Phytotherapie
PTA-Fortbildung

Phytotherapie: pflanzliche Arzneimittel

Pflanzliche Arzneimittel und Medizinprodukte sind bei den Apothekenkunden sehr beliebt. Zeigen Sie Ihre Beratungskompetenz, indem Sie wirksame und sichere Präparate empfehlen. Am besten raten Sie zu evidenzbasierten Phytopharmaka.

19 Minuten

Phytotherapie in Leitlinien

Einige Arzneipflanzen und Spezialextrakte wurden inzwischen als Empfehlung in die Therapieleitlinien von Fachgesellschaften aufgenommen. Häufig ist die Datenlage für pflanzliche Arzneimittel sogar besser als für synthetische Präparate.

Das betont beispielsweise die S2k-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie von erwachsenen Patienten mit Husten der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP). Demnach bringen einige Phytotherapeutika einen rund zwei Tage schnelleren Heilungsverlauf von Erkältungshusten und Bronchitis.

Pflanzliches bei Schlafstörungen
Pflanzliche Präparate mit Baldrian, Hopfen, Melisse, Passionsblume oder Lavendel zählen bei leichten Schlafstörungen aufgrund ihrer guten Wirksamkeit und ihres günstigen Nebenwirkungsprofils zu den Klassikern – auch wenn sie keine explizite Leitlinienempfehlung haben.
Phytopharmaka sind vor allem als Einschlafhilfe eine gute Wahl, da sie beruhigend, entspannend, schlafanstoßend und schlaffördernd wirken. Insbesondere erhöhen die ersten drei genannten Drogen die Schlafbereitschaft und normalisieren den physiologischen Schlafablauf, ohne das natürliche Schlafmuster zu verändern. Gegen Durchschlafstörungen sind sie weniger wirksam. Passionsblume und Lavendel haben vor allem angstlösende und beruhigende Eigenschaften, was sich positiv bei Schlafstörungen auswirken kann.
Alle aufgeführten Pflanzen führen weder zu einer Schläfrigkeit am Tage noch zu Gewöhnung oder Abhängigkeit , selbst bei längerem Gebrauch, sodass sie sich zur längerfristigen Einnahme eignen. Da sich ihre Wirkung aber erst langsam innerhalb der ersten zwei bis drei Wochen entwickelt, muss ihre Einnahme in ausreichender Dosierung regelmäßig über einen gewissen Zeitraum erfolgen. Ein maximaler Effekt wird nach zwei bis vier Wochen erreicht.

Leider nennen Leitlinien keine Warennamen, so dass es nicht immer leicht nachzuvollziehen ist, welche konkreten pflanzlichen Präparate sich hinter ihren Empfehlungen verbergen. Die zugrundeliegenden Studien werden aber – wie schon erläutert – nicht auf die Arzneipflanze generell, sondern immer Extrakt-spezifisch durchgeführt und beziehen sich damit auf ein konkretes Präparat beziehen. PTA und Apotheker sind gefordert, das empfohlene Phytopharmakon zu identifizieren. Anbei einige Beispiele der Leitlinienempfehlungen aus den gängigen Indikationen der Phytotherapie.

Extrakt

Gewonnen aus…

Leitlinie

Indikation

BNO 1016

Ampfer, gelbem Enzian, Holunder, Eisenkraut und Schlüsselblume

S2k-Leitlinie „Rhinosinusitis“ der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin und der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie e. V.

Rhinosinusitis

Wurzel der Kapland-Pelargonie

Efeu, Efeu-Thymian und Primel-Thymian

S2k-Leitlinie der DGP zur „Diagnostik und Therapie von erwachsenen Patienten mit Husten“ und S3-Leitlinie „Akuter und chronischer Husten“ der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM)

akute Bronchitis

ELOM-080

rektifizierter Eukalyptus-, Süßorangen-, Myrten- und Zitronenöle (Myrtol)

z.B. EPOS-Leitlinie (European Position Paper on Rhinosinusitis and Nasal Polyps), S2k-Leitlinie der DGP zur Diagnostik und Therapie von erwachsenen Patienten mit Husten, S3-Leitlinie „Akuter und chronischer Husten“ der DEGAM, Nationalen Versorgungsleitlinie COPD

z.B. Rhinosinusitis, akuter und chronischer Husten, COPD

EGb 761

Ginkgo

S3-Leitlinie „Demenzen“ der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN)

leichte bis mittelgradige Alzheimer-Demenz, vaskuläre Demenz und nicht-psychotische Verhaltenssymptome

STW 5

Bittere Schleifenblume, Angelikawurzel, Kamillenblüten, Kümmelfrüchte, Melissenblätter, Mariendistelfrüchte, Schöllkraut, Pfefferminzblätter und Süßholzwurzel

S3-Leitlinie „Reizdarmsyndrom“ der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) und der Deutschen Gesellschaft für Neurogastroenterologie und Motilität (DGNM)

entweder zur alleinigen Anwendung oder in Ergänzung zu chemisch definierten Arzneimitteln zur Behandlung eines Reizdarmsyndroms

hochdosierte standardisierte durch Studien belegte Johanniskraut-Trockenextrakte, die als verschreibungspflichtige Arzneimittel zugelassen sind

S3-Leitlinie „Unipolare Depression“

leichte bis mittelschwere depressive Episoden

„Starke Empfehlung“: Traubensilberkerze-Trockenextrakte mit Isopropylalkohol als Auszugsmittel

„Einfache Empfehlung“: Traubensilberkerze-Trockenextrakte mit Ethanol als Auszugsmittel

S3-Leitlinie "Peri- und Postmenopause - Diagnostik und Interventionen" der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG), der Österreichischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (OEGGG) sowie der Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (SGGG)

Wechseljahrsbeschwerden

Bärentraube

Kapuzinerkresse-Meerrettichwurzel

S3-Leitlinie „Epidemiologie, Diagnostik, Therapie, Prävention und Management unkomplizierter, bakterieller, ambulant erworbener Harnwegsinfektionen bei erwachsenen Patienten“ der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU)

rezidivierende Harnwegsentzündungen

Ausblick

Leitlinien sind nicht alles. Es gibt Anwendungsgebiete, in denen Phytopharmaka auch ohne aktuelle Leitlinienempfehlung eine sehr gute Wahl sind. Sei es, da sie sich seit langem in der Praxis als eine wirksame und verträgliche Behandlungsoption gezeigt haben oder da sie in aktuellen Studien ihre Wirksamkeit und Sicherheit beweisen konnten. Leitlinien werden nur alle paar Jahre aktualisiert. Somit können gut wirksame, evidenzbasierte Präparate existieren, die jedoch noch nicht die Gelegenheit hatten, in die derzeit gültigen Leitlinien aufgenommen worden zu sein.

Typisches Beispiel dafür ist eine Kombination aus Meerrettich und Kapuzinerkresse bei Atemwegsinfekten. Die beiden Pflanzen der Fixkombination enthalten Pflanzenstoffe (vor allem Senföle), die antiviral, antibakteriell und antientzündlich wirken. Aufgrund der guten Studienlage hat das Phytopharmakon bereits eine Empfehlung zur Reduktion der Rezidivrate von wiederkehrenden Blasenentzündungen in den kürzlich überarbeiteten und damit aktualisierten Leitlinien erhalten.

Zudem kann die Pflanzenkombination aus Meerrettich und Kapuzinerkresse aber auch eine therapeutische Wirksamkeit bei Bronchitis und Rhinosinusitis durch Studien belegen. Diese zeigen, dass die Senfölkombination die Erkrankungsdauer einer Rhinosinusitis um bis zu zwei Tage verkürzt und bei längerfristiger Einnahme das Risiko für eine erneute Erkältung um etwa 50 Prozent reduziert. Die neueste Studie aus dem Jahr 2023 untermauert frühere Untersuchungsergebnisse und bestätigt die therapeutische Wirkung der Senfölkombination bei akuter Bronchitis. Demnach verbessern sich unter ihrer Einnahme bereits nach drei Behandlungstagen die typischen Symptome einer Bronchitis wie Husten, Schleimproduktion und Brustschmerzen im Vergleich zu Placebo im Durchschnitt statistisch signifikant.

Diese Erkenntnisse schlagen sich allerdings zurzeit weder in der derzeit gültigen S2k-Leitlinie Rhinosinusitis noch in der DEGAM S3-Leitlinie akuter und chronischer Husten nieder. Es ist aber gut möglich, dass sie beim nächsten Leitlinien-Update Berücksichtigung finden. Es gilt also, immer wieder den Phytomarkt zu beobachten und neue Erkenntnisse einzuordnen.


Die Autorinnen versichern, dass keine Interessenkonflikte im Sinne von finanziellen oder persönlichen Beziehungen zu Dritten bestehen, die von den Inhalten dieser Fortbildung positiv oder negativ betroffen sein könnten.

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