Verschiedene Tabletten und Kapseln auf einem Löffel, im Hintergrund ist Gemüse.© ronstik / iStock / Getty Images Plus
Der Vitamin- und Mineralstoffbedarf muss nach einer Magenverkleinerung lebenslang bedacht werden.

Adipositas-Chirurgie

NAHRUNGSERGÄNZUNG NACH DER BARIATRISCHEN OPERATION

Nach einer Magenverkleinerung ist alles anders: Der Speisebrei kommt in kleineren Portionen oder nimmt andere Wege. Schließlich soll der Körper weniger Energie aus ihm gewinnen. So gelangt der Körper jedoch auch an weniger Vitamine und Mineralstoffe – ein Leben lang.

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Wenn sich stark adipöse Patient*innen für eine bariatrische Operation entscheiden, müssen sie sich vor und nach der Operation speziell ernähren: Vor der Operation unterziehen sie sich einer eiweißreichen Diätphase zur Leberverkleinerung, nach der Operation beginnt die Nahrungsaufnahme mit dem Kostaufbau.

Wenn dieser Kostaufbau abgeschlossen ist, wie geht es mit der Ernährung anschließend weiter? Was sollten Sie bei der Beratung in der Apotheke bedenken? Und was passiert, wenn Patient*innen sich nicht an die Anweisungen halten?

Leitlinie Adipositas-Chirurgie

In den Leitlinien der Chirurgie der Adipositas und metabolischen Erkrankungen heißt es: Wenn nicht bereits während der Eiweißphase vor der Operation damit begonnen wurde, dann soll spätestens mit der Entlassung nach der Operation mit der lebenslangen Supplementation (von Multivitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen) zur Vermeidung einer Mangelernährung begonnen werden.

Bei allen gängigen Operationsverfahren ist die lebenslange Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln notwendig zur Prophylaxe eines Mangels. Dazu werden regelmäßig die Laborwerte kontrolliert.

Ein wichtiger Faktor, der die Supplementation nötig macht, ist die Menge der Nahrung, die besonders kurz nach der Operation sehr gering ist. Durch diese kleinen Portionen werden auch die Vitamine und Mineralstoffe des täglichen Bedarfs in zu geringer Menge aufgenommen. Der Körper benötigt sie, kann sie aber bekanntlich nicht selbst herstellen. Daher müssen sie in einer gewissen Dosierung jeden Tag zugeführt werden. 

Wie viele Vitamine braucht der Mensch?

Die einzelnen Vitamine und Mineralstoffe haben ganz unterschiedliche Funktionen im Körper. Eisen zum Beispiel ist ein Baustein der roten Blutkörperchen und damit für den Sauerstofftransport wichtig. An der Blutbildung und damit am Sauerstofftransport sind auch die wasserlöslichen Vitamine Folsäure und B12 beteiligt.

Wenn dem Körper diese zwei Vitamine und/oder Eisen nicht in ausreichender Menge zur Verfügung stehen, sind Mangelerscheinungen wie Erschöpfung und Müdigkeit möglich. Für jeden Nährstoff haben die Fachgesellschaften bei einem nichtoperierten Magen Referenzwerte festgelegt. Aus diesen ergibt sich die empfohlene tägliche Zufuhr.

Beispielsweise liegt die tägliche Einnahmeempfehlung für Calcium durch die Nahrung bei einer erwachsenen Person, die nicht operiert wurde, bei 1000 Milligramm (mg) am Tag. Dies ist notwendig, damit Knochenabbau und -aufbau im Gleichgewicht bleiben. Magenoperierte Menschen müssen allerdings noch mehr, nämlich 1200 bis 2000 mg täglich, aufnehmen, das geht bei ihnen nur mittels Nahrungsergänzungsmitteln.

Warum brauchen operierte Menschen mehr Vitamine und Mineralstoffe?

Das, was oral aufgenommen wird, kommt nicht automatisch vollständig am Zielort an. Wenn wir also 1000 mg Calcium als Tablette einnehmen, dann stehen dem Knochenstoffwechsel nicht automatisch 1000 mg Calcium zur Verfügung. Die Vitamine und Mineralstoffe müssen zunächst aus dem Magen-Darm-Trakt in die Blutbahn gelangen. 

Das eingenommene Calcium gelangt durch die Speiseröhre in den Magen. Es wird von dort in die ersten Dünndarmabschnitte weitergeleitet. Im oberen Dünndarm befindet sich der beste Resorptionsort für Calcium. Bei der Resorption können allerdings verschiedene Hindernisse im Weg stehen. Einige Mineralstoffe konkurrieren mit anderen um Transportmechanismen durch die Darmwand. 

Durch die Magen-Operation, insbesondere die By­pass-Methoden, entsteht eine zusätzliche Einschränkung: Der obere Dünndarm, wo nicht nur Calcium, sondern auch andere Mineralstoffe wie Eisen und Magnesium am besten resorbiert werden, wird durch die Umleitung gar nicht mehr vom Speisebrei erreicht. Das heißt, diese guten Resorptionsorte sind gar nicht mehr vorhanden.

Der Körper muss sich dem anpassen und die Mineralstoffe in späteren Darmabschnitten aufnehmen. Da dies nicht so gut gelingt, ist der Bedarf höher und die Nahrungsergänzung muss lebenslang erfolgen. In den Leitlinien werden je nach Operationsmethode unterschiedliche Dosierungen empfohlen. Operierte Patienten sollten regelmäßig Nachsorgetermine mit Blutuntersuchungen wahrnehmen. Anhand der Blutwerte können dann weitere Einnahmeempfehlungen erfolgen.

Welche Präparate sind geeignet?

Einige Hersteller haben sich mittlerweile auf Nahrungsergänzungsmittel für magenoperierte Menschen spezialisiert. Sie vertreiben Produkte, die auf die Bedürfnisse operierter Menschen ausgerichtet sind und sich an Leitlinien sowie chirurgischen Studien orientieren. Damit haben sie vor allem in Adipositas-Kliniken einen hohen Stellenwert. 

Aber auch einige Produkte aus der Apotheken eignen sich sehr gut für die langfristige Versorgung der operierten Menschen. Beachten Sie aber bei Ihrer Beratung: Retardpräparate sind ungeeignet.

Beachten Sie bei Ihrer Beratung, dass Retardpräparate nach einer Magenverkleinerung nicht geeignet sind.

Die Mengenvorgaben müssen genau eingehalten werden, ebenso die Auswahl der chemischen Verbindung. Das Multivitamin- und Mineralstoffpräparat muss hochdosiert sein, viele der Inhaltsstoffe weisen bis zu 200 Prozent der üblichen Tagesdosis auf. 

Dies wird am besten mit Präparaten erreicht, die sonst für die Generation 50+ empfohlen werden. Oft müssen operierte Patienten dann trotzdem noch mehr als die übliche Tagesdosis davon schlucken. Idealer Einnahmezeitpunkt ist nach dem Frühstück.

Sonderfälle Eisen und B12

In diesen Produkten kann Eisen enthalten sein, was nicht jeder gut verträgt. Manche nehmen es daher separat zu einem anderen Zeitpunkt ein. Eisen ist nach der Operation sehr bedeutsam und einer der Mineralstoffe, die bei nichtoperierten Menschen im oberen Dünndarm aufgenommen werden. Dieser obere Abschnitt ist nach der Bypass-Operation, wie gesagt, ausgeschaltet.

Vitamin B12 benötigt zur Resorption den Intrinsic Faktor, der im Magen gebildet wird. Da der Magen nach der Operation stark verkleinert ist, bildet er nur noch wenig Intrinsic Faktor. Daher wird auch eine B12-Supplementation empfohlen.

Dies kann als Spritze intramuskulär alle drei bis sechs Monate in einer Dosierung von 1000 bis 3000 µg geschehen. Einige Hersteller haben ihre Multivitamin- und Mineralstoffpräparate so angepasst, dass sich diese ebenfalls zur Deckung des Vitamin-B12-Bedarfs eignen.

Ein Fallbeispiel

In den Leitlinien „Chirurgie der Adipositas und metabolischen Erkrankungen“ wird eine lebenslange Einnahme der Nahrungsergänzung nach den vorgegebenen Empfehlungen empfohlen. Was kann passieren, wenn sich die Patienten nicht an die vorgegebenen Empfehlungen halten? Dazu wird im folgenden Beispiel der Fall von Frau Azur* vorgestellt.

Frau Azur ist 1971 geboren, bei ihr wurde im Jahre 2016 ein Roux-Y-Magenbypass operiert. Vor der eiweißreichen Diätphase hatte Frau Azur ein Körpergewicht von 114 Kilogramm (kg) bei einer Größe von 1,64 Metern (m), das entspricht einem Body-Mass-Index(BMI) von 42. Das Multimodale Konzept (MMK) zur Vorbereitung einer bariatrischen Operation hat sie überwiegend in Form einer Gruppentherapie besucht. Sie wurde bezüglich der Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln aufgeklärt.

Im Jahre 2022 besuchte sie erneut die Ernährungstherapie. Sie konnte ihr Körpergewicht durch die Operation sehr gut reduzieren und stabilisierte ihr Gewicht bei etwa 80 kg (BMI: 30). Dabei nahm sie vor allem im ersten Jahr nach der bariatrischen Operation fast das gesamte Übergewicht ab. In diesem Zeitraum reduzierte sich das Gewicht von 114 kg auf 82 kg. Frau Azur ist zwar sehr zufrieden mit der Abnahme und ihren kleinen Portionen, jedoch klagte sie in der Ernährungstherapie über massive Knochenprobleme.

Sie befand sich bereits in orthopädischer Behandlung, denn es wurde eine beginnende Osteoporose diagnostiziert. Schon bei leichten Stürzen musste sie aufpassen, dass sie keinen Arm- oder Beinbruch erlitt. Darüber hinaus erzählte sie von einem Zahnarztbesuch, weil sie zwei Zähne verloren hatte. Auch dies steht möglicherweise im Zusammenhang mit einem ungenügenden Calciumhaushalt. Frau Azur kam mit viel Scham in die Beratung, denn ihr war bewusst, dass sie auch selbst einen großen Anteil an dieser Misere hat.

Nach der Operation hatte sie über mehrere Jahre hinweg gar keine Nahrungsergänzungsmittel mit Calcium eingenommen. Sie befand sich in der sogenannten „Honeymoon Phase“. Das heißt, sie war überglücklich endlich abzunehmen und genoss die Anerkennung und Wertschätzung durch die hohe Gewichtsabnahme. Langfristig angelegte Themen hatte sie verdrängt. Im ersten Jahr war sie sehr motiviert sich mehr zu bewegen, denn nach der Operation fiel ihr vieles wieder leichter.

Zum Beratungstermin 2022 hatte sie ihr Sportprogramm allerdings schon wieder eingestellt. Auch das wirkt sich negativ auf die Knochengesundheit aus. Kurz vor dem Beratungstermin startete sie mit einem Multivitaminpräparat aus der Drogerie. Sie wünschte sich mehr Informationen, nach welchen Empfehlungen sie die Nahrungsergänzungsmittel einnehmen soll. Nach der oben aufgelisteten Tabelle wurde dann ein Tagesplan mit hochwertigen Präparaten entwickelt.

Unsere Autorin Sabrina Thaden ist Ernährungstherapeutin. Mehr zu ihrer Person und ihrem fachlichen Hintergrund finden Sie unter www.nutrition-master.de

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