Adipositas
PTA-Fortbildung

Über Gewicht: Adipositas verstehen und behandeln

Übergewicht macht krank. Adipositas wäre leicht zu besiegen, würden die Betroffenen sich nur zusammenreißen. Sie müssen einfach mehr Energie verbrauchen als zu sich nehmen. Stimmt das? Warum leicht sein gar nicht so leicht ist.

20 Minuten

Endokrine Erkrankungen

Auch Krankheiten des Hormonsystems können das Körpergewicht steigen lassen.

Schilddrüsenunterfunktion

Am bekanntesten ist die Schilddrüsenunterfunktion. Mangelt es an Schilddrüsenhormonen, sinken die Wärmeproduktion und der Energieverbrauch (der Grundumsatz) des Körpers. Außerdem lagert sich bei einer Hypothyreose mehr Flüssigkeit im Gewebezwischenraum ein.

Der Stoffwechsel verlangsamt sich aber nicht erst bei einer manifesten Hypothyreose, bei der zu viel freies Trijodthyronin und Thyroxin (T3 und T4) messbar sind. Schon eine latente Unterfunktion, bei der lediglich das Schilddrüse-stimulierende Hormon TSH leicht erhöht ist, lässt den Körper auf Sparflamme laufen. Eine Diät ist dann kontraproduktiv, weil sie den Grundumsatz weiter reduziert. Zunächst muss die Schilddrüsenfunktion behandelt werden.

Corticoide: Cushing-Syndrom

Eine andere Adipositas-begünstigende endokrine Erkrankung ist das Cushing-Syndrom. Ein Überangebot an Glucocorticoiden wie Cortisol führt unter anderem zu einer Gewichtszunahme vor allem am Bauch, einem sogenannten Vollmondgesicht und Steroiddiabetes. Ursachen können zum Beispiel die Langzeiteinnahme von Glucocorticoiden oder Adrenocorticotropem Hormon (ACTH; bei Epilepsie) sein, aber auch Tumoren, die Hormone freisetzen. Beim Morbus Cushing liegt die Ursache im Hypophysenvorderlappen.

Wachstumshormone und PCOS

Außer den Schilddrüsen- und Steroidhormonen beeinflussen auch Wachstumshormone das Gewicht. Und nicht zuletzt die Sexualhormone tragen zu Übergewicht und Adipositas bei. Eine von sieben Frauen im gebärfähigen Alter hat PCOS, das polyzystische Ovarialsyndrom. Der Regelkreis für die Produktion von Sexualhormonen und seine Rückkopplung sind gestört. Es entstehen zu viele Androgene, die männlichen Hormone, sowie die namensgebenden Zysten an den Eierstöcken.

Anzeichen sind

  • Zyklusstörungen,
  • ein unerfüllter Kinderwunsch
  • oder eine äußerliche Androgenisierung, also ein männlicher Behaarungstyp am Körper, Haarausfall am Kopf sowie Akne.
  • Außerdem geht mit dem PCOS oft eine Insulinresistenz einher.

Die Körperzellen reagieren träge auf Insulin, weshalb die Bauchspeicheldrüse mehr davon ausschüttet. Der Überschuss im Blut führt zur Gewichtszunahme. Er verstärkt außerdem den Überschuss an männlichen Hormonen.

Mehr Gewicht durch Medikamente: Glucocorticoide

Denken Sie im Beratungsalltag auch daran, dass ein steigendes Körpergewicht die Nebenwirkung eines Arzneimittels sein kann. Beispielsweise Glucocorticoide wie Dexamethason, Hydrocortison, Prednison oder Prednisolon sind mögliche Auslöser. Sie steigern den Appetit, führen zu Wassereinlagerungen und zu einer Umverteilung von Fettmasse – hin zu Gesicht, Nacken und Rücken, Brust und Bauch. Frauen sind stärker betroffen als Männer. Bis zu 70 Prozent der Anwenderinnen bemerken körperliche Veränderungen und rund 10 Prozent nehmen signifikant zu, also mehr als 10 Prozent ihres üblichen Gewichts.

Allerdings sind solche Nebenwirkungen vor allem bei oraler Einnahme, höheren Dosen und einer langen Einnahmedauer zu befürchten. Studien berichten über eine Gewichtszunahme zum Beispiel bei Dosen ab 7,5 Milligramm Prednison über mehr als 60 Tage. Es dauert etwa ein halbes bis ein Jahr nach dem Absetzen, bis der Körper sich wieder anpasst und das zugelegte Gewicht abbauen kann. Inhalative oder topische Glucocorticoid-Präparate hingegen lassen das Gewicht nicht steigen. Auch Injektionen nicht, auch keine Serien aus zum Beispiel drei aufeinanderfolgenden Spritzen.

Antipsychotika und Antidepressiva

Andere Arzneimittel, die zu einer Zunahme führen können, sind Antipsychotika. In der Regel ist die Zunahme dabei nicht abhängig von der Arzneimitteldosis und vom Ausgangsgewicht, für Olanzapin und Clozapin wird ein solcher Zusammenhang jedoch vermutet. Die Fachinformation spricht bei Olanzapin von einer Zunahme um mehr als sieben Prozent des Ausgangsgewichts, und zwar sehr häufig (bei mehr als jedem zehnten Anwender) und sowohl bei Kurzzeit- als auch Langzeittherapien. In einer Metaanalyse ließen von 15 Antipsychotika allein Haloperidol, Ziprasidon und Lurasidon das Gewicht nicht steigen.

Unter den Antidepressiva sind es Amitriptylin, Citalopram, Duloxetin, Lithium, Mirtazapin, Nortriptylin, Paroxetin, Valproinsäure und Venlafaxin, die eine Zunahme begünstigen. Das liegt bei einigen Wirkstoffen daran, dass sie nicht nur negative Emotionen dämpfen, sondern auch müde und antriebslos machen und dadurch den Energiebedarf senken. Andere greifen in den Appetit- und Sättigungsregelkreis ein.

Essstörungen

Mit einer Essstörung verbinden die meisten Anorexie und Bulimie und haben stark untergewichtige Mädchen und junge Frauen im Kopf. Essstörungen haben jedoch viele Gesichter. Auch wenn Frauen die Diagnose 10- bis 20-mal häufiger erhalten als Männer, können alle Geschlechter betroffen sein und bei den Männern ist die Dunkelziffer vermutlich hoch.

Auf der Waage können Essstörungen sich als Unter-, Normal- oder auch Übergewicht präsentieren. Den verschiedenen Arten von Essstörungen gemeinsam ist ein ungesundes Essverhalten. Die Betroffenen sind meist mit ihrem Körper unzufrieden. Gedanken, die sich um die Nahrungsaufnahme drehen, bestimmen den Tag.

Die häufigste Essstörung ist das Binge Eating. Der Männeranteil liegt hier bei 30 bis 40 Prozent. Ein geringes Selbstwertgefühl in Bezug auf das Körpergewicht führt dazu, dass man sich Mahlzeiten oder bestimmte Nahrungsmittel versagt. Das funktioniert aber nur eine Weile. Dann kommt es, gerade wegen des vorherigen Verzichts, zu einem Essanfall.

Dabei essen die Betroffenen in kurzer Zeit große Mengen insbesondere hochkalorischer Speisen, die sie sich eigentlich verboten hatten. Dabei erleben sie einen Kontrollverlust. Die empfundene „Disziplinlosigkeit“ oder das „Versagen“ beim Diäthalten kratzen weiter am Selbstbild. Deshalb wird die Nahrung umso strikter reguliert, es folgen weitere Essanfälle. Das Gewicht steigt – und das Selbstwertgefühl sinkt weiter. Der Übergang zwischen Abnehmversuch und Essstörung ist fließend.

Die Diätologin Isabel Bersenkowitsch hat typische Anzeichen einer Essstörung und einer Diät gegenübergestellt:

Essstörung

Diät

Teilt Lebensmittel in „gut“ und „schlecht“ ein, verteufelt ganze Lebensmittelgruppen

Teilt Lebensmittel in „gut“ und „schlecht“ ein, verteufelt ganze Lebensmittelgruppen

Zählt Kalorien

Zählt Kalorien

Muss sich Essen durch Sport verdienen

Muss sich Essen durch Sport verdienen

Denkt den ganzen Tag an Essen

Denkt den ganzen Tag an Essen

Wiegt sich täglich, findet sich zu dick

Wiegt sich täglich, findet sich zu dick

Ignoriert Signale wie Hunger/Sättigung

Ignoriert Signale wie Hunger/Sättigung

Das zeigt einerseits, warum man von einer Diät leicht in eine Essstörung rutschen kann. Es verdeutlicht aber auch, warum eine Diät nicht funktionieren kann: Sie beruht auf essgestörtem Verhalten. Und das kann und sollte man nicht auf Dauer beibehalten.

Die wiederkehrenden Hungerphasen stören das Hormonsystem, insbesondere das Gespür für Hunger und Sättigung geht verloren. Der Cortisolspiegel kann steigen. Auch Verdauungsstörungen sind häufig. Viele Betroffene verlieren ihre Lebensfreude und meiden soziale Kontakte.

Das Hadern mit dem eigenen Körper ist einer der größten Risikofaktoren für eine Essstörung. Das westliche, auf Schlankheit fokussierte Schönheitsideal und der Wunsch, dem zu entsprechen, tragen dazu bei. Restriktives Essverhalten und Diäten gehören zum guten Ton, gelten als Zeichen von Willensstärke und Selbstfürsorge und werden als gesundheitsförderlich dargestellt.

Kinder schützen

Um Essstörungen vorzubeugen, sollten Eltern Abstand davon nehmen, diese Schönheitsideale in die Familie zu tragen. Das Selbstbewusstsein und die Selbstannahme ihrer Kinder zu fördern, verringert deren Risiko zu erkranken.

  • Ein respektvolles Miteinander ohne Kritik an der Figur sowie Freude an Bewegung fördern ein gutes Körpergefühl.
  • Auch mit Bemerkungen zu ihrem eigenen Gewicht tragen Eltern dazu bei, ihre Kinder zu verunsichern.
  • Der kritische Umgang mit (sozialen) Medien regt dazu an, Rollenzuweisungen und Schönheitsideale zu hinterfragen.
  • Beim Essen sollten keine Zwänge herrschen.
  • Süßigkeiten sollten nicht als Belohnung oder Trost eingesetzt werden.
  • Diäten sind nicht für Kinder und Teenager geeignet.
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