Betäubungsmittel
HILFE, EIN METHADON REZEPT! SUBSTITUTIONS-, SCHMERZ- ODER TUMORTHERAPIE?
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Heroin ist eins der am stärksten abhängig machenden Rauschgifte. Neben körperlichen und psychischen Gesundheitsschäden haben Sucht-Betroffene oft auch unter sozialen Problemen zu leiden: Sie werden an den Rand der Gesellschaft gedrängt, verlieren ihr Obdach oder rutschen in die Kriminalität, um sich ihr Heroin zu beschaffen.
Neben Heroin gibt es noch andere Arten der Opioid-Abhängigkeit, etwa von Arzneimitteln. 2018 wurde die Zahl der Opioid-Abhängigen in Deutschland auf rund 165 000 Menschen geschätzt. Ein Entzug ist nicht nur schwierig und qualvoll, er bringt auch hohe Rückfallquoten mit sich und senkt gleichzeitig die Toleranz gegenüber dem Opioid, was in einer tödlichen Überdosis enden kann. Die Abstinenz kann jedoch auch durch eine Substitution mit Methadon erreicht werden.
Was ist Methadon nochmal?
Methadon ist ein vollsynthetisches Opioid und wirkt stark schmerzstillend. Es ist ein reiner Agonist am µ-Opioid Rezeptor. Aus chemischer Sicht existieren die beiden Enantiomere Levomethadon (L-Methadon) und Dextromethadon (D-Methadon) sowie das Racemat D,L-Methadon. L-Methadon wirkt etwa doppelt so stark wie das Racemat.
Laut dem WHO-Stufenschema für Schmerztherapie gehört Methadon in die Klasse III der stark wirksamen Opioide. Es unterliegt dem Betäubungsmittelgesetz. In Deutschland ist das Enantiomer L-Methadon als Fertigarzneimittel zur Schmerzmedikation und zur Substitutionstherapie zugelassen. Außerdem lassen sich im NRF Rezepturen und Rezepturformeln zu Methadon und L-Methadon finden.
Methadon in der Substitutionstherapie
Oberstes Ziel einer Substitutionstherapie ist eine Opiatabstinenz. Um dieses Ziel zu erreichen, werden opiatabhängige Patienten und Patientinnen mit zur Substitution zugelassenen Arzneimitteln schrittweise von Opiaten entwöhnt. Eines dieser Arzneimittel ist Methadon.
Zur Substitutionstherapie stehen L-Methadon-haltige Fertigarzneimittel in Form von Lösungen und Tabletten zur Verfügung.
Insbesondere für den Take-Home-Bedarf oder den Sichtbezug in der Apotheke werden Rezepturen (NRF 29.1. und NRF 29.4.) verordnet.
Eine ärztliche Verordnung im Rahmen einer Substitutionstherapie muss mindestens das Kennzeichen „S“ enthalten.
Methadon-Sichtbezug
Soll ein Sichtbezug, also die unmittelbare Einnahme in der Apotheke, erfolgen, muss im Voraus eine schriftliche Vereinbarung mit dem Arzt erfolgt sein. Auf dem Rezept sollte folglich der eindeutige Vermerk zum Sichtbezug in einer bestimmten Apotheke zu finden sein. Apotheken sind nicht pauschal dazu verpflichtet, eine solche Verabreichung durchzuführen. Bieten sie den Sichtbezug aber an, ist zur Wahrung der Diskretion die Durchführung in abgetrennten Beratungsräumen der Apotheke empfehlenswert.
Methadon als Take-Home-Verordnung
Für stabile Patienten und Patientinnen besteht die Möglichkeit, einen Take-Home-Bedarf mit einer Reichdauer von bis zu sieben aufeinander folgenden Tagen zu verordnen. In Ausnahmen sogar bis zu 30 Tagen. Der Arzt muss auf der Verordnung den Vermerk „ST“ und die Angabe der Reichdauer notieren.
Was ist beim Abfüllen zu beachten?
Liegt eine Take Home Verordnung mit einer standardisierten Rezeptur nach NRF 29.1. oder NRF 29.4. vor, muss darauf geachtet werden, dass jede Tagesdosis einzeln abgeteilt an den Kunden ausgehändigt wird. Jede Tagesdosis muss kindersicher verschließbar und zum Schutz vor Manipulationen mit einer Originalitätssicherung versehen sein.
Neben den allgemeinen Regeln zur Kennzeichnung von Rezepturen darf der Warnhinweis „Für Kinder unzugänglich aufbewahren! Nicht zur Injektion, Lebensgefahr! Achtung! Die enthaltene Einzeldosis kann für nicht gewöhnte Personen tödlich sein!“ nicht fehlen.
Um eine missbräuchliche intravenöse Anwendung der flüssigen Zubereitungen vorzubeugen, werden die Rezepturen mit grellen Farben eingefärbt. Außerdem haben sie einen charakteristischen Geruch und sind durch ein Verdickungsmittel zähflüssig. Durch den Zusatz von Zucker und Glycerol wird eine unphysiologisch hohe Tonizität (osmotischer Druck) erzeugt.
Für Apotheken, die regelmäßig Rezepturen zur Substitutionstherapie herstellen, empfiehlt sich die Herstellung im Defekturmaßstab. Hierzu liefert das NRF entsprechende Prüfanweisungen. Zur erleichterten Portionierung der Defektur sind verschiedene Dosiersysteme (Methadonpumpen) erhältlich.
Abgerechnet werden Rezepte im Rahmen der Substitutionstherapie nach den Anlagen 4 bis 7 der Hilfstaxe.
Im Regelfall stehen Apotheken, die Substitutionskunden beliefern, in einem sehr engen Austausch mit den behandelnden Arztpraxen. Um eine reibungslose Versorgung sicherzustellen, empfiehlt sich die Entwicklung eines interdisziplinären Prozesses, indem Arztpraxis und Apothekenpersonal Hand in Hand arbeiten.
Methadon in der Schmerztherapie
Das Enantiomer L-Methadon hat den stärksten analgetischen Effekt. In der S3-Leitlinie Palliativmedizin kann L-Methadon von erfahrenen Ärzten bei mittleren bis starken Tumorschmerzen als erste oder spätere Wahl zum Einsatz kommen. Wird Methadon zur Schmerztherapie verordnet, stehen L-Methadon-haltige Fertigarzneimittel in Form von Injektionslösungen, Tabletten oder Tropfen zum Einnehmen zur Verfügung.
Dennoch kann es vorkommen, dass in der Apotheke ein Rezept mit einer Rezeptur vorgelegt wird. Diese Rezepturen basieren meist auf den Rezepturformeln, die sich online im NRF mit Hilfe des Rezepturen-Finders suchen lassen (Suchwort: Methadon). Es handelt sich um einprozentige Methadonhydrochlorid-Lösungen, die auf verschiedene Arten konserviert werden.
Diese Lösungen sind explizit nur zur Schmerztherapie indiziert. Daher sollten sich auf dem Rezept keinerlei Anzeichen einer Verordnung im Rahmen eines Substitutionsprogramms (Kennzeichen „S“) finden lassen. Von Seiten der Apotheke besteht im Normalfall keine Prüfpflicht hinsichtlich der Indikation. Im Zweifel ist eine Rücksprache mit dem verordnenden Arzt immer ratsam.
Methadon in der Tumortherapie?
Im Jahr 2017 wurde bekannt, dass Methadon als Wirkverstärker für Chemotherapien zum Einsatz kommen könnte. Auch in Apotheken stieg damals die Nachfrage von onkologischen Kunden zu dieser Therapiemöglichkeit.
Die deutsche Gesellschaft für Hämatologie und medizinische Onkologie (DGHO) gab damals zu bedenken, dass ein Einsatz ohne weitere klinische Studien nicht vertretbar sei. Die Datenlage sei zu gering. Weitere Studien, um einen Nutzen von Methadon in der Tumortherapie aussagekräftig nachzuweisen, stehen nach wie vor aus.
Die Autorin dieses Artikels, Apothekerin Nora Weber, ist Filialleitung in der ABF-Apotheke in der Königswarterstraße. Die Apotheke ist Teil des ABF-Unternehmensverbunds, eines familiengeführten Unternehmens im Herzen von Fürth.
1977 als traditionelle Apotheke gegründet, ist die ABF heute ein Unternehmensverbund mit rund 350 Mitarbeitenden. ABF steht dabei für die Adresse der ursprünglichen Apotheke: Apotheke Breitscheid-Straße Fürth.
Die ABF-Pharmazie stellt in Herstellungs- und Reinräumen patientenindividuelle Arzneimittel für onkologische Therapien, Home-Care-Therapien und zur Anwendung am Auge her.
Quellen:
DAC/NRF; NRF 29.1. Methadonhydrochlorid-Lösung 5 mg/ml/10mg/ml; https://dacnrf.pharmazeutische-zeitung.de/dac/nrf-werk/OPIAT291/
BtMVV, §5 Substitution, Verschreiben von Substitutionsmitteln https://www.gesetze-im-internet.de/btmvv_1998/__5.html
https://www.deutschesapothekenportal.de/wissen/btm/substitutionstherapie/
DAC/NRF; Rezepturhinweis Substitution https://dacnrf.pharmazeutische-zeitung.de/dac/nrf-wissen/rezepturhinweise/apo/einzelansicht/193
DAC/NRF; Prüfanweisung zu NRF 29.1. https://dacnrf.pharmazeutische-zeitung.de/dac/nrf-werk/OPIAT291PRUEFANWEISUNG/
https://www.deutschesapothekenportal.de/download/public/dialog/schwerpunktthemen/dap_dialog_44_schwerpunktthema.pdf
Leitlinienprogramm Onkologie (Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe, AWMF): Palliativmedizin für Patienten mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung, Kurzversion 2.3 , 2021, AWMF-Registernummer: 128/001OL, https://www.leitlinienprogramm-onkologie.de/leitlinien/palliativmedizin/ Zugriff am: 28.01.24) https://www.leitlinienprogramm-onkologie.de/fileadmin/user_upload/Downloads/Leitlinien/Palliativmedizin/Version_2/LL_Palliativmedizin_2.1_Langversion.pdf
DAC/NRF; Methadonhydrochlorid 1% -Lösung für Schmerztherapie (konserviert mit Sorbinsäure) https://dacnrf.pharmazeutische-zeitung.de/dac/nrf-wissen/rezepturenfinder/apo/einzelansicht/2810
https://www.deutschesapothekenportal.de/medien/dap-lexikon/pruefpflicht-erweiterte/
https://www.aerzteblatt.de/archiv/193607/Methadon-bei-Schmerzen-Wirksame-Rezeptur-ohne-Zulassung
https://www.krebsgesellschaft.de/onko-internetportal/basis-informationen-krebs/palliativtherapie/methadon-bei-der-krebserkrankung.html
https://www.uniklinik-ulm.de/innere-medizin-i/gastroenterologie/tumoren-des-magen-darm-traktes-gastrointestinale-onkologie/mefox-studie-methadon-plus-chemotherapie-bei-metastasiertem-darmkrebs.html
https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/5_Publikationen/Drogen_und_Sucht/Berichte/AbschlussberichtOpiS-Bericht_150518.pdf