Eine Ärztin misst den Bauchumfang bei einem Patienten.© Jelena Stanojkovic / iStock / Getty Images
Patienten müssen auch langfristig ihr Verhalten umstellen.

Adipositas-Chirurgie

WENN DAS GEWICHT NACH EINER MAGEN-OP WIEDER STEIGT

Viele Adipositas-Patienten setzen alle Hoffnungen in eine Magenoperation. Sie soll endlich den ersehnten Gewichtsverlust bringen. Aber können Betroffene sich auf die OP verlassen? Was ist nötig, damit das Gewicht nach ersten Erfolgen nicht wieder steigt?

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Vor der Operation denken viele Betroffene, dass der Magen danach so stark verkleinert ist und die Portionen so reduziert werden müssen, dass sie nie wieder zu viel essen können und nie wieder eine ungünstige Nahrungszusammensetzung mit viel Zucker und gesättigten Fettsäuren vertragen werden. Der verkleinerte Magen werde die Ernährungsauswahl und die Menge schon beschränken.

In der Tat ist die bariatrische Operation derzeit die effektivste Methode, um langfristig Adipositas und deren Folgeerkrankungen zu minimieren. Die S3-Leitlinie Chirurgie der Adipositas und metabolischen Erkrankungen (2018) befasst sich mit dem Gewichtsverlust durch die operativen Verfahren.

Excess Weight Loss: Abnehmen als mathematische Formel

Um den Gewichtsverlust in einer Formel auszudrücken und vergleichen zu können, wird als Berechnungsgröße der Excess Weight Loss (EWL) herangezogen. Hierbei wird berechnet, wieviel Prozent des Übergewichtes (bezogen auf das Idealgewicht) durch das Therapie- beziehungsweise Operationsverfahren verloren geht.

Ein Beispiel: Herr Lutze* wog vor der Operation 180 Kilogramm bei einer Größe von 1,80 Meter. Übergewicht ist definiert als alles, was über das Idealgewicht hinausgeht. Für das Idealgewicht zieht man bei Männern zehn Prozent, bei Frauen 15 Prozent vom Normalgewicht ab. Und für das Normalgewicht wiederum rechnet man Körpergröße in Zentimetern minus 100. Nach neun Monaten hat Herr Lutze 40 Kilogramm Körpergewicht verloren. So ergibt sich folgende Rechnung:

Normalgewicht = BMI 18,5 bis 24,9 = 59,9 bis 80,7 Kilogramm bei 180 Zentimetern Körpergröße
Mittlewert des Normalgewichts = 70,3 Kilogramm Idealgewicht
180 Kilogramm Gewicht vor der Operation – 70,3 Kilogramm Idealgewicht = 109,7 Kilogramm Übergewicht
EWL = Gewichtsverlust / Übergewicht: 40 Kilogramm Gewichtsverlust von 109,7 Kilogramm Übergewicht = 36,5 Prozent

Demnach hat Herr Lutze nach neun Monaten 37 Prozent seines Übergewichtes verloren. Das ist der Excess Weight Loss. Neben dem EWL sind auch die Werte für Diabetesremissionen verbessert.

Zunahme nach der Magen-OP: weitere Operationen nötig?

Kurz nach der Operation sind die Werte jedoch viel besser als bei langfristiger Betrachtungsweise. Nach einer bariatrischen Operation wird aus medizinischer, ernährungstherapeutischer und psychologischer Sicht aber immer wieder betont, dass der Patient seine Essgewohnheiten und Verhaltensweisen, die vorher zu Adipositas geführt haben, komplett ändern und körperliche Aktivität zu einem Teil ihres Lebens machen muss. Was passiert jedoch, wenn einem Patienten langfristig eine Verhaltensumstellung nicht gelingt?

Sekundäre bariatrische Operationen sind bei einem Teil aller operierten Patienten im weiteren Verlauf notwendig.

Revisionseingriffe reparieren

Auf der einen Seite werden Revisionseingriffe durchgeführt. Das sind Operationen, die die gewichtsreduzierende Funktion einer Operationstechnik wiederherstellen oder die Nebenwirkungen oder Komplikationen beseitigen. Es wird beispielsweise die Größe des Magenpouches nach einem Magenbypass wiederhergestellt – ein Magen ist dehnbar und langfristig können sich auch operierte Patienten wieder größere Essmengen antrainieren.

Redo-Eingriffe wechseln die Methode

Eine weitere sekundäre bariatrische Operations sind sogenannte Redo-Eingriffe. Diese Umwandlungsoperationen werden als Verfahrenswechsel bezeichnet und werden bei unzureichendem Gewichtsverlust, bei deutlicher erneuter Gewichtszunahme oder bei unzureichendem metabolischem Effekt (z.B. bei Widerauftreten des Diabetes mellitus) durchgeführt. Dabei wird beispielsweise ein Schlauchmagen zu einem Y-Roux-Bypass umgewandelt. Dies kann auch bei Komplikationen wie einem starken Reflux nötig werden.

Was bedeutet die bariatrische und sekundäre bariatrische Chirurgie nun für die Adipositas-Patienten? Können sie sich allein auf die Operationsmethoden verlassen, müssen sie sich doch nicht unbedingt mit Essverhalten und langfristiger Verhaltensveränderung beschäftigen?

Ein Fallbeispiel

Frau Paulsen* (geb. 1968) ist seit ihrer Kindheit übergewichtig und fühlte sich durch dieses Gewicht immer sehr ungeliebt. In ihrer Familie zählte Leistung und sie wurde regelmäßig durch ihr Aussehen abgewertet. Dabei waren Sätze wie „Das Gehirn verfettet und sie wird dumm, wenn sie nicht endlich abnimmt!“ an der Tagesordnung. Daher musste sie regelmäßig restriktive Diätmaßnahmen durchführen, durch die sie kurzfristig Körpergewicht verlor, langfristig betrachtet aber immer mehr zunahm und sich auch immer unwohler in ihrem Körper fühlte.

Frau Paulsen entwickelte ein emotional gesteuertes Essverhalten und rigide Denkmuster. Ihr Selbstwertgefühl war sehr niedrig und sie entwickelte ein negatives Körperschema. Darüber hinaus beschrieb sie viele weitere Störfaktoren im Essverhalten. Sie befand sich regelmäßig „im ewigen Esskreislauf von strenger Diät und Essanfällen mit Schuldgefühlen“. Eine Binge Eating Disorder Störung (BED) hatte sich entwickelt. Im Jahre 2006 wurde bei ihr die erste adipositaschirurgische Maßnahme zur Gewichtsreduktion durchgeführt. Zu diesem Zeitpunkt wog sie 130 Kilogramm bei einer Größe von 1,62 Metern.

Bei ihr wurde ein Magenband (Gastric Banding) unterhalb des Übergangs von der Speiseröhre zum Magen angebracht. (Heute werden Magenbänder in Deutschland aufgrund der geringen Erfolgsquote und der Komplikationen nicht mehr operiert.) Ein Jahr nach Einsetzen eines Magenbandes betrug ihr EWL 39,1 Prozent. Vor und kurz nach dem Einsetzen des Magenbandes wurde Frau Paulsen ernährungstherapeutisch kaum betreut. Sie erhielt ein Prospekt mit gut verträglichen Lebensmitteln und einem Kostplan für die ersten vier Wochen. Dass sie sich mit ihren Essstörungen beschäftigen müsse, war ihr gar nicht bewusst.

Phasenweise setzte sich Frau Paulsen starre Diätmaßnahmen, anschließend folgte der Jojo-Effekt mit sehr ungezügeltem Essverhalten. Zunächst nahm Frau Paulsen an Körpergewicht ab. Jedoch erhöhte sich das Gewicht wieder und nach wenigen Jahren erreichte sie das Ausgangsgewicht zurück, da sie zurück in alte Essgewohnheiten verfiel und sich die BED verstärkte. Nach zehn Jahren stellte sie sich wieder in der Adipositasklinik vor. Frau Paulsen wog im Jahre 2016 bereits 189 Kilogramm. Ihr wurde gesagt, das Magenband sei gebrochen und müsse entfernt werden.

Parallel wurde der Redo-Eingriff geplant. Aufgrund des hohen BMI konnte sie zeitnah operiert werden und musste kein sechsmonatiges Multimodales Konzept (MMK) absolvieren. Als der Y-Roux-Bypass geplant wurde, besuchte Frau Paulsen im Vorfeld drei Ernährungsberatungen und in einem kurzen Gespräch wurde ein psychologisches Gutachten gestellt. In der Ernährungsberatung wurden allgemeine Ernährungsgrundlagen über eine ausgewogene Ernährung, ein Kostplan für die ersten vier Wochen sowie Empfehlungen zur Vitaminaufnahme besprochen.

Frau Paulsen war also nur sehr mangelhaft auf eine bariatrische Operation vorbereitet. Sie hatte oberflächlich erste Ernährungsinformationen gelernt, jedoch war ihre Binge Eating Disorder (BED) in der Vorbereitung nie ein Thema. Ihre Essstörung wurde weiterhin nicht behandelt. Als die Bypass-Operation stattfand, war Frau Paulsen war zunächst sehr glücklich, denn die Gewichtsreduktion erfolgte automatisch und das Verlangen nach süßen Lebensmitteln war erst mal nicht da. Sie war in der sogenannten Honeymoon-Phase und schon nach einem Jahr verringerte sich das Gewicht auf 142 Kilogramm. Frau Paulsen konnte sich besser bewegen und ihre Blutwerte verbesserten sich enorm.

2019 erreichte sie das niedrigste Körpergewicht mit 98 Kilogramm. Im Dezember 2022 besuchte Frau Paulsen erneut die Adipositasklinik Im Gespräch berichtete sie, dass der Magenpouch geweitet sei und der Magenbypass nicht mehr wirke. Sie habe wieder stark zugenommen und ein Revisionseingriff stehe bevor.

Was war passiert? Irgendwann endet die Honeymoon-Phase und das Gewicht stabilisiert sich. Mit Beginn der COVID-19-Pandemie erhöhte sich der Stresspegel von Frau Paulsen und sie nahm verstärkt negative Gefühle wahr. Die Verträglichkeit der Lebensmittel wurde immer besser, schleichend wurde auch das Essverhalten von Frau Paulsen wieder unachtsam und sie vertrug vor allem Zucker sehr gut. Sie beschrieb trotz Magenbypass ein Essverhalten wie vor der Operation. Ihre Portionen waren wieder relativ groß, nur etwas kleiner als vor der Operation. Abends kamen die süßen Gelüste und ein Kontrollverlust war die Folge aufgrund von Unzufriedenheit sowie emotionaler Instabilität.

Sie hatte weiterhin nie gelernt ihr Essverhalten zu reflektieren und führte keine ernährungspsychologischen Maßnahmen durch. Sie ging davon aus, dass alles wieder in Ordnung käme, wenn der Pouch wiederhergestellt wird. Für das Frühjahr 2023 war eine Revision geplant, aber es ist fraglich, ob sie ohne therapeutische Unterstützung je aus ihrer bisherigen Spirale aussteigen kann. In den folgenden Sitzungen startete sie das erste Mal eine Ernährungstherapie mit Themen zur ernährungstherapeutischen Aufarbeitung sowie Reflektion. Bisher verschiebt sie die Operation, um sich vorab mit ihren Themen zu beschäftigen. 

Empfehlungen für einen langfristig erfolgreichen Verlauf

+ Einsatz von Ernährungstherapeuten und Ernährungspsychologen mit entsprechender Spezialisierung auf Adipositas, Essstörung, Verhalten und Adipositas-Chirurgie
+ Programm zur Nachbetreuung dieser Patientengruppe mit ernährungspsychologischen Themen und Essverhalten nach OP
+ Kommunikation über langfristige Verläufe
+ Entwicklung von Selbstverantwortung lernen! „Nicht die Operation wird mich schlank, glücklich und gesund machen, sondern eine Veränderung der Faktoren, die mich dick gemacht haben!“

Psychologische Ernährungstherapie zwingend erforderlich

Dieses Patientenbeispiel aus der Praxis soll zeigen, wie wichtig Eigenverantwortung der Patienten und die ernährungstherapeutische sowie psychologische Begleitung ist. Viele stark adipöse Menschen bringen Essstörungsmuster mit, die langfristig betreut werden müssen. Darüber hinaus ist ein Revisionseingriff im Vergleich zur ersten Operation schwieriger und anspruchsvoller. Die Patienten müssen über mögliche Verläufe gut Bescheid wissen und sich nicht nur Vorbilder aus der glücklichen Honeymoon-Phase vor Augen führen.

*Namen geändert

Autorin Sabrina Thaden ist Ernährungstherapeutin. Mehr zu ihrer Person und ihrem fachlichen Hintergrund finden Sie unter www.nutrition-master.de

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