Insulinausschüttung
HARTE MUSIK GEGEN DIABETES
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Es darf vermutet werden, dass die Mitglieder der Arbeitsgruppe um Professor Martin Fussenegger ihren Spaß hatten, als sie die von ihnen entwickelten Zellen im Mausmodell mit verschiedenen Musikstücken testeten.
Denn sie entwickelten spezielle Zellen, die bei einem bestimmten Signal Insulin freisetzen. Und dieses Signal wird von Musik übertragen – aber nicht aus jeder beliebigen. Die Ergebnisse dieser Studie erschienen in The Lancet Diabetes & Endocrinology“.
Spezialzellen produzieren Insulin
Bei den entwickelten Zellen handelte sich um Glucose-unempfindliche, aber insulinproduzierende menschliche Betazellen aus dem Pankreas. Ihnen hatten die Wissenschaftler das Gen für den mechanosensitiven Ionenkanal MSCL aus Escherichia coli eingepflanzt.
Dieser Kanal sitzt in der Membran des Bakteriums und regelt den Einstrom von Calcium-Ionen ins Zellinnere. Mechanosensitiv bedeutet, der Kanal reagiert auf Dehnung: Wird die Zellmembran gedehnt, etwa durch eine Änderung des Umgebungsdrucks, öffnet sich der Kanal und Calcium-Ionen strömen in die Zelle. Bei den designten Zellen führt dieser Einstrom dann zur Freisetzung von Insulin.
Zellen mögen laute Bässe
Aber wie ändert man den Umgebungsdruck einer Zelle? Dazu beschallten die Forscher sie mit Musik. Dazu musste es aber ordentlich wummern: Lautstärken um 60 Dezibel und Bassfrequenzen von 50 Hertz waren am effektivsten. Pausen von mehr als fünf Sekunden durfte es auch nicht geben, sonst versiegte die Insulinabgabe.
Bei sagenhaften 85 Dezibel (das ist schon ziemlich unangenehm für die Ohren) waren der Song „We will rock you“ von Queen gefolgt vom Soundtrack des Actionfilms „Avengers“ die Gewinner im Ranking. Sie bewirkten die höchste Insulinabgabe. Weit abgeschlagen waren hingegen Klassik und Gitarrenmusik.
In Zahlen: „We will rock you“ setzte innerhalb von fünf Minuten 70 Prozent des Insulins der Zelle frei, innerhalb von 15 Minuten die gesamte. Das sei vergleichbar mit der natürlichen Glucose-erzeugten Insulinantwort von gesunden Personen, so Fussenegger.
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Rock-Konzert für Mäuse
Auch Mäuse sprachen auf die Rock-Therapie an. Dazu mussten sie allerdings mit dem Bauch auf die Lautsprecher gelegt werden – weit entfernte Lautsprecher oder auch Umgebungslärm triggerten sie nicht. Laut Fusseneggers Einschätzung sind das gute Nachrichten: Auch bei in Menschen eingepflanzten Zellen würde wohl kein Risiko bestehen, dass sie „ständig und bei jedem kleinsten Geräusch Insulin sekretieren“.
Ein weiterer Schutz gegen Unterzuckerung: die Insulindepots werden vom Körper erst nach vier Stunden wieder vollständig gefüllt. Auch bei häufigerer Musikbeschallung können sie dann nicht jedes Mal die Maximaldosis Insulin abgeben. „Damit könnte man aber den typischen Bedarf eines Diabetes-Patienten decken, der täglich drei Mahlzeiten zu sich nimmt“, so Fussenegger. Doch bevor die klinischen Tests losgehen, bedarf es natürlich noch vielen Maus-Erprobungen.
Quelle: Pharmazeutische Zeitung