Ein Wald aus Vogelperspektive: Zwischen den Bäumen bildet eine Wasseransammlung die Form einer Medikamentenkapsel.© Petmal / iStock / Getty Images Plus
Statt aus fossilem Erdöl könnten wir Medikamente auch aus Baumharz herstellen - und müssten dafür noch nicht einmal abholzen.

Nachhaltige Rohstoffe

IBU UND PARACETAMOL BALD AUF KIEFERNHARZ-BASIS?

Wer bei Erdöl nur an alte Ölheizungen und Verbrennerautos denkt, der hat zu kurz gedacht. Denn der fossile Stoff begegnet uns überall – zum Beispiel im Ibuprofen. Auch Paracetamol wird aus den Vorläuferstufen des Rohöls hergestellt. Forscher haben jetzt eine Alternative gefunden.

Seite 1/1 2 Minuten

Seite 1/1 2 Minuten

Noch werden die beiden gängigsten Schmerzmittel der Welt auf der Basis von Erdöl hergestellt. Man glaubt es kaum, aber Rohöl steckt in so vielen Produkten des täglichen Gebrauchs, beispielsweise in Bodenbelägen, Nylonstrümpfen, Verpackungen, Farben – und eben Medikamenten.

Unter anderem also auch in Paracetamol, und das steht immerhin auf der WHO-Liste der unentbehrlichen Arzneimittel. Auch Ibuprofen basiert fast vollständig auf Erdölvarianten. Ein Forschungsteam der University of Bath in England hat nun ein Raffinerie-Modell entwickelt, mit dem die chemischen Grundstoffe aus Erdöl durch β-Pinen ersetzt werden könnten – das ist Kiefernharz.

Medikamente aus Naturstoff-Abfall

Es ist ein in mehrfacher Hinsicht nachhaltiger Ansatz. Denn das β-Pinen steckt in Terpentin, also dem frischen Harzausfluss der Koniferen, insbesondere der Kiefern. Und das ist ein Abfallprodukt der Papierindustrie. Diese entsorgt jedes Jahr ungefähr 300 000 Tonnen des Balsams. Denn damit aus Nadelhölzern Papier und Kartons hergestellt werden können, muss zunächst das Terpentin entfernt werden.

Kiefernharz könnte Rohöl komplett ersetzen

Den 300 000 Tonnen β-Pinen steht eine jährliche Produktionsmenge von 100 000 Tonnen Paracetamol und Ibuprofen entgegen. Die aus der Papierherstellung abfallende Harzmenge würde ausreichen, um chemische Grundstoffe aus Erdöl in der Produktion dieser Schmerzmittel komplett zu ersetzen.

Die Vorteile des Modells liegen auf der Hand, denn: „Die Verwendung von Erdöl zur Herstellung von Arzneimitteln ist nicht nachhaltig“, sagt Josh Tibbetts, Studienautor und Chemiker an der University of Bath. Ihm zufolge ist die Pharmaindustrie sogar noch umweltschädlicher als die Automobilbranche, und zwar um 13 Prozent. Müsste also für die Medikamentenherstellung weniger Rohöl gefördert und in Raffinerien aufbereitet werden, würde dies die CO2-Emissionen des Sektors merklich senken.

Die Pharmaindustrie ist sogar noch umweltschädlicher als die Automobilbranche, und zwar um 13 Prozent.

Abhängigkeit von ölfördernden Ländern reduzieren

Ein weiterer wichtiger Faktor: Mit dem Umstieg auf β-Pinen würde die Abhängigkeit von ölfördernden Ländern merklich reduziert werden. Schwankende Ölpreise oder geopolitische Ereignisse hätten keinen Einfluss mehr darauf, ob und zu welchem Preis wichtige Medikamente verfügbar sind. Das gilt übrigens nicht nur für Ibuprofen und Paracetamol, sondern auch für bestimmte Betablocker und Asthmamittel, Parfüms und Reinigungsmittel, deren chemische Grundstoffe das Forschungsteam ebenfalls aus Terpentin synthetisieren konnte.

Knackpunkt Kostenpunkt?

Einziger Nachteil: In seiner jetzigen Form ist das Raffinerie-Verfahren teurer als die herkömmliche Herstellung der Rohstoffe aus Erdöl. Die Verbraucher müssten für die – zweifelsohne nachhaltigeren – Produkte einen höheren Preis zahlen. Das Forscherteam hofft allerdings darauf, dass sie dazu bereit sind. Und vielleicht werden Ibu und Paracetamol auf Kiefernharz-Basis dann in Zukunft wieder preiswerter…

Quelle: National Geographic

×