Adipositas
PTA-Fortbildung

Über Gewicht: Adipositas verstehen und behandeln

Übergewicht macht krank. Adipositas wäre leicht zu besiegen, würden die Betroffenen sich nur zusammenreißen. Sie müssen einfach mehr Energie verbrauchen als zu sich nehmen. Stimmt das? Warum leicht sein gar nicht so leicht ist.

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Über Gewicht reden

Über Gewicht reden

Adipositas wird nicht nur als eine Krankheit eines Individuums gesehen. In den Medien, teilweise auch von Politikern, hört man immer wieder von einer „Adipositas-Epidemie“ oder „pandemischen Ausmaßen“. Das soll zum einen auf die hohen Betroffenen-Zahlen hinweisen, aber auch auf die Kosten für das Gesundheits- und Sozialwesen.

Die World Obesity Federation beziffert die volkswirtschaftlichen Kosten in Deutschland durch Übergewicht und Adipositas mit rund 96 Milliarden Euro. Adipositas wird damit als eine gesellschaftliche Gefahr dargestellt. Interessanterweise gilt Tabakrauchen, für das die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen 2020 Kosten von 97,24 Milliarden Euro angab, eher als individuelles denn als allgemeines Problem.

Eine weitverbreitete These besagt: Je niedriger der soziale Status einer Person, desto höher ist ihr Risiko, dick zu werden. Ärmere Menschen sind, zumindest in wohlhabenden Ländern, häufiger hochgewichtig. Diese These schreibt ärmeren Menschen bestimmte Eigenschaften zu: Ihnen fehle es an Gesundheitsbewusstsein, was sich in „falschen“ Ernährungsweisen und Bewegungsmangel zeige, sie wohnten überproportional oft in gesundheitsschädlichen Gegenden und sie verfügten seltener über die Finanzen, um sich eine angemessene Gesundheitsversorgung und gesunde Lebensmittel leisten zu können.

„Weil Mehrgewichtige unter dem Verdacht stehen, faul, undiszipliniert, erfolglos und ungesund zu sein, haben sie es schwerer, einen gut bezahlten Job zu bekommen.“

Diese These problematisiert den dicken Körper jedoch eher, als ihn zu erklären. „Die Setzung eines ‚richtigen‘ Lebensstils, der im Kontrast zu anderen, ‚falschen‘ Verhaltensweisen den Goldstandard markiert, verhandelt Gesundheit als ein ausschließlich privates Gut, für das das Individuum verantwortlich zu machen ist“, sagt Tae Jun Kim, Soziologe am Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung. Er kritisiert: Armut gelte weithin als selbst verschuldet – und wer das so sieht, für den sei Adipositas der sichtbare Beweis dafür.

Dabei zeigen neuere Studien, dass der statistische Zusammenhang zwischen Armut und Adipositas vielmehr ausdrückt, wie mit dicken Menschen umgegangen wird – sie erfahren Diskriminierung. Weil sie unter dem Verdacht stehen, faul, undiszipliniert, erfolglos und ungesund zu sein, haben sie es schwerer, einen hohen Bildungsabschluss oder einen gut bezahlten Job zu bekommen (früher war zum Beispiel eine Verbeamtung mit einem BMI über 30 ausgeschlossen). Ein Zusammenhang zwischen Übergewicht und sozialem Status besteht also, was jedoch Ursache und was Folge ist, ist unklar.

Adipositas: Persönliches Versagen oder Krankheit?

Das zeigt das Stigma, auch in wissenschaftlichem Kontext, rund um das Thema Gewicht auf: Adipositas sei selbst verschuldetes Versagen, weniger eine Krankheit. Oft vereinfachen selbst Studien die Ursachen und Folgen von Adipositas und tragen so zu einem verzerrten gesellschaftlichen Bild bei. So titelte beispielsweise die FAZ 2012 „Dick und Doof: Studie: Fettleibige Menschen haben geringeres Denkvermögen“, die ÄrzteZeitung fasste zusammen „Dick macht dumm.“ Focus veröffentlichte in Kooperation mit Scinexx im März 2024 „Schock-Studie zu Übergewicht! Warum das fatal ist – und wie Sie gegensteuern.“

Was der Schock ist? Es gibt mehr übergewichtige als unterernährte Menschen. Wir schaffen es also kaum, wertneutral über Gewicht zu sprechen. Um Betroffenen Hilfe und Therapien anzubieten, müssen Gesundheitsdienstleistende sich die Komplexität des Themas immer wieder vor Augen führen.

„Adipöse Menschen erleben ein hohes Maß an Stress, und dieser Stress stellt eine plausible Erklärung für einen Teil der Beziehung zwischen BMI und Gesundheit dar.“

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