Pflanzliche Inhaltsstoffe
EIN DSCHUNGEL AUS GLYKOSIDEN
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Obwohl Flavonoide in vielen Therapiegebieten mit Erfolg eingesetzt werden, bleibt der genaue Wirkmechanismus oft ein Rätsel. Letztendlich ist es weniger eine spezifische Interaktion mit einem bestimmten Enzym oder einem Rezeptor als vielmehr die Kombination verschiedener Vertreter dieser Wirkstoffgruppe mit pflanzlicher Herkunft. Auch deshalb kommen viele Phytopharmaka, deren Wirkung unter anderem auf Flavonoiden beruht, als traditionelle pflanzliche Arzneimittel auf den Markt. Da Flavonoide in fast allen höheren Pflanzenarten vorkommen, stehen sie bei einer ausgewogenen Ernährung automatisch auf der Speisekarte. Oft kann man sie an bunten Schalen oder farbenfrohen Blütenständen erkennen.
Sie finden sie hochkonzentriert in der Schale von Äpfeln sowie in Beeren, Weintrauben oder auch Grünkohl. Grundstruktur vieler pharmazeutisch genutzter Flavonoide sind Kämpferol und Quercetin. Daraus entstehen, je nachdem, welcher Zucker als glykosidischer Teil addiert wird, verschiedene Wirkstoffe: beispielsweise Hyperosid in Kombination mit Galactose oder Rutin in Kombination mit Rhamnose und Glucose. Die Namen der Verbindungen beziehen sich häufig auf die Pflanze, in denen sie zuerst gefunden wurden. Hyperosid wurde beispielsweise zuerst im Johanniskraut (Hypericum perforatum) gefunden. Durch ihre chemische Struktur wirken sie besonders antioxidativ und entlasten körpereigene Vorgänge dementsprechend. Und sie können noch mehr.
Blasenentzündung Harnwegstherapeutika mit Flavonoiden sind nach wie vor beliebt. Meist bildet das oben erwähnte Quercetin das Aglykon und kommt in Kombination mit seinen Glykosiden zum Einsatz. In vielen Fällen wirkt die Kombination verschiedener Quercetin-Glykoside so gut wie erwartet, sodass Anwenderinnen kein Antibiotikum benötigen. Im Vordergrund stehen die diuretische und die aquaretische Wirkung. Durch die erhöhte ausgeschiedene Wassermenge können Bakterien besser ausgespült werden. Denkbar ist auch, dass die Wirkstoffe Enzyme hemmen, die über die Natriumausscheidung die Urinbildung steuern. Einer häufig bei Blasenentzündung eingesetzten Glykosid-Variante, dem Rutin, wird außerdem eine schwach spasmolytische und sogar antimikrobielle Wirkung nachgesagt.
Atemwegsinfekte Auch bei der Therapie von Atemwegserkrankungen macht die Mischung die spätere Wirkung aus. Wieder stehen verschiedene Glykoside des Quercetins sowie Isoquercitrin, Hyperosid oder Rutin im Vordergrund. Sie sind in traditionell verwendeten Pflanzen wie Holunder- oder Lindenblüten enthalten. Als schweißtreibendes Mittel sollen sie den Körper bei der Ausschwemmung der Bakterien unterstützen. Auch sollen die Flavonoide eine antibakterielle und antivirale Wirkung entfalten.
Hepatica Genauer lassen sich einzelne Vertreter von Flavonoiden bestimmen, die bei Lebererkrankungen eingesetzt werden. Flavanolderivate, die unter dem Oberbegriff Silymarin zusammengefasst werden, kommen unter anderem bei einer Vergiftung mit dem Knollenblätterpilz zum Einsatz. Es hindert das Toxin Amantin daran, weiter in die Leberzellen aufgenommen zu werden. Das Silymarin, berechnet als Silibinin, weist gleich mehrere Eigenschaften auf, um gefährdete Leberzellen zu schützen. Es stabilisiert die äußere Membran der Leberzellen, indem es selbst an diese bindet.
Eingedampft
Das Aglykon Quercetin bildet mit verschiedenen glykosidischen Verbindungen weitere Wirkstoffe, die sich in ihrer Wirkung unterscheiden können. Quercetin ist oft das wirksamkeitsbestimmende Flavonoid, versteckt sich aber hinter seinen bekannten Glykosidformen wie dem Rutin, Isoquercetin oder Hyperosid. Diese kommen beispielsweise in Birkenblättern, Goldrutenkraut oder Orthosiphonblättern vor. Silymarin hat sich auch bei schwerem Leberversagen, insbesondere bei der Akuttherapie von Vergiftungen durch Knollenblätterpilze, bewährt. Bei Erkältungen können Tees aus Lindenblüten und Holunderblüten schweißtreibend, antibakteriell und antiviral wirken.
So verhindert es die Aufnahme der lebertoxischen Stoffe. Weiterhin fängt es Radikale ab und hemmt die Prostaglandinsynthese. Zu guter Letzt beschleunigt es die Leberzellgeneration. Es verstärkt gezielt die Synthesegeschwindigkeit der betroffenen Proteine und erhöht so die Regenerationsfähigkeit der Leber. Durch diese Dreierkombination sank die Mortalitätsrate durch den versehentlichen Verzehr von Knollenblätterpilzen auf unter zehn Prozent. Auch wenn abschließende Studien für andere chronische Lebererkrankungen fehlen, stehen die Chancen gut, dass weitere Empfehlungen kommen.
Eine klarere Aussage kann zur Art der Einnahme gegeben werden: Wasser ist kein geeignetes Lösungsmittel für Silymarin bei Leberbeschwerden. Raten Sie daher bei dieser Indikation zu Kapseln, um die täglich benötigten 200 bis 400 Milligramm Silymarin einzunehmen. Bei dyspeptischen Beschwerden hingegen können Sie Tees empfehlen. Durch eine protektive Wirkung bei Schädigung der Magenschleimhaut bessern sich Symptome wie Völlegefühl und Meteorismus.
Den Artikel finden Sie auch in DIE PTA IN DER APOTHEKE 02/2022 ab Seite 52.
Manuel Lüke, Apotheker und PTA-Lehrer für Gefahrstoffkunde