Evolution
MENSCHLICHE GEBURT – WARUM NUR SO SCHWER?
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Manch eine Mutter würde wohl rückblickend behaupten, dass der Mensch nicht für die Vermehrung gemacht wurde. Und ganz Unrecht hätte sie nicht. Denn zum einen ist der kindliche Kopf zu groß für das Becken der Mutter. Zum anderen ist der Geburtskanal so geformt, dass bestimmte Drehungen nötig sind, um durch ihn hindurch auf die Welt zu gelangen. Obwohl täglich zahlreiche Kinder gesund zur Welt kommen, können diese Voraussetzungen zu lebensbedrohlichen Situationen führen – für Mutter und Kind.
Nach der Evolutionstheorie eigentlich ein Entwicklungsfiasko – warum ist die menschliche Geburt mit Abstand so viel schwerer als bei anderen Tieren? Man vermutet, dass ein zu großes Becken den zweibeinigen Gang unmöglich gemacht hätte. Oder, dass die Beckenbodenmuskulatur eine Rolle spielen könnte. Ein Wiener Forschungsteam untersuchte die Hypothesen nun genauer.
Die Beckenbodenmuskulatur ist entscheidend
Ekaterina Stansfield von der Universität Wien erklärt: „Für die Geburt wäre ein gleichmäßig gestalteter Geburtskanal auch bei unserer Spezies von Vorteil.“. Beim Menschenaffen ist der Kanal beispielsweise gleichmäßig gestaltet, Geburtskomplikationen damit seltener. „Die menschliche Geburt umfasst in der Regel eine komplexe Drehbewegung des fötalen Kopfes, gefolgt von den Schultern und dem Rest des Körpers, während das Baby den Geburtskanal durchläuft“, sagt die Forschende weiter. Daher untersuchte das Team die Beckenbodenhypothese anhand von Computermodellen.
„Bei den meisten Frauen ist der Beckeneingang längsoval geformt, der Ausgang dagegen queroval.“
„Bei den meisten Frauen ist der Beckeneingang längsoval geformt, der Ausgang dagegen queroval“, erläutern die Forscher. Diese Muskelgruppen sorgen für „Stützbrücken“ zwischen den Knochen, unterstützen bei der Kontinenz und sorgen in der Schwangerschaft dafür, dass weder die inneren Organe noch der Fötus abrutschen. Je breiter das Becken gestaltet ist, umso mehr müssen die Beckenbodenmuskeln stemmen. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass der längsovale untere Geburtskanal bezüglich Stabilität von Vorteil ist“, erklärt Stansfield und bestätigt damit klinische Beobachtungen, in denen Frauen mit queroval geformter Muskulatur häufiger unter Inkontinenz und absackenden Organen leiden.
Krummer Geburtskanal als Preis für den aufrechten Gang
„Dieses Ergebnis hat uns anschließend zur Frage veranlasst, warum nicht auch der Beckeneingang beim Menschen längsoval ist“, sagt Stanfields Kollegin Barbara Fischer. „Schließlich würde ein gleichmäßig geformter Geburtskanal wahrscheinlich die Geburt erleichtern, da er die komplexe Art der menschlichen Rotationsgeburt überflüssig machen würde.“
Wäre dieser durchgängig längsoval geformt, vergrößerte sich der Durchmesser des oberen Beckens von vorne nach hinten und die Wirbelsäule müsste sich stärker krümmen. Die Körperhaltung wäre insgesamt instabiler und Rückenprobleme vorprogrammiert – so die Forschergruppe. Mit der Breite des Beckens hat das Ganze also laut Forschergruppe nichts zu tun, sondern mit dessen Tiefe.
„Die Form des Geburtskanals unterliegt der Selektion für Geburt, Beckenbodenstabilität und aufrechte Haltung.“
„Wir denken hingegen, dass der querovale Beckeneingang vielmehr eine Konsequenz der Begrenzung des Beckendurchmessers von vorne nach hinten im Becken ist“, sagt Stansfields Kollege Philipp Mitteroecker. „Er ist vermutlich durch unsere aufrechte Haltung und nicht durch die Effizienz der zweibeinigen Fortbewegung beschränkt.“
Gedrehter Geburtskanal: evolutionärer Drei-Faktor-Kompromiss
All die Akrobatik gründet also in einem evolutionären Kompromiss zwischen starker Beckenbodenmuskulatur und aufrechtem Gang: „Die längsovale Form des unteren Geburtskanals ist eine evolutionäre Anpassung zur Unterstützung des Beckenbodens. Im Gegensatz dazu hat sich die querovale Form des Beckeneingangs vermutlich aufgrund der Begrenzung des Längsdurchmessers durch die aufrechte Haltung entwickelt“, schreiben die Forscher. „Die Form des Geburtskanals unterliegt somit der Selektion für Geburt, Beckenbodenstabilität und aufrechte Haltung.“
Quelle: Wissenschaft.de