Ein Mädchen im Grundschulalter sitzt angelehnt in einem Krankenhausbett. Sie trägt ein Tuch auf dem Kopf, kuschelt ihren Teddy und schaut mit nach unten gezogenen Mundwinkeln ins Leere.© PeopleImages /iStock/Getty Images Plus
ALL ist die häufigste Krebsart bei Kindern. Der Antikörper Lusvertikimab soll die Behandlungsoptionen künftig weiter verbessern.

Lusvertikimab

KREBS BEI KINDERN: ANTIKÖRPER GEGEN ALL GEFUNDEN

Akute lymphatische Leukämie ist die am häufigsten auftretende Krebsart bei Kindern. Zwar stehen die Heilungschancen heutzutage recht gut. Doch aggressive, belastende  Chemotherapien wirken nicht immer. Kieler Forscher haben eine Alternative getestet.

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Bei einer Akuten lymphatischen Anämie (ALL) entarten die Vorläufer der Lymphozyten. Es kommt dann schnell zu einer Knochenmarksinsuffizienz, Anämie, Gerinnungsstörungen und Immunschwäche. ALL kann auch bei Erwachsenen auftreten. Bei Kindern macht sie jedoch 80 Prozent der Leukämien und 30 Prozent der Krebserkrankungen aus.

Erwachsene haben deutlich schlechtere Aussichten als Kinder, wenn sie an ALL erkranken. Rückfälle sprechen ebenfalls schlecht auf gängige Therapien an. Daher werden neue Behandlungsmethoden dringend gebraucht. Der Antikörper Lusvertikimab befindet sich gerade in klinischen Studien gegen Colitis Ulcerosa. In Kiel hat man ihn nun erfolgreich gegen ALL eingesetzt. Ob daraus eine neue Therapie entsteht?

Im Modellversuch bekämpfte Antikörper ALL erfolgreich

In Modellversuchen mit Blutkrebszellen von an ALL erkrankten Kindern und Erwachsenen kann Lusvertikimab die Erkrankung besonders in frühen Stadien sehr gut bekämpfen. Sogar eine komplette Auslöschung gelang mitunter. In einem zweiten Schritt der Studie für fortgeschrittene ALL hatte es der Antikörper schwerer. In 95 Prozent der Proben gelang dennoch eine deutliche Reduktion der Leukämiezellen.

Was ist Lusvertikimab?

Lusvertikimab ist ein Antikörper gegen den IL-7-Rezeptor auf Immunzellen. Er wird derzeit zur Behandlung von Autoimmunerkrankungen wie Colitis Ulcerosa im Rahmen klinischer Studien getestet. Zugelassen ist er bisher nicht, es gibt aber bereits positive Anzeichen.

Der IL-7-Rezeptor kommt auf B- und T-Zellen vor. Bei bestimmten Genmutationen oder Fehlregulationen können die durch IL-7 gesteuerten Signalwege an der Blutkrebsentstehung beteiligt sein. Entartete, unreife B- oder T-Zellen des Immunsystems fluten dann den Körper und verdrängen gesunde Zellen. Blutbildungsstörungen sind die Folge. Unbehandelt führt ALL binnen weniger Wochen zum Tod.

Lusvertikimab bei ALL

Besonders ein Teilbereich des Rezeptors, die sogenannte α-Kette oder auch CD127, ist bei rund 85 Prozent der ALL-Patienten auf der Zelloberfläche nachweisbar. Das macht das Protein zu einem vielversprechenden Target gegen die ALL.

Die Bindung des Antikörpers führt zum einen zum Absterben der betreffenden entarteten Blutzelle, zum anderen werden Fresszellen wie Makrophagen an die Tumorzellen herangeführt. Je mehr CD127 auf der Zelloberfläche der Leukämiezellen vorhanden ist, desto effizienter vernichten die Makrophagen diese.

Neue Strategien gegen Akute lymphatische Leukämie

Die Medizinische Fakultät der Universität Kiel und die Klinik für Kinder- und Jugendmedizin I der Universität Schleswig-Holstein kooperieren für ihre Untersuchungen mit dem französischen Wirkstoffhersteller OSE Immunotherapeutics. Auch Forschende anderer Standorte in Deutschland beteiligen sich an der Suche nach neuen Behandlungsstrategien gegen ALL, speziell nach Immuntherapien. Initiator der Studie mit Lusvertikimab ist Professor Denis Schewe. Schon vor einiger Zeit konnte gezeigt werden, dass die Krankheitsmechanismen der ALL mit künstlichen Antikörpern unterbrochen werden können.

Lösen Immuntherapien die Chemotherapie ab?

Vor 30 Jahren noch war die Diagnose ein fast sicheres Todesurteil. Mittlerweile liegen die Heilungschancen für Kinder bei 80, für Erwachsene immerhin bei 40 bis 50 Prozent. Weil Chemotherapien wegen ihrer mangelnden Selektivität für die Krebszellen oft mit starken Nebenwirkungen und großen Risiken behaftet sind, sucht man zunehmend nach Immuntherapien. Diese sollen das eigene Immunsystem bei der Bekämpfung der Krebszellen unterstützen.

Eine Form der Immuntherapie sind Antikörper. Sie werden bereits gegen ALL eingesetzt. Allerdings wirken sie nicht immer, weil jeder Mensch und jeder Krebs anders sind. Neue Behandlungsoptionen, die gezielt an Proteinen der Tumorzellen ansetzen, können auch Menschen helfen, bei denen die Chemotherapie nicht hilft oder die sie nicht vertragen. Die Entwicklung und Testung neuer Antikörper aber ist aufwendig und teuer, Misserfolge zudem an der Tagesordnung.

Bekannter Wirkstoff: Schnellere Entwicklung

Da Lusvertikimab schon auf seine Verträglichkeit bei Menschen geprüft wurde, kann man nun schneller mit Tests bei ALL-Betroffenen beginnen. Es muss sich dann zeigen, ob die Ergebnisse der Kieler Studie auf Menschen übertragbar sind. Der Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin in Kiel, Professor Martin Schrappe, hofft, dass mit Lusvertikimab besonders gefährdete Erkrankte schonender und effektiver behandelt werden können.

Quellen:
https://idw-online.de/de/news836257
https://ashpublications.org/blood/article/143/26/2735/515436/The-IL-7R-antagonist-lusvertikimab-reduces
https://flexikon.doccheck.com/de/Akute_lymphatische_Leuk%C3%A4mie
https://www.krebsinformationsdienst.de/leukaemie/behandlung/akute-lymphatische-leukaemie
https://www.ose-immuno.com/en/our-products/ose-127-modular/

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