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Zum achtsamen Essen gehört auch die Beobachtung des eigenen Essverhaltens. © Rudzhan Nagiev / iStock / Getty Images Plus

Adipositas

ACHTSAMES ESSEN UND EMOTIONSREGULATION

Entscheidend ist nicht nur WAS wir essen, sondern vor allem, WIE wir essen. Was diese Aussage bedeutet und wie dies mit einer immer weiter ansteigenden Inzidenz der Adipositas zusammenhängt, lesen Sie hier.

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Beim achtsamen Essen geht es um das bewusste Aufnehmen von Nahrung statt wie ferngesteuert nebenbei zu essen, zu viel zu essen und eine ungünstige Lebensmittelauswahl zu wählen. Ein Stück Schokolade, das bewusst zu einem besonderen Moment genossen wird, führt nicht zu Adipositas. 

Man wird jedoch immer dicker, wenn man zu oft Schokolade unbewusst verschlingt und sich anschließend mit Schuldgefühlen quält. Achtsamkeit bedeutet wirklich das zu tun, was man gerade tut und wirklich das zu erleben, was man gerade erlebt. Also beispielsweise nur zu essen, statt automatisiert viele andere Dinge gleichzeitig zu tun.

Automatisierter Alltag

Viele Menschen beschreiben, dass ihr Alltag irgendwie funktionieren muss. Sie jonglieren zwischen Beruf, Karriere, Kindererziehung, Pflege, Freunden und Erlebnissen wie schönen Urlauben. Das Erleben vom Hier und Jetzt geht verloren und dies beeinflusst auch das Essverhalten negativ. In der Praxis lassen sich dabei viele Essfallen durch das unbewusste und automatisierte Verhalten beobachten:

  • Eine strukturierte Planung der Mahlzeiten fehlt.
  • Es wird gleichzeitig gegessen und gelesen oder ferngesehen.
  • Während des Essens wird das Smartphone bedient.
  • Essen findet beim Autofahren statt.
  • Häufig wird Fast-Food gegessen.
  • Gespräche und insbesondere Streitigkeiten werden beim Essen geführt.
  • Unter Stress und Zeitdruck wird zu hastig gegessen.
  • Essen findet im Gehen oder Stehen statt.
  • Aus Langeweile, Einsamkeit, Frust oder Trauer wird unkontrolliert gegessen.
  • Zu oft wird zwischendurch gegessen.
  • Hunger wird mit Appetit verwechselt.
  • Die meisten essen zu schnell.
  • Die Teller sind zu groß und damit auch die Portionen.
  • Die Energiedichte der Mahlzeit ist zu hoch.

Unachtsames Essen und die Folgen – ein Beispiel

Herr Krause* (52 Jahre) besuchte die erste Sitzung der Ernährungstherapie mit einem BMI von 53, sein bisheriges Essverhalten lässt sich so darstellen: Seit seiner Kindheit verschlingt er große Portionen. Bereits im Elternhaus wurde hastig gegessen und ihm wurde eingeprägt, dass er alles aufzuessen hätte und dass dies auch das Wetter beeinflusse („Der Teller muss leer, dann scheint auch die Sonne“). 

Dieser Satz ist bis heute tief in seinem Unterbewusstsein verankert. Im jugendlichen Alter war Herr Krause normalgewichtig, da er viel Bewegung im Alltag umsetzen konnte. Durch Beruf, Familie und Stress reduzierte sich der Bewegungsanteil, während sich die Kalorienzufuhr immer mehr erhöhte, sodass das Körpergewicht stieg. Herr Krause arbeitete jahrelang in einem stressigen Beruf und erlebte viel Druck.

Zeit für Nahrungsaufnahme verlor an Priorität. So verzehrte er unbewusst über den Tag hinweg hochkalorische Lebensmittel im Auto, am Schreibtisch und im Gehen oder Stehen nebenbei. Eine strukturierte Planung der Mahlzeiten fehlte. Abends verspeiste er dann eine warme Mahlzeit, die häufig irgendwo bestellt wurde. Hochkalorische Schnellgerichte hatten einen wichtigen Platz in seiner Abendmahlzeit. 

Darüber hinaus verzehrte er viel zu große Portionen, die er verschlang, da er einen starken Heißhunger verspürte. Herr Krause erklärte, dass ihm das gesunde Sättigungsgefühl fehle. In der Ernährungstherapie erlernte Herr Krause die Methoden des achtsamen, bewussten Essverhaltens. Er führte ein Achtsamkeitstagebuch, wodurch er sich sein Verhalten im Alltag bewusstmachte. Dadurch reduzierte er immer mehr Ablenkung beim Essen und verzehrt seine Speisen nun im Sitzen am Tisch. 

Zum achtsamen Essen gehört die Beobachtung des eigenen Essverhaltens:

Die nächsten Schritte

Ist das eigene Essverhalten erkannt und verändert worden, geht es an die Entwicklung einer strukturierten Planung der Mahlzeiten und eine Reduzierung der Essgeschwindigkeit, um dadurch immer besser satt zu werden und zu spüren, was Völlerei ist. Folgende Tipps können bei einer zu hohen Essgeschwindigkeit unterstützen:

  • Beim Essen einen Gang herunterschalten, mehrmals kauen, das Essen gut einspeicheln.
  • Nach ein paar Bissen das Besteck ablegen.
  • Nach der Hälfte der Mahlzeit in sich hinein hören: Bin ich noch hungrig?
  • Bewusst einmal nicht aufessen.
  • In der Kantinenrunde der Langsamste beim Essen sein.
  • Kleine Teller, Kuchengabel und kleine Löffel benutzen.
  • Sich das Essen bewusst anschauen: Welche Farben nehme ich wahr? Wie riecht es? 

Dies sind Anleitungen zur Änderung eines Verhaltens, das oft jahrzehntelang verinnerlicht wurde. Verhaltensänderungen erfordern Zeit und Geduld. Motivationstrainings und Verstärkerübungen helfen sehr und haben in der Ernährungstherapie auch Herrn Krause geholfen, wieder ein bewussteres Essverhalten mit Sättigungswahrnehmung zu erlernen.

Unsere Autorin Sabrina Thaden ist Ernährungstherapeutin. Mehr zu ihrer Person und ihrem fachlichen Hintergrund finden Sie unter www.nutrition-master.de

Raus aus dem Teufelskreis

Achtsamkeitsstrategien unterstützen nicht nur beim Erlernen von Hunger-Appetit- und Sättigungs-Wahrnehmungsprozessen, sondern helfen auch bei der Emotionsregulation. Viele stark übergewichtige Menschen essen, bis sie sich voll und schwer fühlen, weil es Ihnen ein beruhigendes Gefühl gibt. Dieser Effekt hält jedoch nur kurzfristig an, denn oft quälen anschließende Schuldgefühle über die hochkalorische oder unvorteilhaft ausgewählte Portion. 

Es ist ein ewiger Esskreislauf. Die Person isst zu hochkalorisch, zu kohlenhydrat- und oder zu fettreich und außerdem zu viel, was sie sich am liebsten hätte verbieten wollen, und spürt danach ein schlechtes Gewissen. Das wiederum senkt das Selbstwertgefühl, denn schon wieder wurde das Ziel nicht erreicht. Starke Versagensgefühle sind häufig das Resultat.

Das Gefühl des Scheiterns kann dann wieder ein emotionaler Auslöser sein, zu viel und zu hochkalorisch zu essen. 

Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, kann das Anwenden von Achtsamkeitsstrategien im ersten Schritt sehr hilfreich sein. Die übergewichtige Person notiert im Ernährungstagebuch die Gefühle und Gedanken vor und nach den Mahlzeiten. Dadurch wird ihr bewusst, was die Auslöser des Verhaltens sind, um dem langfristig entgegensteuern zu können. 

Das Wahrnehmen und Formulieren von Gedanken und Gefühlen ist ein Prozess und zu Beginn zunächst ungewohnt und schwierig. Daher sollte es bei stark übergewichtigen Menschen in Zusammenarbeit mit einer Ernährungs- oder Verhaltenstherapeutin geübt werden.

Den Emotionen auf der Spur

Wie fühle ich mich vor meiner Mahlzeit?Das habe ich gegessen?Was sind meine Gedanken nach der Mahlzeit? Wie zufrieden bin ich?
Müde, hungrig.
Ich habe mich auf der Arbeit geärgert.
4 Scheiben Brot, 1 Ei, 1 Joghurt,
1 Schokoriegel
Voll, musste mich bremsen weiter zu essen, habe das Essen genossen,
schlechtes Gewissen, immer noch ärgerlich.

Fazit

Um dauerhaft sein Gewicht zu reduzieren und dann zu halten, sind langfristige Veränderungen am Essverhalten notwendig. Hunger-Appetit-Sättigungs-Wahrnehmungsprozesse, bewusste und einsichtsvolle Essentscheidungen, das Erlernen von Strukturen der Mahlzeiten sowie die Emotionsregulation sind ebenso wichtig wie den Unterschied zwischen Kohlenhydraten und Eiweißen zu verstehen.

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