Ausnahmezustand
„EINEN STROMAUSFALL KANN MAN NUR ALS TEAM STEMMEN.“
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Tausende Haushalte ohne Strom: Das war vor rund einem Jahr in allen Berliner Medien ein großes Thema. Am 22. Februar 2022 erwischte es bei Bauarbeiten einen Kabelring. Bei 3300 Haushalten in Lichtenberg kam stundenlang kein Strom mehr aus der Steckdose. Auch die Apotheken in der Gegend mussten sich mit der Situation arrangieren.
Vor vier Jahren, am 19. Februar 2019, traf es sogar 31 000 Haushalte plus das DRK-Klinikum Köpenick und die Apotheken im Bezirk. Ein Baggerfahrer hatte zwei 110-Kilovolt-Kabel durchtrennt. Mehr als einen Tag lang dauerte es, bis wieder Strom floss.
Baggerfahrer, Windflaute, Kriegsfolgen – Risiken für einen Stromausfall sind vorhanden
Bei einer Online-Veranstaltung von Apothekerkammer Berlin und Berliner Apotheker-Verein am 13. Februar ging es ganz praktisch darum, an was im Fall eines Stromausfalls alles zu denken ist und wie sich Apothekenteams darauf vorbereiten können. Bauarbeiten in der eigenen Stadt, Leitungsschäden nach einem Schneechaos irgendwo in Deutschland, Flaute im Stromnetz mit Folgen: „Die Wahrscheinlichkeit für akute Stromausfälle steigt“, betonte Referent und Apothekenberater Thomas Ertner.
Zwar war 2021 die Stromversorgung je Verbraucher im Schnitt nur 12,7 Minuten unterbrochen. Aber es kann Einzelne auch länger treffen, darunter Apotheken. Und dann gilt:
„Sie können so einen Stromausfall nur als Team stemmen.“
Handlungsempfehlungen des DAV: Gute Grundlage fürs Team
Der Deutsche Apothekerverband (DAV) hat Mitte Dezember „Handlungsempfehlungen zur Vorbereitung auf einen Stromausfall in der Apotheke“ vorgelegt, die regelmäßig aktualisiert werden. Ertner ergänzte sie mit weiteren, teils unkonventionellen Ratschlägen für Apothekenteams.
Etliche, das ergaben Rückmeldungen im Veranstaltungs-Chat, haben schon eine Menge erlebt bei kürzeren Stromausfällen: Immer wärmer werdende Kühlschränke, ausfallende Sterilherstellung, geschlossene Eingangstüren oder eine dauergeöffnete Tür bei minus fünf Grad, unbrauchbare EC-Geräte und mehr. Ertners Ratschläge für einen plötzlichen Stromausfall:
Zunächst sollten Teams die Handlungsempfehlungen des DAV lesen und gemeinsam auf die eigene Apotheke hin anpassen: „Jede Vorbereitung ist besser als keine.“ Weil tagelange, mutwillig herbeigeführte Stromausfälle eher unwahrscheinlich sind, sollte man sich zunächst auf die kurzen, zufälligen konzentrieren, die ein paar Stunden dauern.
„Es braucht in so einer Krise gesunden Menschenverstand wie in der Coronakrise. Sie müssen für Ihr Universum, Ihre Apotheke ein Stück weit selbst entscheiden, weil Ihnen niemand vorgibt, wie die ordentliche Versorgung der Bevölkerung bei Stromausfall aussieht.“
Erste Aufgabe: Mit dem Team durchdenken und planen, welche Leistungen die Apotheke bei einem Stromausfall unbedingt noch erbringen will – und kann.
„Haben Sie den Mut zu definieren, worauf Sie verzichten können.“ Dafür ist zu prüfen, welche technischen Einrichtungen von einem Stromausfall betroffen wären und welche Leistungen und Funktionen von Stromzufuhr abhängig sind.
Da kommt schnell einiges zusammen: Nicht nur die Kühlung wird ohne Strom zum Problem. Auch der Überblick über die Lagerhaltung, die Rabattvertragsprüfung, das bargeldlose Bezahlen und und und.
Klarheit fürs Chaos schaffen
Am besten ein paar Formblätter nutzen, beispielsweise um bei Teambesprechungen festzulegen, was nötig ist bei einem Stromausfall. Und das, was man sich als Plan S an Vorgehensweisen überlegt hat, als Notfallplan im Qualitätsmanagement (QM) hinterlegen.
Ertner findet zudem sinnvoll, im QM-Notfallplan festzuhalten, dass sich alle Mitarbeiter melden in der Apotheke, wenn sie von einem Stromausfall erfahren – oder sogar versuchen, in die Apotheke zu kommen: „Ich höre schon, dass Sie sagen: ,Das geht doch nicht.‘ Aber Sie sind Teil der kritischen Infrastruktur. Deshalb sollten möglichst alle kommen. Aber nicht bleiben. Es gibt dann einen Dienstplan.“
Kühler Kopf, damit es lange kühl bleibt
Der Apothekenberater findet es clever, zwischendurch mal auszuprobieren, wie lange der eigene Kühlschrank die Temperatur ohne Strom halten kann.
- Ist das von außen ablesbar?
- Oder müsste dafür ständig die Tür geöffnet werden?
- Wäre ein batteriebetriebenes Thermometer mit Fühlern und Außenablesung etwas für den Krisenfall?
- Könnten die Kühlboxen für den Botendienst helfen, bestimmte Medikamente auf Temperatur zu halten, wenn der Strom weg ist?
- Würden Apotheken in der Nähe aushelfen, bei denen noch alles läuft?
Ernter stellte klar: „Die Abgabe an andere Apotheken ist normalerweise nicht zulässig.“ Aber es gehe hier um den Krisenmodus. Beim Stromausfall in Berlin-Köpenick hätten Teammitglieder Arzneimittel mit in ihre heimischen Kühlschränke gepackt: „Wenn sonst keine Vorsorge möglich ist, dann muss ich das tun.“
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Kooperation nicht erst in der Krise
„Es ist total sinnvoll, sich mit anderen Apotheken zu vernetzen und zu klären: Wie arbeiten wir bei Stromausfall zusammen?“ Fällt der Strom aus, fällt auch die Telefonanlage aus. Deshalb: Darauf achten, dass die Handys im Team immer gut geladen sind und Powerbanks vorhanden und ebenso geladen sind.
„Es ist total sinnvoll, sich mit anderen Apotheken zu vernetzen.“
Pragmatismus wagen
Weil vieles bei Stromausfall nicht geht wie sonst, rät Ertner zu angepasstem Handeln. Ein wichtiges Stichwort: Abgabedokumentation. „Machen Sie ein Foto von der Packung und dem Rezept.“ Oder, wenn es um ein OTC-Präparat geht: „Ein Foto von Packung und Ausweis.“ Eine Kurzdoku, was zu welchen Bedingungen abgegeben wurde, sei auch hilfreich.
Abgabe auf Basis eines E-Rezepts? Wird ohne Strom wohl nicht funktionieren. Vielleicht könne der Kunde ein Muster-16-Rezept beim verordnenden Arzt beschaffen. Und wenn in dessen Praxis auch der Strom weg ist? Eine Medikamentenabgabe auf Basis eines Ausdrucks vom E-Rezept-Token sei rechtlich unzulässig.
Gebe man so doch ein Präparat ab, müsse das der Apotheker selbst verantworten. Das sei schon „ein Dunkelgraubereich“, räumte Erntner ein, aber im Krisenzustand? „Sie können sagen, ist mir egal, ich versorge den Patienten.“ Man solle aber am besten schon im Notfallplan solches und anderes Vorgehen festlegen und vielleicht mit Hauptverordnern den Krisenfall durchsprechen.
Das gelte auch für die Rezepturenherstellung: „Überlegen Sie, was dann noch funktioniert beziehungsweise was Sie aufrechterhalten wollen. Treffen Sie Entscheidungen im Einzelfall. Sie müssen die Leistungen sowieso beschränken.“ Ansatzpunkt könne beispielsweise sein, Kunden mit schweren Erkrankungen zu helfen, eine nowendige unterbrechungsfreie Therapie zu sichern.
Kleine Investition, große Hilfe
Für den Fall der Fälle sollten sich Apothekenteams die ein oder andere Anschaffung überlegen. Ein UKW-Radio, das mit Batterien funktioniert, zum Besipiel. Einen günstigen Baustrahler mit Akkus für ein paar Stunden, damit es im Verkaufsraum hell ist. Eine Funkklingel, die rasch an die Tür geklebt ist. Powerbanks.
Wann sich größere Investitionen lohnen, um beispielsweise mit Akkulösungen einen stundenlangen Stromausfall zu puffern, das sei schon eine komplexere Frage. Bei allen Überbrückungslösungen müsse man zudem daran denken, Geräte vor einem Spannungsabfall zu schützen: „Sonst besteht die Gefahr, dass ich Elektronik kaputtmache.“ Deswegen solle man am besten auch Sicherungen ausschalten, wenn der Strom weg ist: „Damit Ihnen nichts um die Ohren fliegt, wenn er wieder angeht.“
Kunden informieren, Leistungen priorisieren
„Sie müssen vorsortieren. Bei einem Stromausfall werden Sie die Kundenfrequenz vermutlich nicht halten können.“ Zum Handlungspaket des DAV gehören Muster-Infos, die man für die eigene Apotheke nutzen kann.
Einen Rat hatte Ertner am Ende auch noch: „Schützen Sie sich und Ihr Team vor Überforderung. Sie werden gebraucht.“