Monoklonale Antikörper
WARUM GENTECHNOLOGIE IMMER WICHTIGER WIRD
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Biotechnologie – oder synonym Gentechnologie oder Gentechnik – spielt bei der Entwicklung neuer Medikamente eine immer größere Rolle: Im Jahr 2022 wurden mehr als die Hälfte aller neu zugelassenen Wirkstoffe auf diese Weise hergestellt beziehungsweise waren Gentherapien im engeren Sinne – Tendenz weiter steigend.
Doch was genau steckt hinter diesen Schlagworten, wie funktionieren diese Therapien und welche Krankheiten lassen sich heute damit behandeln? Diese neue Serie soll einen Überblick über dieses immer wichtiger werdende Themengebiet geben.
Vielfältige Ansätze
Den größten Anteil innerhalb der biotechnologisch hergestellten Arzneimittel stellen die rekombinanten Proteine dar. Außerdem können sowohl Desoxyribonukleinsäure (DNA) als auch Ribonukleinsäuren (RNA) für therapeutische Zwecke verwendet werden. Und schließlich kommen alle auch in der Diagnostik zum Einsatz. Doch davon in späteren Folgen der Serie mehr.
Rekombinante Proteine sind Proteine, die aus gentechnisch veränderten Zellen hergestellt werden. Das erste rekombinant hergestellte Medikament war im Jahr 1982 menschliches Insulin. Seitdem wurden und werden immer mehr rekombinante Proteine therapeutisch eingesetzt, darunter Hormone, Enzyme, Gerinnungsfaktoren, Impfstoffe sowie vor allem monoklonale Antikörper.
Im Fall der monoklonalen Antiköper werden B-Zellen, die den gewünschten Antiköper herstellen, mit Tumorzellen zu sogenannten Hybridzellen fusioniert. Für andere rekombinante Proteine wird das Gen, das für das gewünschte Protein kodiert, in Zellen eingeschleust, die es normalerweise nicht selbst produzieren. Man sagt: Die Zellen werden „transfiziert“; das Protein wird von/in den Zellen „exprimiert“. Dafür werden häufig Säugetier- oder menschliche Zell-Linien, aber auch Hefezellen und sogar Pflanzenzellen verwendet. In allen Fällen werden die Zellen dann in großen Bioreaktoren vermehrt und im Anschluss das gewünschte Protein, das nun in größerer Menge zur Verfügung steht, aufgereinigt.
Monoklonale Antiköper
Monoklonale Antikörper zeichnen sich dadurch aus, dass sie ein ganz bestimmtes Protein erkennen und mit hoher Affinität daran binden. Sie lassen sich im Labor gegen beinahe jedes gewünschte Zielprotein herstellen. Bei der Therapie zahlreicher Krankheiten lassen sich damit Therapieerfolge erzielen, die vorher nicht möglich waren. Monoklonale Antikörper werden in mehrwöchigen Abständen intravenös infundiert oder subkutan beziehungsweise intramuskulär gespritzt. Ihre Wirkstoffnamen enden (bislang) auf -mab für monoclonal antibody, wobei aktuell eine neue Nomenklatur eingeführt wird. Im Folgenden seien einige Anwendungsgebiete beispielhaft für die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten herausgegriffen.
Krebstherapie
Bei der Behandlung von verschiedenen Krebsarten werden monoklonale Antikörper gegen unterschiedliche Zielstrukturen eingesetzt. Zum Beispiel als Checkpoint-Inhibitoren: Sie blockieren sogenannte Checkpoint-Proteine auf der Oberfläche von Tumorzellen, mit denen diese sich vor Angriffen durch das Immunsystem schützen. Funktioniert diese Tarnung aufgrund der Antikörperbindung nicht mehr, kann das Immunsystem gegen die Tumorzellen vorgehen. Erfolge können damit unter anderem bei Hautkrebs, Nierenzellkarzinom und Lungenkrebs erzielt werden.
Zu den Nebenwirkungen zählen solche, die durch eine Überaktivierung des Immunsystems ausgelöst werden. Der Antikörper Rituximab richtet sich gegen das CD20-Protein, das beispielsweise auf der Zelloberfläche von bestimmten Non-Hodgekin-Lymphomen exprimiert wird. Indem er an die Tumorzellen bindet, markiert er sie für die weitere Zerstörung durch das Immunsystem. Die Antikörper Trastuzumab und Pertuzumab binden an das HER2-Protein, das insbesondere von manchen Brusttumoren auf der Zelloberfläche vermehrt gebildet wird.
Indem sich zwei HER2-Proteine zu Zweier-Komplexen zusammenlagern, geben sie das Signal zur unkontrollierten Zellteilung. Die Antikörper verhindern eben diese Zusammenlagerung. Wieder andere Antikörper können die Versorgung von Tumoren mit neuen Blutgefäßen hemmen – der Tumor kann sich so nicht ausreichend mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgen und wird quasi ausgehungert. Dieser Ansatz funktioniert beispielsweise beim Dick- und Enddarmkrebs.
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Immunologie
Monoklonale Antikörper haben die Behandlungsmöglichkeiten von zahlreichen Autoimmunerkrankungen, darunter rheumatoide Arthritis, Psoriasis, chronisch entzündliche Darmerkrankungen, erheblich verbessert. Sie richten sich gegen verschiedene Zytokine oder ihre Rezeptoren auf der Zelloberfläche, die an der krankhaften Aufrechterhaltung der Entzündung beteiligt sind. Bekannte Beispiele sind
- der Tumornekrosefaktor (TNF)-alpha (monoklonaler Antikörper z.B. Adalimumab),
- Interleukin-6 (z.B. Tocilizumab) oder
- Interleukin-17 (z.B. Bimekizumab).
Indem die monoklonalen Antikörper an ihre Zielproteine binden, unterbrechen sie die Entzündungsreaktion. So kann beispielsweise mit TNF-alpha-Blockern bei diversen Erkrankungen bei vielen Betroffenen eine deutliche Linderung erreicht werden – von einer völligen Beschwerdefreiheit kann bei der Mehrheit jedoch langfristig keine Rede sein.
Bemerkenswert sind aktuell die Erfolge bei der Plaque-Psoriasis mit Bimekizumab: Hier wird die Haut bei etwa neun von zehn Betroffenen mit mittelschwerer bis schwerer Erkrankung unter Bimekizumab innerhalb weniger Wochen (fast) vollständig erscheinungsfrei und bleibt dies offenbar auch. Dabei gilt immer: Die Therapie muss dauerhaft fortgeführt werden, und als wirksame Medikamente, die in das Immunsystem eingreifen, können monoklonale Antikörper auch Nebenwirkungen verursachen.
Migräne
Das Calcitonin Gene-Related Peptide (CGRP) wird von Nervenzellen freigesetzt und spielt eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Migräne. Antikörper gegen CGRP beziehungsweise den CGRP-Rezeptor können Migräne vorbeugen. Sowohl bei episodischer als auch bei chronischer Migräne können sie die Anzahl der Migränetage pro Monat reduzieren.
RSV
Das Respiratory Syncytial Virus löst Atemwegserkrankungen aus und kann besonders für Säuglinge gefährlich werden. Schon seit vielen Jahren gibt es den monoklonalen Antkörper Palivizumab gegen das Virus. Er wirkt als passive Immunisierung und ist für Frühgeborene und Säuglinge mit einem hohen RSV-Risiko zugelassen. Ab diesem Jahr soll zusätzlich Nirsevimab verfügbar sein. Der Vorteil: Wegen seiner längeren Halbwertszeit muss der neue Antikörper nur noch einmal zu Beginn der Erkältungssaison und nicht mehr monatlich verabreicht werden.
Weitere Anwendungsmöglichkeiten für monoklonale Antikörper eröffnen sich, wenn sie zusätzlich modifiziert werden. Davon mehr im kommenden Heft.