Zwei Gläser mit in Wasser aufgequellten Chiasamen, dekoriert mit Zitrone auf einem Tablett© Olivka888 / iStock / Getty Images Plus
Chiasamen, Zitrone und Wasser - simpel. Aber als "Internal Shower" klingt es gleich peppiger.

Social Media Hype

TREND-GETRÄNK „INTERNAL SHOWER“ IM TEST

Sauerkrautsaft, Apfelessig, ein Glas lauwarmes Wasser am Morgen – um den Darm in Schwung zu bekommen, versuchen viele Menschen wirklich alles. Doch nicht alles ist sinnvoll. Wie steht es um den neuen Detox-Drink aus Chia und Zitrone?

Seite 1/1 7 Minuten

Seite 1/1 7 Minuten

TikTok ist immer für einen Trend zu haben. Auch Gesundheitstipps werden hier ausgetauscht und erlangen rasch „Hype-Status“. Erst kürzlich führte die Influencer-Empfehlung auf TikTok dazu, dass Pulver zur Herstellung oraler Elektrolytlösungen nicht mehr erhältlich waren.

Und nun ist es die  „Internal Shower“, ein Wellnessgetränk, das den Stoffwechsel anregen und dadurch das Wohlbefinden steigern soll. Gleichzeitig kann der Körper entgiften und der Darm gereinigt werden – wie eine Dusche für das Innenleben. Was ist wirklich dran am Trend-Getränk mit der gewöhnungsbedürftigen Konsistenz?
 

Superfood trifft auf Zitrone

Das Rezept ist simpel, der Drink schnell zubereitet – man benötigt:

  • ein großes Glas stilles Wasser oder Leitungswasser,
  • 2 Teelöffel Chiasamen,
  • Saft einer halben Zitrone.

Alles zusammenkippen, umrühren und mindestens 15 Minuten stehen lassen. In dieser Zeit quellen die Chiasamen auf und verwandeln das Glas Wasser in eine gallertartige Flüssigkeit. Nach nochmaligem Umrühren soll die Internal Shower in kleinen Schlucken getrunken werden.

Die Reaktionen in den TikTok-Videos reichen von angedeutetem Erbrechen bis hin zu der freudigen Erkenntnis, dass es nicht so schlecht schmeckt wie man vermutet hätte. Gewöhnungsbedürftig ist die Konsistenz allemal – eine Userin schlägt vor, die Samen zunächst in zermatschtem Beeren-Obst quellen zu lassen und erst im Anschluss Zitrone und Wasser hinzuzugeben. Eine frische Variante für mehr Abwechslung – schließlich soll der Drink wie eine Kur täglich über einen längeren Zeitraum getrunken werden – doch viel an der Konsistenz ändert das nicht.

Nach einigen Stunden soll die verdauungsfördernde Wirkung bereits in Kraft treten, regelmäßig getrunken, gehören Verstopfungen der Vergangenheit an.

Quellende Laxanzien
 

Quellmittel zur Behebung von Verdauungsbeschwerden – das ist nichts Neues für Sie – gehören zu den ersten Maßnahmen, die bei einer kurzzeitigen, akuten Verstopfung empfohlen werden können. Die Substanzen binden Wasser. Dadurch wird der Stuhl gleitfähig und voluminös, die Darmwand wird gedehnt. Dadurch erhält die Darmmuskulatur die Information: schnell weitertransportieren – als reflektorische Kontraktion bezeichnet man dieses Phänomen. Der Darminnendruck sinkt und die Stuhlpassage wird beschleunigt.

Zu den klassischen Quellmitteln zählen:

  • Weizenkleie,
  • Leinsamen (Lini semen) und
  • Indische Flohsamenschalen (Psyllium semen plantaginis ovata).

Sie werden nach dem Verzehr praktisch unverdaut wieder ausgeschieden, enthalten daher nahezu keine Kalorien, sind dabei aber sehr sättigend. Früher bezeichnete man sie als Ballast – völlig zu Unrecht, denn Ballaststoffebeeinflussen unsere Gesundheit ungemein positiv.

Wasserlösliche Ballaststoffe, wie Pektine und Inulin, quellen in Wasser zu einem Gel auf und können von Darmbakterien verstoffwechselt werden, stellen also Futter für das Darmmikrobiom dar. Bei dem Abbau entstehen zum Teil kurzkettige Fettsäuren, die auch vom Körper aufgenommen und genutzt werden können.

Wasserunlösliche Ballaststoffe, wie Cellulosen oder Lignine, sind Faserstoffe, die in Flüssigkeit aufquellen. Für sie interessieren sich Darmbakterien eher weniger. Doch halten sie lange satt und zeigen größeren Einfluss auf die direkte Darmaktivität.

Enthält ein Lebensmittel mehr als 5 Gramm Ballaststoffanteil pro 100 Gramm, gilt es als ballaststoffreich. Das sind zum Beispiel Schwarzwurzeln, Erdnüsse oder Haferflocken.

Gemüse, Obst und Vollkorngetreide sind die wichtigsten Ballaststofflieferanten, mengenmäßig vertreten sind am meisten Cellulosen und Pektine (in Obst und Gemüse), Hemicellulosen (aus Getreide) und Lignine (vor allem aus Kleie und älteren, teils verholzten Pflanzenteilen wie Getreide).

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt die tägliche Aufnahme von 30 Gramm Ballaststoffen – wir Deutschen schaffen im Schnitt 20 Gramm pro Tag, und viele noch nicht einmal das. Dabei schützen Ballaststoffe vor der Entwicklung bestimmter Krankheiten, wie:

  • Diabetes mellitus,
  • Bluthochdruck und Herz-Kreislauf-Krankheiten,
  • Adipositas,
  • Divertikelkrankheit,
  • Krebserkrankungen wie Dickdarmkrebs oder
  • Hämorrhoiden.

Lösliche Ballaststoffe, sogenannte Präbiotika, zeigen positive Effekte auf den Blutzucker- und Fettstoffwechsel, stärken das Darm-Immunsystem und damit die Körperabwehr insgesamt und beeinflussen das Nervensystem.

 

Ballaststoff-Bomben
Flohsamenschalen sind mit 84 Gramm Ballaststoffanteil pro 100 Gramm Spitzenreiter der Ballaststoff-Tabelle, 100 Gramm Weizenkleie enthalten 45 Gramm, Leinsamen 35 Gramm und Chiasamen 40 Gramm.

 

Der Knackpunkt: Die Flüssigkeit

Damit Ballaststoffe Verdauungsproblemen entgegenwirken können, braucht es eines in jedem Fall: ausreichend Flüssigkeit. Vor allem, wenn die Ballaststoffe nicht als Bestandteil der täglichen Nahrung, sondern zusätzlich eingenommen werden, wie es beispielsweise mit der Internal Shower der Fall wäre.

Denn einmal zu sich genommen, holen sich die Ballaststoffe die Flüssigkeit, die sie zum Quellen benötigen. Wird nicht ausreichend Flüssigkeit getrunken – laut DGE mindestens eineinhalb Liter Wasser pro Tag – holen sie sich das benötigte Wasser trotzdem. Und das kann den Stuhl wiederum eindicken, wodurch die Verdauungsproblematik weiter verschärft wird. Blähungen, schmerzhafte Koliken und Übelkeit sind auch möglich. Ebenso wie Durchfall.

Man sollte den Begriff Internal Shower daher auch wörtlich verstehen und mit ausreichend Wasser „nachduschen“. Denn gerade Chiasamen besitzen ein enormes Quellungsvermögen, das bemerkt man bereits bei der Zubereitung des Drinks: Innerhalb von 15 Minuten hat sich ein dickes Gel gebildet. Das Bundeszentrum für Ernährung (BfE) empfiehlt daher eine maximale Tagesmenge von 15 Gramm Chiasamen – das entspricht etwa 1,5 Esslöffeln. Die offizielle Deklaration zur maximalen Tagesmenge ist jedoch seit 2021 nicht mehr verpflichtend.

Chiasamen im Gesundheitscheck

Neu ist das Superfood ja nicht mehr, aber der Trend bricht auch nicht ab. Was können die südamerikanischen Samen? Zum einen enthalten sie, wie bereits erwähnt, einen hohen Anteil an Ballaststoffen. Außerdem Omega-3-Fettsäuren, Chiasamenöl besteht über zur Hälfte aus α-Linolensäure (ALA). Die dreifach ungesättigte Fettsäure ist für den menschlichen Körper essenziell und spielt eine hemmende Rolle bei Entzündungsprozessen. Die in den Samen enthaltenen Fettsäuren stehen dem Körper aber nur zur Verfügung, wenn die Samen geschrotet sind oder beim Verzehr gut zerkaut werden – wie bei Leinsamen auch.

Die empfohlene Tagesmenge Chiasamen (15 Gramm) enthält rund 5 Gramm Ballaststoffe und 2,7 Gramm ALA, dazu etwa 70 Kilokalorien.

Mit einem gesundheitlichen Mehrwert darf innerhalb der EU für Chia übrigens nicht geworben werden. Es existiert kein Health-Claim, also keine offiziell erlaubte Gesundheitsaussage, für die kleinen Samen. Auf Packungen, auch von Nahrungsergänzungsmitteln, darf demnach nur vermerkt werden, dass sie einen hohen Ballaststoffwert aufweisen.

 

Chiasamen im Beratungscheck
Chia verursacht Wechselwirkungen mit Acetylsalicylsäure und Warfarin. Wer auf eine entsprechende Medikation zur Antikoagulation angewiesen ist, sollte vorsichtig mit regelmäßig größeren Mengen Chiasamen sein.

 

Aufsehen erregten die Samen in der Vergangenheit aufgrund ihrer Anbaubedingungen im Ausland: Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit wies darauf hin, dass das Saatgut hormonell behandelt wird, um das Auskeimen zu synchronisieren. Und, dass zur Bekämpfung von Unkräutern das seit 2007 in Europa verbotene Herbizid Trifluralin zum Einsatz komme. Bei Bio-Produkten sind Sie diesbezüglich auf der sicheren Seite. Allerdings ergaben Stichproben auch immer mal wieder höhere Aflatoxin-Belastungen, ein giftiger Schimmelpilz, der im Verdacht steht, Krebs auszulösen.

Menschen mit einer bestehenden Allergie gegen Lippenblütler (z.B. Thymian, Lavendel, Minze) sollten sich vorsichtig an das Superfood herantasten, da sie auch hierauf reagieren könnten.

 

Wie nachhaltig ist das Superfood?
Die Chia-Pflanze Salvia hispanica ist eine einjährige krautige Pflanze aus der Familie der Lippenblütler. Ursprünglich stammt sie aus Mexiko, wird aber in vielen lateinamerikanischen Ländern angebaut. Hierzulande wächst sie nicht. Das bedeutet: lange Transportwege und damit anfallende CO2-Emissionen. Wer sich nicht nur ballaststoff- und Omega-3-Fettsäure-reich ernähren, sondern auch etwas für die Umwelt tun möchte, greift besser zu heimischen Leinsamen.

 

Und: Was kann der Drink wirklich?

Er kann nicht mehr und nicht weniger als ein ebensolcher Drink aus Flohsamenschalen. Wer möchte, kann sich also eine Internal Shower genehmigen und seine Verdauung damit anstoßen. Dabei sollte nur auf ausreichend Flüssigkeitszufuhr geachtet werden und der Drink mindestens 10 bis 15 Minuten vor dem Trinken stehen gelassen werden, damit die Samen vorquellen können.

Der Sinn der Zitrone wird nirgendwo aufgegriffen. Ob sie für zusätzliches Vitamin C sorgen oder das Getränk nur geschmacklich aufpeppen soll, bleibt also offen. 

In jedem Fall gilt aber: Wer bislang eher sparsam zu Ballaststoffen gegriffen hat, sollte nicht direkt mit der vollen Ladung Chia jeden Tag starten, sondern sich langsam herantasten. Bei der Umstellung reagiert der Darm nämlich unter Umständen mit Blähungen oder Krämpfen. Nach einiger Zeit und langsamem Aufdosieren der Ballaststoffmenge haben sich aber sowohl der Darm als auch seine Bewohner an die neue Lebensmittelzusammenstellung gewöhnt.

Als Erfinder des Drinks und dessen Hype gilt übrigens der Influencer, Autor und Ernährungswissenschaftler Daryl Gioffre. Der Coach ist sehr medienpräsent und polarisierte bereits mit der Aussage, dass Bananen alleine gegessen zum Frühstück nicht gesund seien. Mal sehen, wie sich der Hype um die Internal Shower noch entwickelt..

Quellen:
N. Rietbrock, H. Staib, D. Loew: Klinische Pharmakologie: Ein Leitfaden für die Praxis, S.144 ff., Springer Verlag, 2013
Utopia
Focus
https://fet-ev.eu/ballaststoffe/
https://www.dlr.rlp.de/Internet/global/themen.nsf/b81d6f06b181d7e7c1256e920051ac19/e51f34d070618e6ac1256faa002938af?OpenDocument#:~:text=Ballaststoffe%20werden%20eingeteilt%20in%20wasserl%C3%B6sliche,verschiedenen%20kurzkettigen%20Fetts%C3%A4uren%20abgebaut%20werden.
Verbraucherzentrale 
NDR
NDR
 

×