Cardioviren
FORSCHER ENTDECKEN SCHALTER, DER DIE VIRENVERMEHRUNG HEMMT
Seite 1/1 2 Minuten
„Ribosomale Leserasterverschiebung“ heißt das Zauberwort. Es bezeichnet einen Vorgang auf Proteinebene, der es dem Virus erlaubt, sich zu vermehren. Das 2A-Protein in der RNA von Cardioviren, das dies verursacht, hat aber eine kleine Schwachstelle: Wenn es sich nämlich während der Infektion anhäuft, schaltet sich die Produktion neuer Viren einfach ab.
Dies fanden Wissenschaftler vom Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI) heraus, die das anhand einer künstlichen Infektion mit dem Enzephalomyokarditis-Virus (EMCV) nachvollzogen. Das Virus gehört, wie SARS-CoV-2 auch, zu den RNA-Viren und befällt verschiedene Säugetiere wie etwa Schweine und Schimpansen. Doch auch der Mensch kann sich infizieren.
Viren nutzen Wirtszellen zur Vermehrung
Viren nutzen die Zellen ihres Wirts, um sich zu vervielfältigen. Und das geht so: Viren infizieren einen Wirt und dringen in dessen Zellen ein, denn sie haben keinen eigenen Stoffwechsel und können nicht selbst Proteine erzeugen, um sich zu vermehren. In der Zelle manipulieren sie dann den Translationsprozess, mit dessen Hilfe aus einer Boten-RNA (mRNA) Proteine gebildet werden. Dies übernehmen dann die Ribosomen-Fabriken der Zelle und stellen Viren-RNA her.
Die Manipulation der zellulären Fabriken gelingt über die oben genannte Leserasterverschiebung: Beim Ableseprozess der genetischen Informationen wird eine Verschiebung des Leserasters hin zu einer anderen Stelle der Erbsubstanz erzwungen. Dies ändert die Art, wie die gesamte Sequenz decodiert wird. Aus einer mRNA kann nicht nur ein Protein abgelesen werden, sondern mehrere verschiedene, indem die Ribosomenfabrik an einer anderen Stelle abliest.
Forschungsgruppenleiterin Professor Neva Caliskan nennt das so: „Indem sie den Translationsmotor des Wirts kapern und das System korrumpieren, um ihre eigenen Proteine zu produzieren, haben sich Viren als furchterregende zelluläre Eindringlinge erwiesen.“
Spezielle Proteinfaltung erkannt
Die Wissenschaftler haben nun die Kristallstruktur von 2A entschlüsselt und dabei eine neue Proteinfaltung und ihr Zusammenwirken mit den Ribosomen entdeckt. Diese Faltung ist ganz besonders und ähnelt keinem anderen bekannten Muster. Das 2A-Protein hat verschiedene Aufgaben, unter anderem erzwingt es die eben beschriebene Leserasterverschiebung. Diesen auf kleinster Zellebene stattfindenden Vorgang konnten die Forscher nur anhand besonderer optischer Pinzetten beobachten, die es ermöglichen, molekulare Strukturen auf atomarer Ebene zu untersuchen.
Hier erfahren Sie mehr über Viren und wie sie sich vermehren:
2A stoppt Virusreplikation
Zu Beginn einer EMCV-Infektion ist das 2A-Protein jedoch noch nicht vorhanden. Stattdessen sind andere Proteine aktiv, die das Virus zur Replikation seines Genoms benötigt. Erst danach tritt dann 2A gehäuft auf und stimuliert die Rasterverschiebung, die der Erreger braucht, um Proteine für die Produktion der Virusstruktur herzustellen. „Die Bindefähigkeit von 2A und ihr stabilisierender Effekt auf die Wirts-RNA haben zur Folge, dass die Translationsmaschinerie gestoppt wird“, erklärt Lukas Pekárek vom Autorenteam der Studie. „Dieses besondere Protein wirkt also regelrecht wie ein Schalter, durch den die weitere Virusvermehrung gehemmt werden kann.“
Die weiterführende Forschung kann anhand dieser viralen Achillesferse ansetzen, um neue RNA-Therapeutika zu entwickeln. Man könnte dann einfach den Gen-Schalter umlegen – und die Geburt neuer Viren wird verhindert.