Frau steht im freien, hat eine Wollmuetze auf dem Kopf und zieht den Schal bis ins Gesicht© Tamara Dragovic / iStock / Getty Images Plus
Egal ob im Sommer oder im Winter: Frauen frieren in der Regel schneller als Männer, weil sie weniger Muskelmasse haben.

Wintertemperaturen

KÄLTEEMPFINDEN: VON WARM- UND KALTBLÜTERN

Es ist schon verrückt: Manch einer schwitzt im Winter noch im T-Shirt vor dem geöffneten Fenster, andere müssen die Heizung auf Stufe fünf drehen, um nicht zu frieren. Warum empfinden wir Kälte so unterschiedlich?

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Es fällt bereits auf, wenn man sich beim Spaziergang oder Einkauf einmal genauer umsieht: Während einige Menschen selbst im Dezember noch mit Jeansjacke und Turnschuhen durch die Gegend laufen, erkennt man andere gar nicht mehr unter ihren dicken Mützen und hoch gewickelten Schals. Kälte scheint offensichtlich Einstellungssache zu sein. 

Während der Begriff „Kälte“ in erster Linie eine physikalische Eigenschaft von Körpern beschreibt, handelt es sich im physiologischen Sinn um eine individuelle, subjektive Empfindung. Das bedeutet, es müssen spezielle Werkzeuge im Körper vorhanden sein, die es uns ermöglichen Temperatur zu fühlen und zu bewerten.
 

Oberflächensensibilität

Kältesensoren schaffen hierfür die Voraussetzung. Sie sitzen in Form von Thermorezeptoren in der Haut und Schleimhaut und bilden mit anderen Rezeptoren zusammen die Oberflächensensibilität. Ihre freien Nervenendigungen registrieren feinste Temperaturunterschiede und schicken diese Informationen an das zentrale Nervensystem (ZNS). Dabei kommen bis zu zehnmal mehr Kälte- als Wärmerezeptoren in der Haut vor, die zusätzlich mit einer schnelleren Nervenleitgeschwindigkeit ausgestatten sind. Dieses Phänomen kann man schnell selbst testen: Hält man je einen Finger in kaltes und warmes Wasser, wird man zuerst Kälte und erst später Wärme empfinden. 
Die Informationen werden über einen Seitenstrang des Rückenmarks mit Zwischenstation im Thalamus an den Hypothalamus übermittelt. Hier sitzt unser zentrales Regelzentrum, es kontrolliert ständig unsere Körperkerntemperatur und schickt Befehle zu dessen Aufrechterhaltung in die Peripherie. 

Auch Wärmerezeptoren „fühlen“ Kälte
Taucht man eine Hand für einige Minuten in warmes, die andere in kaltes Wasser und anschließend beide Hände in lauwarmes Wasser, so wird man an der zuvor kalten Hand Wärme empfinden und umgekehrt an der Gewärmten Kälte. Diese Eigenschaft verhilft dem menschlichen Körper, auch kleine Temperaturunterschiede schnell zu erkennen und entsprechend zu reagieren. 

Sinkt die Hauttemperatur unter 31 Grad Celsius, erhält das menschliche Körpersystem die Information „Kälte“. Nun versucht es zunächst mit seiner Umgebung oder dem berührenden Gegenstand einen Ausgleich zu schaffen, dazu gibt es Wärme ab. Klingt erst einmal kontraproduktiv, aber durch diesen Vorgang kommt es zur passiven Erhöhung der Körpertemperatur. Funktioniert diese Strategie nicht, so fängt der Mensch an zu frieren: Der Hypothalamus schüttet Thyreotropin-Releasing-Hormon (TRH) aus und erhöht den Sympathikotonus. Es kommt dadurch zu:

  • Muskelkontraktionen (Kältezittern), auch einer gesteigerten Herzfrequenz,
  • einer Vasokonstriktion, um Wärmeverluste über die Oberfläche zu minimieren,
  • einem gesteigerten Grundumsatz und der Bereitstellung von Energie (Gluconeogenese↑, Lipolyse↑),
  • und das Aufstellen der Körperbehaarung (Gänsehaut), wodurch die Hautporen verschlossen werden.

Ab einer Hauttemperatur von 17 Grad Celsius werden zusätzlich kälteempfindliche Schmerzbahnen erregt und verstärken die Handlungsanweisung, etwas gegen die Kälte zu tun, um das lebensgefährliche Auskühlen des Körperkerns zu verhindern. 
Umgekehrt ist der menschliche Körper auch in der Lage auf heiße Umgebungstemperaturen zu reagieren: Der Sympathikotonus wird gesenkt, die ausgelöste Vasodilatation erhöht die Oberfläche für die Wärmeabgabe und die Schweißsekretion – unsere körpereigene Klimaanlage – setzt ein. 
 

Frauen und Senioren frieren schneller

Jeder Mensch friert, sobald seine Körpertemperatur unter einen bestimmten Wert sinkt. Diese Eigenschaft sichert sein Überleben. Doch davor gibt es teils große individuelle Unterschiede. Ein Grund hierfür kann die Rezeptorendichte in der Haut sein. Über 300 000 Kälterezeptoren verteilen sich über die gesamte Hautoberfläche, um Nase und Mund beispielsweise bis zu zehn Kältepunkte pro Quadratzentimeter Haut. Doch die genaue Verteilung kann von Mensch zu Mensch variieren, sie ist genetisch bedingt. So könnten Frostbeulen über mehr Kältesensoren oder eine höhere Rezeptorendichte verfügen. Auch dünne Menschen frieren schneller – ihre schützende Isolierschicht aus Fettzellen ist vergleichsweise gering und sie kühlen schneller aus.

Doch noch wichtiger als der Körperfettanteil, ist die Muskelmasse. Das ist auch der Grund, warum Männer in der Regel weniger schnell frieren als Frauen. Rund 40 Prozent Muskelanteil halten den Grundumsatz hoch und produzieren mehr Wärme, Frauen müssen mit ungefähr 25 Prozent durch den Winter kommen. Zudem gestaltet sich der Hautaufbau unterschiedlich: Männer haben eine bis zu fünfzehn Prozent dickere Haut als Frauen. Springt bei einer Frau das Kälte-Warnsystem an und ihre Gefäße verengen sich, nimmt die Durchblutung in der Haut schneller ab als bei einem Mann, da ihre Haut viel dünner ist. Die Oberhaut kühlt somit rascher aus und Frau friert. Bei den kalten Händen und Füßen im Winter hat sich Mutter Natur allerdings etwas gedacht – denn die kühlen bei Frauen tatsächlich auch schneller aus als bei Männern: Sinkt die Außentemperatur und erste Kälte-Warnsignale erreichen das ZNS, konzentriert sich im weiblichen Körper alles auf das Zentrum. Der wärmende Blutstrom wird umgeleitet, um einen (möglicherweise vorhandenen) ungeborenen Menschen zu schützen. Die Extremitäten haben in diesem Fall das Nachsehen.

Aus ähnlichen Gründen frieren auch ältere Menschen schneller. Denn mit dem Alter nehmen Muskelmasse und Hautdicke ab, der Grundumsatz sinkt und Wärme wird schneller nach Außen abgegeben. Dazu kommen häufig noch chronische Erkrankungen, die den Grundumsatz zusätzlich drosseln oder eine Mangelernährung. Auch Kinder kühlen schneller aus als Erwachsene, da ihr Verhältnis von Körpermasse zu -volumen ungünstig ist. Dann lieber eine Mütze auf- und eine Strumpfhose unter die Hose ziehen, bevor der Spaß im Schnee beginnt.     
 

Frieren als Zeichen von Krankheit

Frieren ist also ein physiologischer Prozess zur Aufrechterhaltung unserer Körperfunktionen. Doch plötzliches Frieren oder Frösteln ohne ersichtlichen Grund hat meist andere Ursachen. In Kombination mit Fieber könnte es beispielsweise das Anzeichen eines beginnenden Virusinfektes sein. Bei einem Diabetiker sollte man bei Kältegefühl, Zittern und Herzklopfen auch an eine (akute) Unterzuckerung denken – ebenso bei immer wiederkehrendem Kältegefühl, verbunden mit einem Kribbeln, an eine diabetische Polyneuropathie. 
Anhaltendes Kältegefühl ist oft ein Zeichen dafür, dass der Körper mit etwas beschäftigt ist. Es sollte also als Symptom ernst genommen und ärztlich besprochen werden. Eine Vielzahl von Krankheiten beinhalten frieren als Missempfindung, unter anderem:

  • Hypothyreose
    Die Schilddrüse hat maßgeblichen Einfluss auf die Temperaturregulation. Über die TRH-Stimulation der Hypophyse kommt es
    zur Thyreotropin (TSH)-Ausschüttung und damit zur Aktivierung der Schilddrüse, die ihrerseits Schilddrüsenhormone produziert und freisetzt. In der Bilanz wird der Stoffwechsel aktiviert, Herzfrequenz und Blutdruck erhöht und die Darmmotorik erhöht – die Körpertemperatur steigt. Fällt dieses Organ nach und nach aus oder wird weniger TRH freigesetzt, so steigt die Kälteempfindlichkeit und die Körpertemperatur kann schwerer oder nur langsam reguliert werden – man friert schneller und häufiger. 
  • Eisenmangel
    Wer nicht nur schnell friert, sondern sich auch schlecht konzentrieren kann, immer müde und erschöpft ist und dazu noch eine auffällig blasse Hautfärbung zeigt, sollte den Eisenwert checken lassen. Zwar kann der Körper den Mangel an freien Eisen – zum Beispiel durch mangelhafte Zufuhr oder hohem Bedarf – lange ausgleichen, indem er auf gebundene Reserven zurückgreift. Doch sobald diese erschöpft sind, zeigen sich schnell erste Symptome – die Bildung neuer Blutkörperchen ist gefährdet. Mit Hilfe von Eisenpräparaten, je nach Schweregrad in oraler oder parenteraler Form, kann der Mangel wieder ausgeglichen werden. Wichtig ist, auch die Ferritin-Werte zu kontrollieren. Sie sind das Maß für die Eisenspeicherkapazität des Körpers. 
  • Raynaud-Syndrom
    Die Gefäßerkrankung kann primär oder sekundär als Folge einer anderen Grunderkrankung auftreten. Bei Kälte, oder manchmal auch lediglich Stress, verengen sich die Blutgefäße der Extremitäten plötzlich (Vasospasmen) und es kommt zu scharf abgrenzbaren Weißfärbungen an Fingern und Zehen. Dabei folgt die Symptomabfolge einem bestimmten Muster – dem Trikolore-Phänomen: Zuerst färben sich die Bereiche durch die Minderdurchblutung weiß, dann blau (Zyanose der Haut) und im Anschluss unter Kribbeln, Pochen und selten Schmerzen wieder rot. Diese übermäßige Kältereaktion lässt sich schwer behandeln, am besten beugen Betroffene durch penible Warmhaltung der Akren (Hände, Füße) einem Anfall vor. Spätfolgen können dauerhafte Schädigungen und Nekrosen sein.
  • Sonderfall: Schock
    Ein Extremfall der gestörten Thermoregulation stellt der Schock dar, es herrscht absolute Alarmstimmung: Die Hormone Noradrenalin und Adrenalin steigern die Herzfrequenz und stellen die Blutgefäße eng – es werden alle Register gezogen, um den Blutdruck aufrecht zu erhalten, um Gehirn und Herz zu versorgen. Alle anderen Gewebe werden dabei in Mitleidenschaft gezogen, die Durchblutung und Sauerstoffversorgung gedrosselt. Das passiert alles so schlagartig, dass der Großteil gar nicht merkt, dass er friert bevor Bewusstlosigkeit oder Schockstarre einsetzen. Umso wichtiger, dass Ersthelfer*innen diese Pathophysiologie im Hinterkopf haben und Schockopfer warm einpacken – am besten mit einer Decke nicht nur zudecken, sondern einwickeln. 

Frieren als Nebenwirkung
Bestimmte Medikamente können dazu beitragen, dass wir schneller frieren. Dabei handelt es sich meistens um Durchblutungsstörungen, die zu lokalen Missempfindungen führen. Kalte Füße oder Hände treten am häufigsten auf. Bei folgenden Arzneistoffklassen sind Durchblutungsstörungen als unerwünschte Wirkung bekannt und daher auch zum Teil kontraindiziert:

  • Betablocker,
  • Diuretika, 
  • Trizyklische Antidepressiva,
  • Hormonelle Kontrazeptiva,
  • Chemotherapeutika (zum Beispiel 5-Fluoruracil),
  • Ergotamine zur Behandlung von Migräne,
  • Pseudoepehdrin.

Fit gegen Kälte

Auch wenn einiges genetisch festgelegt ist, so können Frostbeulen dennoch etwas gegen ihr Kälteempfinden tun. Winterspeck anfuttern ist (leider) nicht die geeignete Lösung. Lieber sollte man durch regelmäßige Bewegung an seiner Muskelmasse arbeiten, warme Winterkleidung unterstützt die körpereigene Isolierschicht zusätzlich. Ähnliches gilt für alkoholische Getränke: Zwar führt der genossene Alkohol (vor allem Hochprozentiges) zu einer Gefäßerweiterung, wodurch die Thermosensoren ein angenehmes Wärmegefühl registrieren. Tatsächlich verliert der Körper aber schneller Wärme und kühlt aus. Ingwertee oder scharf gewürzte Speisen wärmen stattdessen wirklich, denn ihre Scharfstoffe wirken auf die Wärmerezeptoren in Haut und Schleimhäuten. Wer sich während der kalten Tage regelmäßig im Freien aufhält, senkt die Empfindlichkeit der Kälterezeptoren – bis zu einem gewissen Grad funktioniert Abhärtung. Kneipp`sche Wassergüsse sowie regelmäßiges Saunieren oder Bürstenmassagen trainieren die Gefäßregulation, vor allem an den Extremitäten, sodass sie sich bei Temperaturunterschieden schneller anpassen können. Wie empfindlich man auf Kälte reagiert, hängt auch von der körperlichen Verfassung ab. Bei Müdigkeit, Stress, Krankheit oder großem Loch im Magen friert man schneller. Letztlich ist es also wie mit allem: ausreichend schlafen, ausgewogen und gesund ernähren, Stress reduzieren und sich regelmäßig (im Freien) bewegen.

Quellen:
https://flexikon.doccheck.com/de/K%C3%A4lte
https://www.apotheken-umschau.de/gesund-bleiben/psyche/warum-wir-kaelte-unterschiedlich-empfinden-721095.html
https://www.sprechzimmer.ch/Symptome/Kaelteempfindlichkeit_Frieren_Froesteln_Kaelteintoleranz.html
https://hitop-therapie.de/gestoertes-temperataurempfinden/
https://www.gesundheit-aktuell.de/artikel/kaelteempfinden-ist-bei-mann-und-frau-unterschiedlich.html
https://www.sprechzimmer.ch/Symptome/Kaelteempfindlichkeit_Frieren_Froesteln_Kaelteintoleranz.html 
https://www.mdr.de/wissen/kalte-frauen-106.html     
https://flexikon.doccheck.com/de/Thermoregulation
https://epub.ub.uni-muenchen.de/10134/1/10134.pdf
https://flexikon.doccheck.com/de/Raynaud-Syndrom
https://www.internisten-im-netz.de/krankheiten/eisenmangel/krankheitsbild.html
https://www.apotheken-umschau.de/mein-koerper/kalte-fuesse-738345-mehrseiter-5-ursache-medikamente.html 
 

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