Seeanemone Stichodactyla helianthus© Damocean / iStock / Getty Images Plus
Die karibische Seeanemone Stichodactyla helianthus richtet ihr Gift gegen Immunzellen – was wir bereits gegen Autoimmunerkrankungen nutzen.

Toxine als Wirkstoffe

VON GIFTIGEN TIEREN UND HEILSAMEN SUBSTANZEN

Vogelspinnen und manche Schlangen haben eins gemeinsam: Sie produzieren ein Gift, das ihre Beutetiere bewegungsunfähig macht oder gar tötet. Das ist aus pharmazeutischer Sicht erbaulich, denn aus ihren Toxinen können wir Arzneimittel konstruieren.

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Beispiel Kegelschnecke: Gemächlich über den Meeresboden kriechend, produzieren alle 600 Arten ein hochkomplexes Wirkstoffgemisch, das aus über 200 Substanzen besteht. Die Schnecke verschießt ihren tödlichen Cocktail katapultartig mit Giftpfeilen und erbeutet sogar wendige Fische oder kleine Weichtiere. Die Conotoxine führen bei den erbeuteten Fischen zu einem Zusammenbruch des Nervensystems, das sie lähmt und zur leichten Beute für die ja an sich eher träge Schnecke werden lässt.

Auf der Basis dieses Schneckengiftes wurden bereits Therapeutika entwickelt. So unterbindet der Wirkstoff Ziconotid den Einstrom der Kalzium-Ionen in bestimmten Nervenzellen und damit die Weiterleitung von Signalen. Auf Deutsch: Es unterbindet die Schmerzweiterleitung beim Menschen, ist 1000 Mal stärker als Morphium und hilft selbst dann, wenn Opioide nicht mehr greifen. Damit ist Ziconotid übrigens eines der wenigen Beispiele für chemisch unverändert verabreichte Giftkomponenten.

Venomics-Datenbank speichert etliche bereits identifizierte Peptide

Überwiegend ist das aber anders. Die meisten identifizierten giftigen tierischen Substanzen sind auch in kleinster Dosis viel zu stark für den Menschen und müssen daher aufgeschlüsselt werden – getreu dem Satz des Paracelsus:

„Die Dosis macht das Gift.“

Forscher gehen aber davon aus, dass bald weitere von den Conotoxinen abgeleitete Arzneistoffe Marktreife erlangen könnten. Etliche der 100 000 identifizierten Peptide sind bereits in der Venomics-Datenbank abgespeichert.

Venomics war ein EU-finanziertes Projekt zur Entwicklung innovativer Arzneimittel aus Tiergiften. Die so entwickelte Bibliothek charakterisiert die Gifte und Giftdrüsen von über 200 Tierarten. So hat Venomics zwischen 2011 und 2015 mehr als 3600 potenzielle Arzneistoffe entdeckt, die nach tierischem Vorbild synthetisiert werden könnten.

Doktor Seeanemone

Wie auch jenes der karibischen Seeanemone. Ihr Toxin Dalazatid blockiert einen spezifischen Kaliumkanal bei T-Zellen, die ja bekanntlich der Immunabwehr dienen und ein Baustein für die erworbene Immunantwort sind. Sie werden bereits bei Autoimmunerkrankungen wie Lupus erythematodes oder Multipler Sklerose erprobt. Bei der Behandlung der Schuppenflechte ist man sogar kurz vor dem Ende des klinischen Testverfahrens.

Skorpionengift findet Tumoren

Ein anderer Kandidat ist der Gelbe Mittelmeerskorpion. Hochgiftig, produziert er ein Chlorotoxin, das seinen Feinden schlecht bekommt, da es turboschnell ins Zentralnervensystem eindringt.

Therapeutisch, so hat sich herausgestellt, lässt es sich im menschlichen Organismus jedoch ganz anders nutzen: als Marker für Gliome. Das sind Tumoren des Zentralnervensystems, die meist im Gehirn auftreten und unmarkiert schlecht lokalisierbar sind. Wird jedoch das spezielle, mit Fluoreszenzfarbstoffen gefärbte Chlorotoxid-Peptid des Skorpions verwendet, das sich eindeutig nur an die Krebszellen bindet, kann der Chirurg kranke von gesunden Zellen gut unterscheiden und herausoperieren.

Drei Viertel Schlange, ein Viertel Gift

Kommen wir zu den Schlangen, und hier besonders zur Blauen Bauchdrüsenotter, die gern durch das trockene Laub der Wälder Südostasiens raschelt. Eine ihrer Lieblingsspeisen sind Kobras – die viel größer und stärker sind als die relativ kleine blaue Schlangenart. Deshalb braucht sie ein Gift, das ungemein schnell – und tödlich – wirkt. Die Bauchdrüsenotter hat davon reichlich, ihre toxinen Tanks machen bis zu einem Viertel ihres Körpergewichtes aus.

Einmal verspritzt, macht es den Gegner in Sekundenschnelle bewegungsunfähig, indem es die Natriumkanäle der Nervenzellen weit offenhält und so das System Amok läuft. Womöglich, so vermuten Forscher, ergibt sich daraus ein neuer Behandlungsansatz für Menschen mit heftigen chronischen Schmerzen.

Gift gesucht, Unglaubliches gefunden

Und manchmal bringt die Suche nach Spektakulärem noch Spektakuläreres ans Licht. Den Schlitzrüssler nämlich. Das wie eine riesige Spitzmaus aussehende Tier mit seinem langen, beweglichen Nasenrüssel galt bereits als ausgestorben – bis man es in der Dominikanischen Republik und auf Haiti wiederentdeckte.

Der 30 Zentimeter große Nager sieht allerdings nur putzig aus – er ist eines der wenigen Säugetiere auf der Erde, das Gift produziert. Er verabreicht es ein wenig wie Vampire es tun, nämlich durch einen heftigen Biss, derweil die todbringende Substanz durch Kanäle in seinen Zähnen fließt.

Die Forscher waren begeistert. Das Gift des Schlitzrüsslers ließ nämlich den Blutdruck seiner Beute so schnell und so rapide abfallen, dass viele einfach tot umfielen. Damit lag ein möglicher therapeutischer Einsatz in der Humanmedizin auf der Hand – als Blutdruckregulator.

„Bei den tierischen Giften gibt es zweifelsohne etliche pharmazeutisch hochwirksame Naturstoffe, die spezifisch greifen. Da ist sicher noch viel Spannendes zu entschlüsseln“, hofft Toxinforscher Johannes Eble von der Universität Münster, der selbst intensiv nach Giften fahndet, die Blutungen auslösen. Damit kann man nämlich Medikamente konstruieren, die Thrombosen auflösen, wie sie nach Embolien, Herzinfarkten oder Schlaganfällen häufig auftreten.

„Bei den tierischen Giften gibt es zweifelsohne etliche pharmazeutisch hochwirksame Naturstoffe, die spezifisch greifen. Da ist sicher noch viel Spannendes zu entschlüsseln.“

Quellen:
https://www.wissenschaft.de/gesundheit-medizin/toxine-als-medikamente/ 
https://cordis.europa.eu/article/id/165840-animal-toxins-in-drug-discovery/de 

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