Abbildung von Nieren im Körper© janulla / iStock / Getty Images

Cushing-Syndrom

FÜNF JAHRE

Das ist die erschütternde Lebenserwartung, wenn das Cushing-Syndrom nicht behandelt wird. Diese sehr seltene Stoffwechselerkrankung ist heimtückisch, denn die zum Teil dramatischen körperlichen Veränderungen sind nur schwer zu ertragen.

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Morbus-Cushing – ausgesprochen Kusching und nicht Kasching, da es auf einen Eigennamen zurückgeht -, nimmt in den meisten Fällen seinen Ausgang als Tumor im Gehirn und heißt dann endogenes Cushing-Syndrom. Benannt ist dieses Syndrom nach dem US-amerikanischen Gehirnchirurgen und Medizinhistoriker Harvey Williams Cushing, der als Begründer der modernen Neurochirurgie gilt.

Zu viel Cortisol Von Medizinern Hypercortisolismus genannt, bezeichnet das Cushing-Syndrom alle Zustände eines pathologisch erhöhten und biologisch wirksamen Cortisolspiegels im Blut, einschließlich der Formen, die medikamentös induziert sind. Das heißt, der Kern der Krankheit betrifft eine Überproduktion des adrenocorticotropen Hormons, auch als Adrenocorticotropin bezeichnet, abgekürzt ACTH. Dieses Hormon entsteht in der Hirnanhangdrüse, der Hypophyse. In seiner Funktion als Botenstoff regt es die Produktion unter anderem des Stresshormons Cortisol in der Nebennierenrinde an.

Ausgelöst wird die Überproduktion meist durch einen Tumor in der Hypophyse. Eine andere, allerdings seltenere Ursache für das Auftreten des Cushing-Syndroms kann die langzeitige und/oder überdosierte Einnahme künstlicher Glucocorticoide in Form von Medikamenten sein. Dies ist bei rheumatischen Erkrankungen, Asthma, bei einer langwierigen Zeckenstichbehandlung oder Multipler Sklerose der Fall, und es wird dann vom exogenen Cushing-Syndrom gesprochen. Die in den Nebenrinden produzierten Hormone sind Steroidhormone.

Verschiedene dieser Steroide wirken im Körper entzündungshemmend, sie regeln die Umwandlung von Aminosäuren in Kohlenhydrate, sie unterdrücken das Immunsystem, sie wirken auf den Wasser- und Elektrolythaushalt sowie den Stoffwechsel, und sie beeinflussen Herz-Kreislauf- und Nervensystem. Sie sind also in zahlreiche Abläufe des Körpers eingebunden. Kein Wunder also, dass es zu massiven Störungen kommen kann, sobald ein hormonelles Ungleichgewicht vorliegt.

Dramatische Auswirkungen Der übermäßig hohe Spiegel von Cortisol führt zur Ausbildung der sogenannten Stammfettsucht, die durch einen dicken Rumpf sowie dünne Arme und Beine gekennzeichnet ist. Was den Leidensdruck der Patienten noch erhöht, ist das am deutlichsten sichtbare Symptom, das „Vollmondgesicht“ (Facies lunata), sprich eine rundlich aufgedunsene Vergrößerung des Gesichts. Bluthochdruck und Muskelschwäche sind weitere Kennzeichen dieser Erkrankung. Besonders für Frauen stellt der Hirsutismus, die verstärkte Körperbehaarung, eine große Belastung dar, und es treten bei den Patienten häufig sogenannte blaurote Striae, Streifen, auf. Sie ähneln Schwangerschaftsstreifen, sind jedoch breiter und erscheinen aufgrund von kleineren Einblutungen oft rot.

Amenorrhö bei Frauen, also das Ausbleiben der Menstruation, Erektionsstörungen beim Mann, Wachstumshemmung bei Kindern, der sogenannte Büffelhöcker oder Büffelnacken – ein sich verstärkendes Fettpolster im Nacken –, und Osteoporose machen als weitere mögliche Symptome das Leben Betroffener zur Qual. Bemerkenswert ist, dass dieses seltene Syndrom in Deutschland jährlich gerade mal 80 bis 240 Personen um das 40. Lebensjahr trifft und dass Frauen weit häufiger, nämlich drei- bis viermal so oft wie Männer, davon befallen werden. Allerdings treten auch Fälle im Kindesalter auf, wobei sich hier der Tumor an der Hypophyse meist als maligne Form darstellt.

Noch mehr Tumoren Neben dem Hypophysentumor kann auch in der Nebenniere selbst ein Tumor dazu führen, dass zu viel Cortisol gebildet wird. Und selbst Tumoren außerhalb der Hypophyse, wie zum Beispiel ein kleinzelliger Lungenkrebs, ein karzinoider Lungentumor oder ein Tumor an einer anderen Körperstelle, können ebenfalls für eine Überproduktion der Corticosteroide sorgen. Diese Erkrankung wird ektopes ACTH-Syndrom genannt. Immer wieder kommt es vor, dass in den Nebennieren ein gutartiger Tumor, ein Adenom, entsteht. Zirka 10 Prozent der über 70-Jährigen weisen altersbedingt einen solchen Tumor auf. Allerdings bewirkt nur bei einem geringen Prozentsatz dieser Menschen das Adenom ein Mehr an Cortico- steroidproduktion.

Das exogene Cushing-Syndrom Wie schon erwähnt, können auch bestimmte Krankheiten, bei denen im Zuge der Therapie Corticosteroide verabreicht werden müssen, zum Cushing-Syndrom führen. Dabei können sogar schon Symptome auftreten, wenn die Corticosteroide über lange Zeit inhaliert werden, wie zum Beispiel beim Asthma, oder wenn sie äußerlich langfristig und großflächig zur Anwendung kommen, wie es bei Hautkrankheiten der Fall sein kann. Ein weiteres Problem hoher exogener Corticosteroiddosen ist, dass die Nebennierenfunktion unterdrückt wird, da die Hypophyse den erhöhten Corticosteroidspiegel gewissermaßen erkennt und der Nebenniere signalisiert, dass sie die Produktion einstellen soll. Dies wiederum kann bei Absetzen der Dosen zu einer Nebenniereninsuffizienz führen. Daher ist es wichtig, dass das Beenden der Medikamentengabe ausschleichend geschieht.

Welche Chancen haben Cushing-Syndrom-Patienten? Ganz eindeutig: gute! Wichtig ist, dass rechtzeitig und umfassend gehandelt wird. Wird nichts unternommen oder wird nicht erkannt, worum es sich handelt, kann die Erkrankung binnen kurzer Zeit, im Schnitt sind es fünf Jahre, zum Tode führen. Erfolg versprechen je nach Lokalisierung der Ursache eine protein- und kaliumreiche Ernährung, Medikamente, die den Cortisolspiegel senken oder die Wirkung von Cortisol hemmen, und zu guter Letzt chirurgische Eingriffe oder eine Strahlentherapie. Daneben können Medikamente zur Erhöhung des Kaliumspiegels oder zur Senkung des Blutzuckerspiegels zum Einsatz kommen.

Besonders gefährdet sind Patienten, bei denen hoher Blutdruck behandelt und/oder zu Blutverdünnern gegriffen werden muss. Aufgrund des Risikos, andere Krankheiten auszulösen, muss die Gabe cortisolspiegelsenkender Präparate engmaschig kontrolliert und Für und Wider müssen genau abgewogen werden. Die operative Entfernung der Nebennierentumoren reicht oft nicht aus, sodass die kompletten Nebennieren entfernt werden. In diesem Fall müssen die Patienten für den Rest ihres Lebens unter ärztlicher Überwachung Corticosteroide einnehmen. In anderen Organen auftauchende Tumoren werden meist operativ entfernt.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 10/2021 ab Seite 106.

Wolfram Glatzel, freier Journalist

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