Neurodegenerative Krankheiten
DEMENZ – LEBEN IN DER EIGENEN WELT
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Diagnosekriterien und Demenz-Test
Folgende kognitive und neurologische Einschränkungen sollten für eine Diagnose über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten bestehen:
- Amnesie (Gedächtnis- und Orientierungsstörung),
- Aphasie (Sprachstörung/Störung des Sprachverständnisses),
- Apraxie (Unfähigkeit, erlernte Handfertigkeiten auszuführen),
- Agnosie (Unfähigkeit, Dinge zu erkennen),
- Abnahme der Urteilsfähigkeit und des Denkvermögens.
Die Symptomatik ist dabei sehr individuell, manche Probleme müssen auch gar nicht auftauchen oder sind unterschiedlich stark ausgeprägt. Im Vordergrund stehen daher
- zunehmende Denkschwierigkeiten mit Gedächtnisproblemen und
- Orientierungsschwierigkeiten (räumlich, zeitlich, sozial).
Neben einer umfassenden Labordiagnostik (z. B. Blutzuckerwert, Schilddrüsenfunktion, Vitamin B12-Spiegel), um andere Grunderkrankungen auszuschließen, stehen dem Arzt auch verschiedene Fragebögen oder Testverfahren zur Verfügung. Zudem wird das Gehirn untersucht, eine Aufnahme im MRT oder die Darstellung von möglichen Stoffwechseldefiziten (z. B. ein verminderter Glucosestoffwechsel) mittels Positronen-Emissions-Tomographie (PET) durchgeführt.
Eine Liquor-Untersuchung dient der Identifizierung von Tau-Fibrillen oder Beta-Amyloidplaques – typische Marker für eine Alzheimer-Erkrankung. Um derartige invasive Eingriffe zu verhindern, wird weltweit an alternativen Diagnosemöglichkeiten geforscht, zum Beispiel an Biomarkern in der Retina des Auges, im Blut oder der DNA. Diese diagnostischen Verfahren müssen zwar erst noch klinisch erprobt und validiert werden, dennoch geben sie Hoffnung auf eine schnellere, unkompliziertere und vielleicht auch schon früher ansetzende Diagnostik des Morbus Alzheimer.
Früher Therapiebeginn sichert Selbstständigkeit
Ist die Diagnose gestellt, ist das für viele ein Schock – was Angehörige bereits länger beobachtet oder vermutet haben, ist auf einmal auch für den Betroffenen Realität. Bevor man in die Pharmakotherapie einsteigt, steht erst einmal ein Ganzkörpercheck an:
- Ist der Blutdruck normal?
- Besteht ein (krankhaftes) Übergewicht?
- Wie sehen sie Blutfettwerte aus?
- Wie steht es um den Glucosestoffwechsel – liegt ein (Prä)Diabetes vor?
Eine stabile Stoffwechsellage ist wichtig, denn Demenzkranke verfügen über nur eingeschränkte Reserven.
Als nächstes wird ein umfassender Plan aufgestellt, der Betroffene dabei unterstützen soll, möglichst lange (selbstständig) in ihrem Alltag zurecht zu kommen. Das kann Ergotherapie, Logopädie, Musik-, Tanz- oder Gesangstherapie sowie in einigen Fällen auch Psychotherapie beinhalten. Auch Angehörige sind ein wichtiger Teil der multimodalen Therapie.
Was Medikamente leisten können und was nicht
Die regelmäßige Einnahme der verordneten Medikamente entscheidet über die Prognose der Krankheit. Eine Dosette, in der wöchentlich die Medikamente gerichtet werden, ist hilfreich bei der Strukturierung im Alltag. Apps, Kalendereinträge oder Assoziationen erinnern an die Einnahme. Doch auch, wenn es ernüchternd ist: Defizite im Bereich der Gedächtnisleistung können fast gar nicht beeinflusst werden. Die sozial-emotionalen Fähigkeiten sowie die Aufmerksamkeit schon – und das wird von Betroffenen, aber auch von deren Angehörigen, als Erleichterung empfunden.
Acetylcholin hochhalten
Bei Morbus Alzheimer misst man verminderte Acetylcholin-Spiegel im basalen Vorderhirn. Grund sind die Neuronenverluste, der Botenstoff wird nicht mehr ausreichend produziert. Acetylcholin sichert die Informationsübertragung zwischen den Nervenzellen, ist also an Denk- und Konzentrationsprozessen ebenso beteiligt wie am Lernen, Wahrnehmen und Erinnern. Bei leichten bis mittelschweren Stadien der Alzheimer-Demenz können daher Acetylcholin-Esterasehemmer (AchEi) zum Einsatz kommen. Sie verhindern den Abbau von Acetylcholin und erhöhen so dessen Konzentration im synaptischen Spalt. Zugelassene Arzneistoffe sind derzeit Donepezil, Rivastigmin und Galantamin.
Durch den erhöhten Acetylcholinspiegel kann es allerdings zu unerwünschten Wirkungen wie Übelkeit, Gewichtsverlust, körperlicher Unruhe (z. B. Tremor), krankhaften vegetativen Effekten (z. B. verstärktes Schwitzen, Bradykardie) oder Erhöhung der Leberwerte kommen. Daher sollten die Wirkstoffe nur langsam aufdosiert werden. Auch wenn die auftretenden Nebenwirkungen sehr belastend sein können, raten Sie vom eigenständigen und sofortigen Absetzen unbedingt ab – die Nebenwirkungen können sich zum Teil im Therapieverlauf auch wieder abschwächen.
Memantin sobald die Demenz fortschreitet
Ab einem mittelschweren Grad der Erkrankung empfiehlt sich der Einsatz von NMDA-Rezeptor-Antagonisten. Gute Erfahrungen zeigt hierbei die Substanz Memantin, sie blockiert den glutamatergen NMDA-Rezeptor nicht-kompetitiv und schwächt dadurch überschießende Glutamat-Wirkungen, die durch das Neurotransmitter-Ungleichgewicht zustande kommen, ab. Denn obwohl Glutamat ebenfalls wichtig für Denk- und Lernprozesse ist, sind die Nervenzellen von Alzheimer-Betroffenen durch einen Glutamat-Überschuss belastet und sterben ab. Als unerwünschte Wirkungen können motorische Unruhe, Kopfschmerzen, Müdigkeit, Verwirrtheit, Halluzinationen, Verstopfung, Schwindel und Übelkeit auftreten.
Für die klinische Praxis hat sich die Kombination von Memantin mit einem AchEi bewährt, synergistische Effekte auf beide Neurotransmittersysteme zeigen gute Auswirkungen auf die Symptomatik und den Krankheitsverlauf.
Antidepressiva und Neuroleptika als Einzelfallentscheidung
Selegilin, ein MAO-B-Hemmer, der gegen Morbus Parkinson eingesetzt wird, und Piracetam, ein GABA-Derivat, werden vereinzelt auch bei Demenzen eingesetzt. Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie empfiehlt den Einsatz der Substanzen in ihrer Leitlinie „Demenz“ allerdings nicht, die Studienlage ist nicht ausreichend. Ein Versuch kann aber im Einzelfall durch den Arzt erwogen werden.
Aus der Phyto-Ecke
Auch für pflanzliche Präparate aus Extrakten des Ginkgo biloba gilt keine generelle Empfehlung, dennoch sind hochdosierte Präparate mit einer täglichen Gabe von 240 Milligramm standardisiertem Ginkgo-Extrakt zur unterstützenden Behandlung der Demenz leichten Grades zugelassen und daher erstattungsfähig durch die Krankenkasse.
Die Gehirn-Durchblutung soll durch die regelmäßige Einnahme verbessert und Nervenzellen geschützt werden. Trotz des sehr guten Nebenwirkungsprofils sollten Betroffene die Einnahme mit dem behandelnden Arzt besprechen, da Ginkgo-Präparate mit vielen anderen Wirkstoffen in Wechselwirkung treten können. So wird zum Beispiel die gerinnungshemmende Wirkung von ASS verstärkt.
Nahrungsergänzungsmittel gegen Demenz?
Die eine Pille gegen Alzheimer und andere Demenzen gibt es nicht. Eine gesunde Ernährungsweise kann helfen, Nervenzellen zu schützen. Doch kann man nicht noch zusätzlich etwas tun?
Ein B-Vitaminmangel, vor allem von Folsäure, B6 und B12, kann zu einem erhöhten Homocystein-Spiegel führen. Dauerhaft erhöhte Homocystein-Werte stehen mit einem höheren Risiko für Herz- und Gefäßerkrankungen in Verbindung. Es kann daher sinnvoll sein, bestehende Mängel auszugleichen, um Nervenzellen im Alter zu schützen. Doch eine gefäßschützende Wirkung haben die B-Vitamine per se nicht.
Einzelne Studien deuten darauf hin, dass Menschen mit einem niedrigen Vitamin-D-Spiegel eher eine Demenz entwickeln als solche ohne einen Vitamin-D-Mangel. Da man den genauen Zusammenhang jedoch (noch) nicht kennt, kann keine generelle Empfehlung zur Supplementation ausgesprochen werden.
Wo Sauerstoff gebraucht wird, fallen Radikale an – also auch im Gehirn. Ein logischer Ansatz wäre daher, mit Radikalfängern – Antioxidantien – ein Schutzschild um die Nervenzellen zu errichten. Dazu zählen Vitamin C und E, Flavonoide oder das Beta-Karotin. Studien lassen die Vermutung zu, dass eine hohe Antioxidantien-Zufuhr präventiv auf den Erhalt der Kognition wirken könnte. Dabei geht es jedoch weniger um Präparate als vielmehr einen speziellen Speiseplan, auf dem sich zum Beispiel viel schwarze Johannisbeeren, Stachelbeeren, Paprika, Kartoffeln, hochwertiges Weizenkeimöl, Nüsse und Samen befinden.
Und zuletzt die Omega-3-Fettsäuren Docosahexaensäure (DHA) und Eicosapentaensäure (EPA). Sie können durch ihre antientzündliche Wirkung zum Schutz vor einer Demenz beitragen. Doch die Datenlage ist nach wie vor kontrovers: Man ist nicht abschließend einig, ob eine gezielte Supplementation oder ein sorgfältig ausgewählter Speiseplan mit viel fettem Seefisch oder Leinöl oder die Kombination mit Antioxidantien das bessere präventive Ergebnis liefert.
Quellen:
https://www.alzheimer-forschung.de/alzheimer/behandlung/medikamentoese-behandlung/
https://www.alzheimer-forschung.de/alzheimer/symptome/
https://www.gesundheitsamt.bremen.de/ernaehrung-und-demenz-12948#:~:text=Mehrfach%20unges%C3%A4ttigte%20Fetts%C3%A4uren%2C%20insbesondere%20die,Thunfisch%2C%20Makrele%20und%20Kabeljau%20enthalten.
https://www.stiftung-gesundheitswissen.de/wissen/vaskulaere-demenz/hintergrund
https://www.pflege.de/krankheiten/demenz/alzheimer/?CID=google_700000001562721.12697866644.121514577078.595153172304.kwd-740510732&gclid=EAIaIQobChMI2avb6Y7m-AIVFODtCh3vFAU3EAAYAyAAEgLcVPD_BwE&gclsrc=aw.ds
https://www.deutsche-alzheimer.de/demenz-wissen
https://www.alz.org/de/stadien-der-alzheimer-krankheit.asp
https://www.neurologen-und-psychiater-im-netz.org/psychiatrie-psychosomatik-psychotherapie/therapie/pharmakotherapie/antidementiva
https://www.arzneimitteltherapie.de/heftarchiv/2003/12/therapie-der-alzheimer-demenz-die-arzneimitteltherapie-im-internet-http-www-wissenschaftliche-verlagsgesellschaft-de-amt.html
https://www.ppt-online.de/heftarchiv/2012/04/diagnose-und-pharmakotherapie-der-alzheimer-demenz-in-der-klinischen-praxis-ergebnisse-einer-befragung-in-bayerischen-fachkrankenhausern.html
https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2009/daz-30-2009/rationaler-einsatz-von-johanniskraut-und-ginkgo-biloba
„Demenz – Leben in der eigenen Welt”