Transidentität und Transition
„ES GIBT KEINEN KÖNIGSWEG“
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Julia Monro weiß seit sie etwa sieben Jahre alt war, dass sie eine Frau ist. Bis Mitte dreißig nahm ihr Umfeld sie jedoch als Mann wahr. Dann wurde sie ohne ihr Einverständnis geoutet, verlor ihr soziales Umfeld. Heute unterstützt sie unter anderem die Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität und bietet in ihrer Gruppe Transkids.de Beratungs- und Freizeitangebote. Der Weg bis zur Transition, also Geschlechtsangleichung, ist lang.
Oft sind trans*Kinder oder -Jugendliche sich zunächst unsicher über ihre Geschlechterrolle. Das bei der Geburt aufgrund ihrer körperlichen Merkmale zugewiesene Geschlecht fühlt sich falsch an. Dann reift der Wunsch, diesen Fehler zu korrigieren und die körperlichen Merkmale ihrer Geschlechtsidentität anzupassen. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie Ihnen in der Apotheke das erste Rezept über ein Hormonpräparat übergeben, haben sie ihr Outing, zahlreiche Arztbesuche, medizinische und psychologische Gutachten hinter sich.
Mann-zu-Frau-Hormone Bei der hormonellen Transition erhält man gegengeschlechtliche Hormone und Arzneimittel, die die eigenen Hormone unterdrücken. trans*Frauen erhalten meist Estradiol in Gelform oder als Spray. Monro hat sich beim Hersteller einen Tipp eingeholt: „Am besten wird das Gel über die Schultern aufgenommen, weil dort ganz feine Kapillaren sitzen und die Schultern immer in Bewegung sind. Die Durchblutung ist dort höher.“ Auch estrogenhaltige Tabletten werden eingesetzt. Das antiandrogene Cyproteronacetat oder Spironolacton unterdrücken die körpereigenen männlichen Hormone. „Spironolacton wird eigentlich nur dann angewendet, wenn zeitnah eine Operation geplant ist. Man erzielt damit schnell Ergebnisse, aber langfristig steigen die Hormonspiegel wieder“, erklärt Monro. Auch Gonadotropin-Releasing-Hormon-Analoga hemmen die Androgene.
Kurz nachgeschlagen
Menschen wird bei der Geburt ein Geschlecht zugewiesen: Haben sie einen Penis, gelten sie als Mann, Menschen mit Vulva als Frau. Aber nicht nur die körperlichen Merkmale entscheiden, welchem Geschlecht man angehört. Stimmen die selbst wahrgenommene Geschlechtsidentität und die körperlichen Merkmale überein, spricht man von cis-Personen. Eine Person mit weiblicher Geschlechtsidentität und männlichen Körpermerkmalen ist eine trans*Frau, umgekehrt ein trans*Mann.
Das Sternchen in „trans*Person“ oder „Kund*innen“ verdeutlicht, dass nicht nur Männer und Frauen gemeint sind, sondern auch alle Menschen im Spektrum dazwischen. Das umfasst auch intergeschlechtliche Personen mit uneindeutigen Geschlechtsmerkmalen. Travestie und Cross-Dressing sind Performancekunst – bitte nicht mit Transidentität verwechseln. (Mehr dazu in der Kolumne von Professor Dr. Aglaja Stirn).
Frau-zu-Mann-Hormone Für die Frau-zu-Mann-Transition wird Testosteron in Form von Gel oder Depotspritzen verwendet. Zu Beginn der Transition ist eine Schwangerschaft noch möglich. Die Mikropille mit der Kombination aus Gestagen und Estrogen kommt nicht in Frage, schließlich sollen die weiblichen Hormone ja unterdrückt werden. Deshalb greift man, wenn eine hormonelle Verhütungsmethode gewünscht ist, auf die Minipille mit nur einem Gestagen zurück, das außerdem nicht antiandrogen wirkt, wie Norethisteron oder Desogestrel. Das Gestagen unterdrückt auch die Menstruation.
Die Präparate zur Transition werden off-label eingesetzt. Die Nebenwirkung, dass der Körper sich bei der Anwendung verändert, ist ausdrücklich gewünscht. Doch auch unerwünschte Nebenwirkungen sind möglich. Die Estrogenpräparate können Depressionen auslösen. Dann sollte man mit den behandelnden Endokrinolog*innen über alternative Präparate sprechen – Progesteron ist oft besser verträglich als Estradiol. Testosteron hingegen kann Aggressionen oder die Aktivität steigern. Einige von Monros Transkids lassen das im Sport raus: „Der eine macht Kampfsport, der andere ist Skateboarder - die müssen ihre Energie loswerden.“
Praxistipps
+ „Wenn man sich als Frau schick gemacht hat und wird mit dem männlichen Namen angesprochen, ist das immer mit einem Zwangs-Outing verbunden“, erinnert sich Monro. „In dem Moment, in dem eine trans*Person den falschen Namen oder das falsche Pronomen hört, weiß sie, dass sie nicht so gelesen wird, wie sie sich das wünscht. Das ist immer, auch wenn es nicht mit Absicht passiert, verletzend.“ Auf dem Rezept stehen noch die „alte“ Anrede und der alte Name. Neue Daten folgen meist erst nach der Transition. Monro erinnert daran, dass man das Geschlecht nicht anhand des Namens oder des Aussehens ableiten kann. Ihr Tipp, wenn man sich unsicher ist, einfach nachfragen: „Wie darf ich Sie ansprechen?“
+ Die typischen Fragen „Ist das für Sie selbst gedacht?“ oder „Wofür nehmen Sie das Medikament ein?“ können Ihre Kund*innen als ungläubiges Nachbohren empfinden, schließlich wissen sie nicht, dass das Routinefragen sind. Besser: „Hier ist ein Hormonpräparat verordnet. Wissen Sie, wie Sie es anwenden sollen?
Nächste Schritte Die Hormontherapie ist der erste Schritt der medizinischen Transition. Oft folgen geschlechtsangleichende Operationen, nicht jede trans*Person kann oder will aber alle Schritte gehen. „Das ist immer individuell. Es gibt keinen Königsweg“, berichtet Monro, „es gibt Leute, die sagen, wenn du nicht alle Operationen mitmachst, bist du nicht trans. Da schüttele ich nur mit dem Kopf. Die Leute sollen selbst entscheiden dürfen, was sie für sich als richtig empfinden und was nicht.“ Zu den geschlechtsangleichenden Operationen zählen die Entfernung der hormonbildenden Organe, also der Eierstöcke oder Hoden. Auch ein Neo-Penis oder eine Neo-Vagina können gebildet werden.
Außerdem haben trans*Frauen Anspruch auf einen chirurgischen Brustaufbau, wenn sich nach zwei Jahren der Hormontherapie noch keine weibliche Brust gebildet hat. Bei trans*Männern gehört die Abnahme der Brust dazu. Auch logopädisches Stimmtraining und Haarentfernungen oder -transplantationen sind möglich, oder angleichende Operationen der Gesichtszüge. „Wenn man 30, 40 Jahre lang Testosteron im Körper hatte, dann hat man eine bestimmte Gesichtsform – oft sehr markant, was eher als männlich wahrgenommen wird“, erklärt Monro. Die Kassen übernehmen das in der Regel nicht: „Es gibt medizinische Leitlinien, die besagen, dass das dazugehören sollte, aber diese Operationen sind sehr teuer und aufwändig.“
Einfühlsam beraten Auf die Frage, was PTA und Apotheker*innen für ihre transidenten Kund*innen tun können, überlegt Monro: „Wenn jemand gerade erst mit der Transition beginnt, viele Fragen hat, sich aber nicht vor den anderen wartenden Kund*innen offenbaren möchte, könnten Apothekenmitarbeiter*innen ein vertrauliches Gespräch im Beratungsraum anbieten.“ Sie ergänzt: „Ich erlebe Apothekenmitarbeiter*innen generell als sehr sensibel, sowohl im ländlichen als auch im städtischen Raum. In der Arztpraxis trifft man am Empfang manchmal echt auf Rüpel. Aber in der Apotheke habe ich so etwas noch nie erlebt oder gehört.“
Diesen Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 11/2021 ab Seite 76.
Gesa Van Hecke, PTA/Redaktion