, die die Mastzellen freisetzen, sorgen zudem dafür, dass Immunzellen und für die Sinnesempfindung zuständige Nerven aktiviert werden. So kommt es zu Juckreiz und Rötung der Haut. Weshalb die Mastzellen vermehrt Botenstoffe ausschütten, ist bislang nicht vollständig geklärt.

Auslösern auf der Spur Bei einer akuten spontanen Urtikaria ist vielfach keine aufwändige Diagnostik erforderlich, weil die Beschwerden innerhalb kurzer Zeit wieder von selbst verschwinden. Anders bei einer chronischen Urtikaria: Hier ist es einerseits wichtig, andere Krankheiten, die mit ähnlichen Hautirritationen und/oder Angioödemen einhergehen, auszuschließen. Zudem zielt die Diagnostik darauf ab, den individuellen Auslösern des Nesselfiebers auf die Spur zu kommen. Insbesondere bei der csU ist dies jedoch ein schwieriges Unterfangen.

Werden bestimmte Nahrungsmittel oder Zusatzstoffe nicht vertragen? Könnte eine Infektion zugrunde liegen? Spielen Stress oder der Menstruationszyklus womöglich eine Rolle? Die Suche nach den Auslösern kann lange Zeit, eventuell Jahre dauern, und mitunter gelingt es trotz umfangreicher Diagnostik nicht, die konkreten Übeltäter ausfindig zu machen. Wenn doch, ist es wichtig, auslösende Faktoren, etwa bestimmte Lebensmittel oder Medikamente, künftig zu meiden.

Juckreiz, lass nach Mit der Behandlung warten, bis die Ursache gefunden ist? Das ist natürlich keine Option, schließlich belastet eine chronische Urtikaria Betroffene meist schwer – sowohl körperlich als auch psychisch. Vor allem der Juckreiz ist so quälend, dass er den Schlaf rauben, die Leistungsfähigkeit beeinträchtigen und das Wohlbefinden erheblich mindern kann.

Wie viele chronische Hautleiden gleicht auch das Nesselfieber einem Generalangriff auf die Lebensqualität. Eine frühzeitige symptomatische Arzneimitteltherapie setzt zwar nicht bei den Ursachen an und kann die Urtikaria auch nicht heilen, ist aber unerlässlich, um die Symptome zu kontrollieren.

Die medikamentöse Behandlung zielt darauf ab, die Mastzellaktivierung zu unterbinden und die freigesetzten Mediatoren zu blockieren. Behandelt wird in der Regel nach einem Stufenschema: Medikamente der ersten Wahl sind systemische Antihistaminika, vorzugsweise der zweiten oder dritten Generation, da diese in der Standarddosis wenig sedierend wirken. Ist die empfohlene Tagesdosis nicht ausreichend wirksam, wird der behandelnde Facharzt eine Erhöhung der Dosis in Erwägung ziehen.

Fortschritt durch Forschung Bringen Antihistaminika allein nicht den gewünschten Erfolg, kann eine chronische Urtikaria zusätzlich mit speziellen Biologika behandelt werden. Bereits seit Jahren für die Therapie der csU zugelassen ist der der monoklonale Antikörper Omalizumab. Weiterentwickelte und innovative Wirkstoffe werden in klinischen Studien getestet, oft mit vielversprechenden Ergebnissen.

Hoffnung macht unter anderem eine kürzlich durchgeführte klinische Studie unter Beteiligung des Fraunhofer-Instituts für Translationale Medizin und Pharmakologie (Fraunhofer ITMP), deren Ergebnisse in der Fachzeitschrift „Nature Medicine“ veröffentlicht wurden.

In der Studie erhielten Patienten mit csU, die auf die Standardbehandlung mit Antihistaminika nicht ansprachen, den Wirkstoff Fenebrutinib oder ein Placebo. Fenebrutinib ist ein sogenannter BTK-Inhibitor, der die Aktvierung von Mastzellen und damit die Freisetzung von Histamin verhindern kann. Darüber hinaus hat der Wirkstoff Effekte auf die Antikörperbildung.

Nach der achtwöchigen Studie mit Fenebrutinib waren die Symptome bei vielen Patienten gut unter Kontrolle, einige hatten keine Krankheitssymptome mehr. Deshalb ist die Hoffnung groß, dass der Neue bisherige Standardtherapien künftig ergänzen könnte.

Den Artikel finden Sie auch in DIE PTA IN DER APOTHEKE 05/2022 ab Seite 122.

Andrea Neuen, freie Journalistin

×