Hirnforschung
EINMAL MUTTER, IMMER MUTTER
Seite 1/1 4 Minuten
Um den Fortbestand einer Spezies zu sichern, hat die Natur sich einiges einfallen lassen. Zum Beispiel die hingebungsvolle Pflege der Nachkommenschaft: Nicht auszudenken, wenn eine Säugetier-Mutter sich nicht genug um ihre hilflosen Jungen kümmert – die sterben dann nämlich in den heiklen Tagen und Wochen nach der Geburt.
Weibliche Tiere, die Nachwuchs zu versorgen haben, weisen oft einen gewissen Nestbautrieb und veränderte Fütterungsroutinen auf. Sie legen erhöhte Wachsamkeit und manchmal sogar Aggressivität an den Tag, wenn ihren Babys jemand an den Kragen will. Doch wie kommt das eigentlich? Wo wird der Grundstein für dieses Verhalten gelegt? Und was ist dabei dem Einfluss der Hormone geschuldet?
Ein kleines Areal im Gehirn ist für Kinderaufzucht „zuständig“
Die Forschenden des Francis Crick Institute in London wollten es genauer wissen und untersuchten die Gehirne von Mäusen während und nach einer Schwangerschaft. Dabei zeigte sich, dass ein kleines Areal im Gehirn trächtiger Tiere durch bestimmte Schwangerschaftshormone so beeinflusst wird, dass es zu einer teilweise dauerhaften Neuverdrahtung der betroffenen Neuronen kommt. Man schloss daraus, dass diese Umbaumaßnahmen auch auf menschliche Mütter zutreffen.
„Wir wissen“, sagt der Biochemiker Jonny Kohl, „dass sich der weibliche Körper während der Schwangerschaft verändert, um sich auf die Aufzucht des Nachwuchses vorzubereiten. Ein Beispiel ist die Milchproduktion, die lange vor der Geburt einsetzt.“ Und auch im Gehirn werden Vorbereitungen für die Mutterschaft getroffen.
Hormone sind Auslöser der Verhaltensänderung
Das kann man schon am Verhalten erkennen: Während Muttertiere die meiste Zeit damit verbringen, sich um ihre Nachwuchs zu kümmern, interagieren weibliche Nagetiere, die nie trächtig waren, kaum mit Jungtieren. Deshalb nahm man lange an, dass die entsprechenden Hormone erst bei der Geburt ausgeschüttet werden.
Diese These wurde inzwischen widerlegt. Denn: Auch bei Ratten, die per Kaiserschnitt entbanden, sowie bei jungfräulichen Mäusen, die Schwangerschaftshormonen ausgesetzt wurden, wurde mütterliches Verhalten festgestellt. Bei trächtigen Mäusen tritt dieses Verhalten außerdem bereits ab der späten Schwangerschaft auf. Das bedeutet: Weder eine natürliche Geburt noch der Kontakt mit Jungtieren sind für diese hormonell verursachten Verhaltensänderungen nötig.
Mehr zum Thema Schwangerschaft und Geburt:
Sogar eine künstliche Stimulation löst mütterliches Verhalten aus
Estrogen und Progesteron sind dafür verantwortlich. Schon während der Schwangerschaft wirken sie auf eine kleine Gruppe von Nervenzellen im Gehirn, die so genannte Area praeoptica medialis – kurz MPOA genannt – im Hypothalamus. Aus früheren Studien weiß man, dass auch eine künstliche hormonelle Stimulation elterliches Verhalten bei Tieren auslöst – auch wenn die gar keinen eigenen Nachwuchs haben.
Estrogen beeinflusst diesen Teil des Gehirns werdender Mütter, indem es einerseits die Aktivität der Neuronen hemmt, sie aber andererseits auch empfindlicher macht. Progesteron wiederum sorgt für eine erhöhte Rekrutierung von Eingängen an den Synapsen, was die Neuronen zu einem wahren Kommunikationsfeuer veranlasst: So kommt es zu einer Neuverdrahtung, die dazu führt, dass Mütter stärker auf ihren Nachwuchs reagieren.
Unempfindlichkeit gegenüber Hormonen sorgt für Rabenmütter
Die Forscher unternahmen dazu das Gegenexperiment: Die MPOA-Neuronen von Mäusen wurden dahingehend genetisch verändert, dass sie gegenüber den Hormonen unempfindlich wurden. Diese Tiere zeigten dann weder während der Schwangerschaft noch nach der Geburt mütterliches Verhalten.
Vor allem während der späten Schwangerschaft gibt es eine kritische Phase, in der die fraglichen Hormone die Verhaltensänderung auslösen. Bei Mäusen (die nur 19 bis 20 Tage trächtig sind) ist dieser Punkt an Tag 18 erreicht. „Wir glauben, dass diese Veränderungen, die oft als „Babygehirn“ bezeichnet werden, eine Änderung der Prioritäten bewirken“, sagt Kohl. Während Jungtiere sich vor allem auf die Paarung konzentrieren, ist ihm zufolge bei Muttertieren ein robustes elterliches Verhalten wichtig, mit dem das Überleben der Jungen gesichert wird. „Faszinierend ist, dass diese Umstellung nicht bei der Geburt stattfindet – das Gehirn bereitet sich schon viel früher auf diese große Lebensveränderung vor.“
Neuer Behandlungsansatz für Mütter, die Schwierigkeiten haben
Doch während manche Effekte nur bis einen Monat nach der Geburt anhalten, sind andere offenbar permanent. Das ist nicht nur an der Aktivität der Neuronen erkennbar, sondern auch am Verhalten der Tiere: Mäuse, bei denen die Verdrahtung stattgefunden hat, tragen ihre Jungen häufiger und schneller ins Nest, bauen bessere Nester und verbringen dort mehr Zeit.
Die Forschenden gehen davon aus, dass sich die Erkenntnisse auch auf menschliche Mütter übertragen lassen. Zudem könnte es auf eine natürliche Unempfindlichkeit von MPOA-Neuronen gegenüber Progesteron und Estrogen hindeuten – weshalb es manchen Müttern schwerer fällt, sich in ihrer neuen Rolle zurechtzufinden als anderen.
Quelle: National Geographic