Illustration einer verzweifelten Frau, deren Haare in ein Unwetter mit Blitzen übergehen.© fedrelena / iStock / Getty Images Plus
Eine repräsentative Forsa-Umfrage im Auftrag der KKH Kaufmännische Krankenkasse legt offen, wie es um die Psyche vieler berufstätiger Menschen in Deutschland steht: Der Stresslevel ist hoch und die Belastung ist groß.

Wachsende Belastung

WIE DIE EIGENE PSYCHE UNS KRANK MACHT

Was für ein Stress! Diesen Stoßseufzer dürften viele Menschen kennen, im Beruf ist er vermutlich ein ständiger Begleiter. Nur: Ernste psychische Erkrankungen können eine Folge sein. Eine Studie liefert nun beunruhigende Ergebnisse.

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Man mag das Wort fast nicht mehr hören: Krise. Aber Krise ist derzeit überall, neben globalen Krisen gibt es persönliche – viele Menschen sind überlastet, leiden unter – echter oder empfundener – Ungerechtigkeit, Inflation und Teuerung knabbern am Portemonnaie, und auch die Erfahrungen der Corona-Pandemie sind nicht vergessen.

Das wirkt sich aus: Die psychische Belastung berufstätiger Menschen in Deutschland ist laut KKH Kaufmännische Krankenkasse im ersten Halbjahr 2023 drastisch gestiegen.

Ausfallzeiten so hoch wie noch nie

Das zeige sich an den Fehlzeiten, teilte die Krankenkasse unter Berufung auf Daten zu den eigenen Versicherten mit. Die Fehlzeiten wegen seelischer Leiden seien auf 303 Ausfalltage pro 100 Versicherte gestiegen – ein Plus von 85 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. In der jüngeren Vergangenheit habe es einen solchen Anstieg nie gegeben, teilte die Kasse mit. Im ersten Halbjahr 2022 waren es 164 Ausfalltage, in den ersten sechs Monaten 2021 noch 137. „Diese Entwicklung ist alarmierend, denn wir haben schon jetzt fast das Niveau des gesamten Jahres 2022 erreicht“, sagte die KKH-Arbeitspsychologin Antje Judick.

Denn im vergangenen Jahr registrierte die Krankenkasse 339 Fehltage pro 100 Versicherte wegen Depressionen, Anpassungs- oder Angststörungen. 2021 und 2020 waren es 287 und im Vor-Corona-Jahr 2019 rund 274 Tage. Für die Untersuchung wertete die KKH die Zahl der Kalendertage mit ärztlichem Attest von pflichtversicherten und freiwillig versicherten eigenen Mitgliedern aus. Die KKH ist nach eigenen Angaben mit mehr als 1,6 Millionen Versicherten eine der größten bundesweiten gesetzlichen Krankenkassen mit mehr als 1,6 Millionen Versicherten.

Psychisch krank im Job

Das Hoch bei den Fehlzeiten ist nicht das einzige Alarmsignal. Auch bei den Krankschreibungen wegen seelischer Leiden gab es einen Anstieg: Laut KKH stieg die sogenannte Arbeitsunfähigkeitsquote, also die Zahl der Krankschreibungen bei psychischen Erkrankungen im Verhältnis zu den berufstätigen Versicherten, im ersten Halbjahr 2023 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 32 Prozent – nämlich von 3,9 auf 5,2 Prozent.

„Der besonders starke Zuwachs bei den Fehlzeiten deutet darauf hin, dass es zunehmend schwere, langwierige Fälle von psychischen Erkrankungen gibt“, erklärte Judick. Das bereite Sorgen – auch mit Blick auf die Beschäftigten, die die Arbeitsausfälle abfedern müssen. Auch sie könnten erschöpfungsbedingte psychische Leiden entwickeln.

Stresslevel auf der Arbeit steigt an

Eine repräsentative Forsa-Umfrage im Auftrag der Krankenkasse bestätigt: Der Stresslevel der Berufstätigen ist hoch. 90 Prozent von ihnen fühlten sich zumindest gelegentlich gestresst, rund die Hälfte davon häufig oder sehr häufig, ergab die Studie. Dafür waren im Mai bundesweit 1004 Menschen im Alter von 18 bis 70 Jahren befragt worden – darunter 722 Berufstätige.

Knapp 60 Prozent der Berufstätigen sprachen von zunehmendem Stress in den vergangenen ein bis zwei Jahren. Neben Ausbildung und Beruf sowie Krisen wie Klimawandel und Inflation (je 47 Prozent) sind es demnach vor allem hohe Ansprüche an sich selbst (51 Prozent), die die Menschen als stressig empfinden. Auch die ständige Erreichbarkeit via Smartphone (37 Prozent) sowie finanzielle Sorgen (24 Prozent) machen Stress. Fast zwei Drittel der Berufstätigen fühlen sich unter Stress erschöpft und ausgebrannt, jede und jeder sechste Berufstätige leidet unter stressbedingten Angstzuständen.

Wachsender Trend zeichnet sich seit Jahren ab

Andere Studien ergaben ein ähnliches Bild: Laut einer Ende Februar vorgelegten repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ipsos im Auftrag des Versicherungskonzerns Axa bezeichnet sich fast ein Drittel der Befragten als psychisch erkrankt. Rund 32 Prozent erklärten, dass sie unter Depressionen, einer Angst- oder Essstörung, Zwangsneurose oder anderen psychischen Erkrankungen leiden. Insgesamt wurden im vergangenen Herbst 2000 Menschen zwischen 18 und 74 Jahren in Deutschland online befragt.

Die Ergebnisse fand Andreas Meyer-Lindenberg, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde, damals „nicht sehr überraschend“. Laut einer repräsentativen Untersuchung von 2014 seien in Deutschland rund 28 Prozent der Bevölkerung binnen eines Jahres psychisch erkrankt.

Pflegeberufe besonders betroffen

Laut der KKH-Untersuchung gingen die längsten Fehlzeiten von durchschnittlich 112 beziehungsweise 71 Tagen im ersten Halbjahr auf wiederkehrende Depressionen und depressive Episoden zurück. Am häufigsten hätten die Ärzte aber akute Belastungsreaktionen und Anpassungsstörungen diagnostiziert: Diese verursachten bei einem Anteil von 41 Prozent nicht nur die meisten psychisch bedingten Krankschreibungen, auch die Arbeitsunfähigkeitsquote stieg hier am stärksten – nämlich um 42 Prozent.

Das zeige, dass immer mehr Menschen „unter ungewöhnlichem Druck, großen Belastungen und Dauerstress stehen“, erklärte Judick. Besonders betroffen, fast wie in der Pandemie: Beschäftigte in sozialen Berufen wie etwa Alten- und Krankenpflege.

Quelle: dpa

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