Rituale
RAUNÄCHTE - WENN DIE WILDE JAGD ÜBER DEN HIMMEL TOBT
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Alles hat seinen Ursprung in der unterschiedlichen Zeiteinteilung nach den Mondjahren einerseits und den Zyklen der Sonne andererseits. Ein Jahr aus 12 Mondmonaten umfasst 354 Tage. Doch der Übergang aus der Jäger- und Sammlerzeit hin zu Ackerbau und Viehzucht brachte den Wechsel zum Sonnenkalender, denn nun mussten Jahreszeiten vorhersehbar und Aussaattermine planbar sein.
Der genauere, sogenannte lunisolare Kalender von letztendlich 365 Tagen ersetzte den alten Mondkalender – und es blieben plötzlich 11 Tage (und zwölf Nächte) übrig. Diese Tage, so nehmen länderübergreifend Mythologien an, sind Tage außerhalb der Zeit. Sie unterliegen nicht mehr den Naturgesetzen und die Grenzen zu anderen Welten sind fließend. Auch wichtig: Jede der Raunächte entspricht einem Monat des kommenden Jahres, was laut Bauernkalender Aufschlüsse besonders auf deren Wetter gibt. Doch auch spezielle Wünsche können hier angemeldet werden, am besten mittels eines Traumtagebuches, angefertigt jeweils nach dem Aufwachen in dieser Zwischenzeit.
„Zwischen den Jahren“ ist eine besondere Zeit
Eine besondere Zeit waren diese Tage „zwischen den Jahren“ auf jeden Fall und sind es im Grunde bis heute. Meist ist es eine stille Zeit. In den landwirtschaftlich geprägten früheren Gesellschaften ruhte die Arbeit; ja, sie war nachgerade verboten. Die Ernte war eingebracht, die Tage waren kurz, und so saß man abends lange beieinander und erzählte sich Geschichten.
Kartenspielen war verboten, denn das hätte die Geister erzürnt. Das Haus musste penibel aufgeräumt sein. Frauen und Kinder sollten nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr auf die Straße, denn die strenge Frau Perchta fuhr dort durch die Lüfte und bestrafte mangelnde Schicklichkeit.
Draußen tobten die Winterstürme. Wotan, so glaubte man, führte draußen die Wilde Jagd an, einen Geisterzug aus Seelen, die vorzeitig einen gewaltsamen oder unglücklichen Tod gefunden hatten. Wütend und heulend zogen sie über das Land, und wehe dem, der sich ihnen in den Weg stellte, sich gar lustig machte: der wurde mitgerissen und war fortan verdammt, für viele Jahre mitzuwirken in dem schrecklichen Chorus.
Vorsicht war auch geboten, wenn draußen Wäsche zum Trocknen aufgehängt war: Das wilde Heer konnte sich nur allzu leicht in die Laken verwickeln und nutzte diese dann im neuen Jahr zur Wiederkehr im Leichentuch. Kein Spaß: Nun wissen Sie auch, warum uns im Hinterkopf spukt, zwischen Weihnachten und Neujahr besser keine Wäsche zu waschen.
Die Raunächte
12 Nächte sind es insgesamt, denen magische Bedeutung beigemessen wird. Die erste findet am 24. Dezember statt. Von den 11, die folgen, werden jeweils diejenige am 31. Dezember (Silvester) und am 6. Januar (Vigil bzw. Dreikönig) als besonders kraftvoll angesehen. In manchen Gegenden wird auch die die 0. Raunacht am 21. Dezember (Thomastag), mit hinzugezählt. Sie fällt mit der Wintersonnenwende zusammen.
Raunächte (oder nach der alten Rechtschreibung Rauhnächte) werden auch Rauchnächte genannt, da in ihnen mit speziellen Räuchermischungen Dämonen und böse Geister vertrieben wurden.
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Bleigießen, Räuchern – und ja keine Wäsche waschen!
Erhalten hat sich bis in die heutige Zeit auch der Brauch des Orakelns. Sie glauben doch auch, dass der beim Bleigießen erzeugte Gegenstand Aufschluss auf das kommende Jahr erlaubt? Sehen Sie! Und gewiss geht mancher Pferdebesitzer still und heimlich gegen zwölf Uhr nachts in den Stall, um sein Tier sprechen zu hören, denn das kann das Ross – aber nur, wenn es sich unbelauscht wähnt, und auch nur zu dieser Stunde.
Räucher-Rituale in den Raunächten
Verständlich, dass man gern tabula rasa mit dem alten Jahr machen wollte, damit das neue frisch und sauber begonnen werden konnte. Deshalb sind die Raunächte mit dem Handwerk des Räucherns verbunden. Dadurch sollten böse Geister und Dämonen vertrieben, gute Geister willkommen geheißen, aber auch die Häuser gereinigt werden. Dieser Brauch wurde später sogar ins Christentum übernommen, nämlich dann, wenn in der Kirche mit Weihrauch geräuchert wird.
Bei den Räucher-Ritualen ging man in jeder Raunacht mit einer Räucherschale durch die Zimmer. Man pustete in jede Zimmerecke den Rauch, um das vermeintlich Unheilvolle zu bannen und positiver Energie Platz zu machen. Dabei formulierte man die Wünsche und Erwartungen für das neue Jahr. Auch die Ställe wurden auf diese Art gereinigt. Das Räuchern erlebt übrigens in den heutigen Zeiten ein regelrechtes Comeback.
Die stille Einkehr zum Jahresende bleibt Tradition
Auch heute noch haben viele Menschen das Bedürfnis, „zwischen den Jahren“ das Alte ausklingen zu lassen und das Neue zu sortieren. Diplom-Psychologin Tanja Köhler beobachtet ein wachsendes Bedürfnis nach innerer Sortierung in einer Zeit, die als immer schneller und als „Alltags-Tsunami“ wahrgenommen werde. Die Sehnsucht nach Innehalten werde verstärkt durch Krisen wie die Corona-Pandemie und den Ukraine-Krieg. „Zugleich entdecken die Menschen alte Rituale neu“.
Und sie meint: Auch heute noch glauben manche Menschen, dass die Zeit der Raunächte eine besondere spirituelle Qualität hat und dass besondere Energien am Werk sind. Den Raunächten, ihnen werden eben magische Kräfte zugesprochen. Aber: „Diese besondere Wahrnehmung schaffen wir uns selbst, indem wir uns uns selbst zuwenden – das Besondere in dieser Zeit sind wir“, sagt sie.
Und selbst sie, die Psychologin aus dem baden-württembergischen Denklingen, findet diesen Ansatz deshalb „komplett unesoterisch“.
Quellen:
Isabella Farkasch: „Rauhnächte. Über Wünsche, Mythen und Bräuche – Märchen für Erwachsene“, Goldegg Verlag
Wolf-Dieter Storl: „Wir sind Geschöpfe des Waldes. Warum wir untrennbar mit den Bäumen verbunden sind“, Gräfe und Unzer Autorenverlag.
https://www.peraperis.com/de/info/mythologie-und-religion/die-wilde-jagd.html
https://www.mk-online.de/meldung/warum-die-rauhnaechte-menschen-heute-wieder-ansprechen/