Figuren schauen in den Spiegel und sehen falsches Spiegelbild.© Larysa Amosova / iStock / Getty Images Plus
Die eigene Körperwahrnehmung und das Spiegelbild passen nicht immer zusammen.

Adipositas

DIE SACHE MIT DER KÖRPERWAHRNEHMUNG

Adipositas-Operationen zur schnellen Gewichtsreduktion gewinnen in unserer Gesellschaft immer mehr an Bedeutung. Über die sozialen Medien zeigen operierte Menschen ihre neue Schönheit. Das lässt immer jüngere Menschen diese Operation anstreben.

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Ob die Darstellungen in den sozialen Medien der Wirklichkeit entsprechen, kann man – Bildbearbeitungsprogramme machen es möglich – nicht objektiv beurteilen. Sie verfehlen ihre Wirkung jedoch nicht. Dabei haben bariatrische Operationen vordergründig das Ziel Krankheitsverläufe bei Adipositas zu minimieren und die Gesundheit zu fördern. 

Aber natürlich kann der Reiz eines positiveren Körperempfindens entstehen, gerade in einer Gesellschaft, die einen starken Fokus auf Schönheit sowie durchtrainierte Körper setzt. Viele adipöse Menschen meinen, wenn sie attraktiver und schlanker wären, dann hätten sie ein größeres Selbstbewusstsein. Häufig haben viele adipöse und gerade junge, adipöse Menschen vor einer bariatrischen Operation ein negatives Körperschema.

Körperschema – was ist das eigentlich?

Es geht darum, wie der Mensch seinen Körper wahrnimmt. Es beschreibt die eigene subjektive Einstellung zum äußeren Erscheinungsbild. In unserer Gesellschaft gilt Adipositas als Zeichen für Unattraktivität und Disziplinlosigkeit. Die Stigmatisierung adipöser Menschen ist weit verbreitet und auch viele Menschen aus Gesundheitsberufen haben gegenüber adipösen Menschen Vorurteile. 

Diese Faktoren können das negative Körperschema langfristig aufrechterhalten:

  • Allgemeiner gesellschaftlicher Druck
  • Patientenspezifischer sozialer Druck: z.B. Schwierigkeiten am Arbeitsplatz
  • Vermeidungsverhalten: z.B. nicht zum Sport zu gehen, weil man sich schämt
  • Bodychecking: Zwanghafte Kontrolle im Spiegel
  • Negative Voraussagen: „So wie ich aussehe, werde ich nie eine Arbeitsstelle finden.“
  • Wiederkehrende kritische Gedanken: „Ich bin fett und unattraktiv.“
  • Dysfunktionale Überzeugungen: „Erfolg hängt davon ab, dass man schlank ist.“, „Um beliebt zu sein, muss ich schlank sein.“

Ein negatives Körperschema kann schon in der Kindheit manifestiert werden, wenn beispielsweise Schönheit bei den Eltern ein hoher und anzustrebender Wert war. Damit sich das Kind von den Eltern geliebt und anerkannt fühlt, führte es seit der Kindheit restriktive Diätmaßnahmen durch, wollte immer schlank und schön sein.

Wenn sich im Erwachsenenalter eine Adipositas entwickelt, kann sich die Überzeugung aus der Kindheit zu einem sehr negativen Körperschema entwickeln, nach dem Motto „Ich bin hässlich und daher nicht liebenswert!“. Auch eine Mutter, die immer nur restriktive Diätmaßnahmen vorgelebt hat und ihren eigenen Körper stark abgestoßen hat, kann ein schlechtes Vorbild für ein Kind sein und zu einem negativen Körperschema führen.

Kommt jetzt das Selbstbewusstsein?

Die Frage ist, ob Abnehmen alleine das Problem mit dem negativen Körperschema lösen kann. Mit Sicherheit werden sich viele Menschen nach einer Adipositas-Operation zunächst sehr glücklich und befreit fühlen. Gerade in der Anfangszeit erhalten viele operierte Menschen viel Anerkennung für ihr Aussehen und den erreichten Gewichtsverlust.

In der sogenannten „Honeymoon Phase“ nach der Operation sind die meisten erst mal deutlich zufriedener mit ihrem Körper. Jedoch löst das Abnehmen nicht die zugrundeliegenden Probleme. Man wird nicht automatisch selbstbewusster. Es kommt auch darauf an, welche Denkweise man vor der Operation hatte, welche Glaubenssätze in der Kindheit vermittelt wurden oder ob man es nur für die Gesundheit getan hat.

Unsere Autorin Sabrina Thaden ist Ernährungstherapeutin. Mehr zu ihrer Person und ihrem fachlichen Hintergrund finden Sie unter www.nutrition-master.de

Ein Fallbeispiel

Frau Lehmann* ist 39 Jahre alt, bei ihr wurde im Sommer 2021 eine Sleeve-Resektion durchgeführt. Sie musste vor dieser bariatrischen Operation eine eiweißreiche Diätphase durchführen und wog zu Beginn der Therapie 114 Kilogramm. Frau Lehmann litt in den letzten Jahren enorm unter ihrem Körpergewicht, obwohl sie keinerlei Begleiterkrankungen hatte.

Ihr größter Leidensdruck war vor allem dem Aussehen, der Scham und den damit verbundenen Folgen geschuldet. So beschrieb sie, dass sie allein durch ihren zu dicken Körper unglückliche Beziehungen erlebte und Ausgrenzung verspürte. 

Frau Lehmann hatte in der Kindheit lediglich ein Problem mit ihren Oberschenkeln, jedoch ging sie zum Ballett und das Aussehen hatte bei ihrer Mutter eine hohe Priorität. Ihre Mutter war eine sehr attraktive Frau, sie schenkte ihre Tochter immer dann besondere Aufmerksamkeit, wenn Attraktivitäts- und Leistungsziele erreicht wurden.

Diese Gefühle und Glaubenssätze aus der Kindheit sind bei Frau Lehmann immer noch tief verankert. Durch emotionales Essen und restriktive Diätmaßnahmen ist sie adipös geworden. Dadurch hat sie sich als eine große Versagerin gefühlt. 

Einfach nur Abnehmen gibt einem adipösen Menschen bei einem verzerrten Körperschema nicht das Gefühl, schön zu sein.

Mit der Aufarbeitung ihres negativen Körperschemas hat sich Frau Lehmann vor der Operation nicht beschäftigt. Danach war sie zunächst sehr glücklich, da sie rasch an Körpergewicht verlor. Zunächst erschien sie selbstbewusster. Jedoch entwickelten sich nach einem halben Jahr große Ängste, sie könne wieder zunehmen. Daher kontrollierte sie ihre Ernährung und ihr Körpergewicht nun ganz extrem.

Auffallend war auch, dass sie sich optisch anders wahrnahm als ihr Umfeld. In ihrem Umfeld wurde sie gelobt, wie toll sie abgenommen habe. Sie selbst sah im Spiegel aber immer noch die dicke Frau, viel dicker als sie tatsächlich war. Im Gespräch kam klar heraus, dass sie wusste, wie wichtig das Entwickeln von Selbstakzeptanz ist. Es zeigt wie wichtig es ist sich mit dem Thema des Körperschemas schon vor der Operation zu beschäftigen, besonders, wenn es so tief verwurzelt ist.

Eine Übung, …

… die in der Therapie eines verzerrten Körperbildes angewendet werden kann: Beantworten Sie folgende Fragen und versuchen Sie dabei sehr auf Ihre Gefühle zu achten. Schreiben Sie es auf einen Zettel und legen Sie diesen in einen Briefumschlag. Schauen Sie es sich später an und besprechen Sie es gegebenenfalls im Einzelgespräch!

• Wie fühle ich mich mit meinem Gewicht?
• Habe ich in mir eine Stimme, die etwas verändern will? Beschreibe Sie!
• Habe ich in mir eine Stimme, die alles so beibehalten will, wie es ist? Beschreibe Sie!
• Wie geht es dem Teil in mir, der mit dem Körpergewicht nichts zu tun hat?

Körpergefühl und Körperwahrnehmung

Körperlich und psychisch gesunde Menschen haben in der Regel die Fähigkeit auf ihren eigenen Körper hören zu können. Die meisten adipösen Menschen haben das Körpergefühl verloren. Damit ist gemeint, dass ein Mensch wahrnehmen kann, welche Signale der Körper ihm sendet. Wenn sich eine Person beispielsweise über mehrere Tage oder sogar Wochen überanstrengt, nur Dauerstress erlebt, zu wenig schläft, sich sehr unausgewogen ernährt und vielleicht dazu auch zu viel Alkohol konsumiert, dann erlebt eine Person mit hoher Körpersensibilität ein entsprechend großes Körperleiden. Sie spürt negative Körpersymptome, wie Schmerzen jeglicher Art und extreme Erschöpfung. 

Das klingt nicht schön, aber eine gute Körperwahrnehmung kann auch sehr positiv sein. Denn man spürt, was dem eigenen Körper guttut, man spürt in der Regel Hunger-Sättigungs-Wahrnehmungsprozesse oder dass eine gute Flüssigkeitszufuhr wohltut. Viele adipöse Menschen hingegen beschreiben vor einer bariatrischen Operation ein unachtsames Verhalten und ein ständiges Funktionieren im Alltag.

Sie nehmen viele Signale des Körpers nicht mehr wahr. Neben einer gestörten Hunger-Appetits-Sättigungs-Wahrnehmung führt das Funktionieren dazu, dass sie Dauerstress ertragen ohne negative Körpersymptome wie Erschöpfung oder Schmerzen zu spüren. Das kann über einen langen Zeitraum gehen, bis zur Eskalation. Dafür werden sie immer dicker. Viele adipöse Patienten empfinden die mangelnde Körperwahrnehmung und das Funktionieren als „normal“. Für sie ist es völlig normal einen halben Liter eines Softdrinks in einem Zug herunter zu spülen. Sie verspüren keinen Schmerz, obwohl sich in der Speiseröhre und im Magen ein hoher Druck aufbaut. 

Nach einer bariatrischen Operation ändert sich die Wahrnehmung für viele adipöse Menschen sehr stark. Eine Verhaltensänderung angepasst an die neue Körperwahrnehmung ist obligatorisch, aber für viele Patienten zunächst befremdlich. So müssen sich viele erst einmal daran gewöhnen stilles Wasser schluckweise zu trinken, da sie ansonsten Schmerzen verspüren.

Wenn sie zu schnell essen, zu gestresst sind und zu robust mit ihrem Körper umgehen, dann fühlen sie sich zunächst von ihrem Körper gestraft. Der Körper ist sehr sensibel, fast wie bei einem Säugling. Es ist sehr wichtig, nach der Operation achtsam zu essen. Auch bezüglich stress sind viele magenoperierten Menschen kurz nach der Operation empfindlicher als vorher.

Bei chronischem Stress können sie sich sehr schnell erschöpft und müde fühlen, manchmal ist auch die Verträglichkeit von Lebensmitteln zunächst deutlich erschwert. Dass ein Körper so empfindlich sein kann und nicht mehr nur einfach funktioniert, erscheint dann befremdlich. Das passt nicht zu unserer Leistungsgesellschaft. Aber sind nicht gerade das ständige Funktionieren, das ständige Was-leisten-müssen und das Gar-nicht-auf- den-Körper-achten ungünstige Verhaltensweisen, die Menschen auf Dauer adipös und krankmachen?

Zum Nachdenken

Was halten Sie von folgenden Aussagen?
• Wir behandeln unseren Körper wie eine Art Maschine.
• Solange wir keine größeren Beschwerden haben, schenken wir unserem Körper wenig Aufmerksamkeit.
• Tauchen welche auf, ignorieren wir sie erst mal. Notfalls schlucken wir ein paar Pillen.
• Es geht immer darum, wegzumachen, was krank ist und stört.
• Wir geben gerne anderen, der Vererbung, den Umweltbelastungen, Viren oder einfach dem Schicksal die Schuld. Immer haben andere die Verantwortung, aber nicht wir selbst (Opferperspektive). Jedoch: Was aus deinem Körper entstanden ist, hast du selbst erschaffen.
• Wie machen wir unseren Körper krank? Durch Gedanken und Gefühle, durch unsere gesamte Einstellung zum Leben, zu uns selbst und unserem Körper!

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