Korsakow-Syndrom
FREI ERFUNDEN
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Die Psychologin fragt ihren Patienten: „Woher haben Sie denn diese Narbe?“ Er antwortet ihr, er habe sie sich bei einem Sturz im Wald zugezogen. Kurz zuvor hatten die beiden über seine Alltagsabläufe gesprochen und er berichtete, er gehe jeden Tag im Forst spazieren. Einige Wochen später soll der Mann operiert werden. Der Arzt, der ihn untersucht, die medizinische Vorgeschichte abklopft und nach den bisherigen Eingriffen fragt, möchte wissen, woher die lange Narbe stammt. „Die ist von einer Operation“, antwortet der Patient wie selbstverständlich. Warum lügt er? Der Mann kann sich weder daran erinnern, wie er zu der Narbe gekommen ist, noch ist er sich darüber im Klaren, dass er die Unwahrheit sagt.
Das Korsakow-Syndrom führt bei den Betroffenen zu einer Amnesie, die zurückliegende Erinnerungen tilgt und verhindert, dass neue Erfahrungen ins Gedächtnis übernommen werden. Das Konfabulieren, also das Erfinden von Sachverhalten, geschieht unbewusst. Es ist ein Schutzmechanismus, der den Erkrankten davor bewahrt, den eigenen Gedächtnisverlust zu spüren. Eine andere Patientin, die stationär im Krankenhaus untergebracht war, konnte beispielsweise nicht zuordnen, wo sie sich befand, also erklärte sie ihren Angehörigen (und sich selbst), sie sei in einer Kanzlei, der behandelnde Arzt wurde zum Anwalt. Neben dem Konfabulieren sind weitere Symptome des Morbus Korsakow vor allem Polyneuropathien, Müdigkeit und Depression, entgegengesetzt kann jedoch auch Euphorie das Krankheitsbild prägen.
Alkohol als Auslöser Benannt wurde die Erkrankung des Gehirns nach dem russischen Neurologen und Psychiater Sergej Korsakow, der Ende des 19. Jahrhunderts das polyneuritische anamnestische Syndrom bei Alkoholkranken studierte. Ihn interessierte also, wie Nervenerkrankungen aus der medizinischen Vorgeschichte seiner Patienten entstanden. Denn die Hauptursache des Korsakow-Syndroms ist starker Alkoholismus. Zwar können auch Schädel-Hirn-Traumen, Hirnblutungen, bestimmte Infektionen und Vergiftungen mit beispielsweise Kohlenmonoxid diese Form der Amnesie verursachen, in den meisten Fällen ist jedoch der übermäßige Alkoholkonsum schuld.
Einerseits ist Ethanol bekanntermaßen ein Nerven- und Zellgift, andererseits vernachlässigen starke Alkoholiker oft die ausgewogene Ernährung – sie decken ihren Kalorienbedarf größtenteils durch den Brennwert ihrer Getränke. So nehmen sie kaum oder kein Thiamin (Vitamin B1) zu sich. Zusätzlich zur verminderten Aufnahme verhindert Alkohol die Resorption und den Transport von Thiamin. Das Vitamin B1 ist aber Cofaktor vieler enzymatischer Prozesse im menschlichen Körper. Fehlt es, kommt es zu einer Schädigung der Hirnstrukturen.
Ursache Thiaminmangel Diese Hirnerkrankung durch Thiaminmangel ist auch unter dem Begriff Wernicke-Enzephalopathie bekannt. Geht das Korsakow-Syndrom auf eine solche krankhafte Gehirnveränderung zurück, spricht man vom Wernicke-Korsakow-Syndrom. Nicht-Alkoholiker sind von der Wernicke-Enzephalopathie ebenso betroffen, vor allem wenn Essstörungen vorliegen, die die Aufnahme von Vitaminen aus der Nahrung verhindern, aber auch bei Krebserkrankungen des Verdauungstraktes oder Nierenerkrankungen. Die Behandlung besteht aus einer einmaligen hochdosierten Vitamin B1-Infusion und darauf folgenden täglichen Infusionen. Da Thiamin nicht nur für die Prozesse des Gehirns von zentraler Bedeutung ist, sondern auch an anderer Stelle wirkt, kommt es bei einem Mangel neben der Hirnschädigung auch zu motorischen Einschränkungen.
Diese verschwinden nach der Injektionstherapie meist innerhalb von einigen Wochen, 40 Prozent behalten jedoch körperliche Langzeitschäden zurück und 75 Prozent der Behandelten bleiben dauerhaft psychisch beeinträchtigt. Wird eine Wernicke-Enzephalopathie nicht behandelt, fallen die Erkrankten nach ein bis zwei Wochen ins Koma. Auch bei rechtzeitiger Behandlung versterben mehr als zehn Prozent. Der Allgemeinzustand von an Morbus Korsakow Erkrankten, bei denen die Beschwerden auf eine Wernicke-Enzephalopathie zurückzuführen sind, bessert sich nach der Thiamingabe bei einem von sieben Betroffenen deutlich.
Die meisten behalten jedoch chronische Schäden zurück, sind in ihrer Eigenständigkeit eingeschränkt und auf Hilfe angewiesen. Die Pflege im fortgeschrittenen Stadium ähnelt der eines Demenziellen, das Konfabulieren macht eine funktionierende Kommunikation unmöglich. In einem Selbsthilfeforum berichtet die Angehörige eines Korsakow-Kranken, bei ihrem Vater sei die Erinnerung an den Tod von Freddie Mercury aus der Erinnerung getilgt. Er erzähle viel davon, was der Sänger seiner Lieblingsband Queen in letzter Zeit angestellt habe. Dem Vater und ihr selbst spendet das Trost.
Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 06/2020 ab Seite 104.
Gesa Van Hecke, PTA/Redaktionsvolontärin