Psychologie | Abnehmen
PSYCHOTHERAPIE BEI ADIPOSITAS
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In Deutschland sind rund 23 Prozent der Frauen und 19 Prozent der Männer adipös – wem solche Zahlen zu abstrakt sind, das sind ungefähr jede vierte Frau und jeder fünfte Mann. Schnell wird über die Bewohner auf der anderen Seite des Ozeans gespöttelt, doch auch in unserem Heimatland nimmt die Zahl derer mit einem BMI größer gleich 30 Kilogramm pro Quadratmeter zu, auch Kinder sind zunehmend betroffen. Begleiterkrankungen wie Diabetes mellitus Typ 2, Herzkreislauf-Erkrankungen, Depressionen oder Angststörungen belasten Betroffene zusätzlich.
Abnehm- und Diätversuche haben mit großer Wahrscheinlichkeit fast alle Patienten hinter sich, bevor sie sich an einen Arzt wenden. Nicht selten sind sogar größere Gewichtsreduktionen erfolgreich absolviert worden – doch der gefürchtete Jo-Jo-Effekt macht schnell wieder alles zunichte. Meistens stellt sich dieser nach Radikaldiäten oder Hungerkuren ein: Der Körper baut in Hungerphasen vermehrt Eiweiß ab, verliert also Muskelmasse, die Brennöfen unseres Körpers. Wird dann wieder normal gegessen, ist durch den schwindenden Muskelanteil plötzlich weniger Energie notwendig. Dazu gesellen sich dann noch Heißhunger und Lust auf bisher streng gemiedenes Ungesundes und plötzlich sind die Kilos wieder drauf – manchmal sogar noch ein, zwei mehr. Daher ist für einen langfristigen Gewichtsverlust eine grundlegende Ernährungsumstellung und regelmäßige Bewegung erforderlich. Das größte Problem stellen Frustration und Chronifizierung dar, mit Hilfe einer interdisziplinären, individuellen Behandlung soll das verhindert werden.
Und das soll unter anderem die psychotherapeutische Adipositasbehandlung mit sich bringen. Derartige Interventionen sind laut Dr. Sandra Becker und ihren Kollegen von der Abteilung für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Universitätsklinikums Tübingen bei Betroffenen mit einem BMI zwischen 30 und 40 ohne somatische Folgeschäden (z.B. Diabetes mellitus) indiziert. Das Ziel überrascht vielleicht: Angestrebt wird eine moderate Gewichtsreduktion um fünf bis zehn Prozent innerhalb von sechs bis zwölf Monaten. Doch können diese kleinen Erfolge langfristig gehalten werden, wenn eine Umstellung des Denkens stattfindet. So besteht die Basis des Programms aus einem Energiedefizit von 500 oder mehr Kilokalorien über das Essen und einer Kombination aus Bewegungs- und Verhaltenstherapie.
Damit die Umstellung funktioniert, sollte dem Patienten nicht alles genommen werden, was ihm lieb und teuer ist. Aber vielleicht fällt ihm die Umstellung von einem fettigen Weichkäse auf einen fettärmeren Hartkäse leichter – individuelle Vorlieben sollten daher berücksichtigt werden. Dazu mehr Bewegung wie Radfahren, zu Fuß gehen oder häufiger die Treppe nehmen, steigern die körperliche Aktivität. Mit Hilfe einer Verhaltensänderung und dem Ernährungs- und Sportprogramm können Gewichtsreduktionen von 0,5 bis 1 Kilogramm die Woche erreicht werden. Im Anschluss empfehlen die Autoren ein niederfrequentes Nachsorgeprogramm, in dem der Betroffene lernt, sein Gewicht zu halten.
Farina Haase,
Apothekerin, Volontärin
Quelle: Becker S et al. Info Neurologie & Psychiatrie 2018; 20: 30-34 aus Medical Tribune 53. Jahrgang, Nr. 48; 30. November 2018: 9