Schlafstörungen
IST OMA EIN VAMPIR?
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Als Kind war es für mich das Größte, bei meiner Oma Gertrud zu übernachten. Wenn sie mich abends ins Bett brachte, erzählte sie mir noch stundenlang Märchen. Wenn ich nachts wach wurde, war Oma auch wach und häkelte. Und morgens, wenn ich aufstand, stand der Grießbrei schon auf dem Tisch. Irgendwann kam mir die Idee, Oma könnte ein (freundlicher) Vampir sein. Als ich sie fragte, ob sie denn nie schläft, lachte sie. „Kind, ich bin alt, im Alter braucht man nicht mehr viel Schlaf!“ Stimmt das, brauchen Senioren weniger Schlaf?
Der zirkadiane Rhythmus, unsere innere Uhr, wird im Alter schwächer, außerdem verändern sich die Schlafphasen. Während jüngere Menschen durchschnittlich fünf kurze, unbewusste Wachmomente pro Nacht haben, sind es bei älteren bis zu 150. Einige Senioren haben nachts Harndrang, der sie aufweckt. Im Alter werden sie auch empfindlicher gegenüber Störfaktoren wie einem zu warmen Schlafzimmer, Geräuschen (vom schnarchenden Partner) oder einer zu weichen Matratze.
Einmal wach, können ältere Menschen dann über längere Zeit nicht mehr einschlafen. Zudem können psychische Probleme wie Einsamkeit, Unterforderung oder Konflikte ihnen die Ruhe rauben. Zum Teil gleichen Senioren den fehlenden Nachtschlaf durch Nickerchen am Mittag aus. Gelingt ihnen das nicht, sodass ihnen Schlaf fehlt, spricht man von einer Schlafstörung oder Insomnie. Darunter leidet rund die Hälfte der Über-65-Jährigen. Die Folge: Sie sind tagsüber erschöpft, nervös oder gereizt. Die Abwehrkräfte leiden unter dem Schlafmangel und das Demenzrisiko steigt.
Schlafräuber Doch Schlafmangel macht nicht nur krank, andersherum können auch Erkrankungen eine Schlafstörung auslösen, darunter einige, von denen Senioren häufig betroffen sind: chronische Schmerzen, Herz- und Lungenerkrankungen, Diabetes mellitus und Blasenentleerungsstörungen. Vielen Demenzkranken geht der Tag-Nacht-Rhythmus verloren, sie schlafen tagsüber viel und irren nachts unruhig umher. Auch Arzneimittel kommen als Auslöser in Frage. Die Botenstoffe Noradrenalin, Acetylcholin, Serotonin, Histamin und Dopamin regeln den Schlaf. Arzneimittel, die in den Neurotransmitter-Haushalt eingreifen, können deshalb Schlafstörungen verursachen.
Medikamente gegen Parkinson etwa wirken dopaminerg, auch Antidepressiva wie selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer wirken aktivierend. Tramadol und Triptane setzen Serotonin frei und können so schlaflose Nächte bescheren. Als Acetylcholinesterase-Hemmer wirkt das Antidementivum Donepezil sedierend, als Nebenwirkung wurden jedoch auch paradoxe Effekte beobachtet. Anticholinergika gegen Harninkontinenz wirken erregend und können zu Unruhe führen, deshalb sollte man sie morgens einnehmen, so wie auch Diuretika oder Glucocorticoide. Ein Blick auf den Medikationsplan lohnt sich also, wenn Ihre Kunden über Schlafprobleme klagen.
Praxistipp
Klagt Ihr Kunde darüber, dass er nachts nicht genug Schlaf bekommt, muss das keine Schlafstörung sein. Viele Senioren gleichen fehlenden Nachtschlaf mit einem Nickerchen tagsüber aus. Fragen Sie, ob Ihr Kunde tagsüber müde ist und Konzentrationsschwierigkeiten hat – dies deutet dann auf eine Insomnie hin.
Januskopf Kaffee Coffein gilt als Wachmacher. Körpereigenes Adenosin bindet an seine Rezeptoren und hemmt so die Ausschüttung von aktivierenden Neurotransmittern. Coffein blockiert diese Bindungsstellen, sodass die Neurotransmitter ihre wachmachende Wirkung entfalten können. Allerdings verbessert Coffein auch die Durchblutung im Gehirn, was vielen Älteren das Einschlafen erleichtert.
Schlafhygiene Der erste Schritt zum gesunden Schlaf sind Verhaltensweisen, die dem Körper den Tag-Nacht-Rhythmus verdeutlichen. Raten Sie Ihren schlaflosen Kunden, immer zur gleichen Zeit ins Bett zu gehen und auch für das Nickerchen zwischendurch einen fixen Zeitpunkt zu finden. Kleine Rituale wie ein gemütliches Bad oder eine Tasse Tee signalisieren dem Körper, dass er jetzt zur Ruhe kommen kann. Lesen und Musikhören entspannen den Körper eher als ein aufregendes Abendprogramm.
Wer sich tagsüber an der frischen Luft bewegt, wird abends leichter müde. Schwere Mahlzeiten, Nikotin und Alkohol sollte man vor dem Schlafengehen vermeiden. Das Schlafzimmer sollte kühl, dunkel und ruhig sein und die Matratze bequem. Und wenn Ihre Kunden nachts aufwachen, stehen sie am besten auf und sich beschäftigen sich mit etwas Entspannendem statt sich im Bett herumzuwälzen.
Schlaf auf Rezept Auch die S3-Leitlinie „Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen – Insomnie bei Erwachsenen“ sieht die Schlafhygiene als ersten Schritt der Therapie an, außerdem sucht der Arzt oder die Ärztin nach Alternativen für Medikamente, die den Schlafrhythmus stören. Geht die Schlaflosigkeit auf eine psychische Erkrankung zurück, wird diese behandelt. Hat die Insomnie jedoch keine erkennbare Ursache, soll der Betroffene an einer kognitiven Verhaltenstherapie teilnehmen. In Übungen und Gesprächen lernt er Denkmuster und Verhaltensweisen zu verändern und so leichter und tiefer in den Schlaf zu finden.
Bessert das die Schlafqualität noch nicht genug, verordnet der Arzt Benzodiazepine wie Lormetazepam und Triazolam, die Z-Substanzen Zopiclon, Eszopiclon oder Zolpidem oder sedierende Antidepressiva wie Doxepin. All diese Arzneimittel sind jedoch nur zur Kurzzeitbehandlung zugelassen (4 Wochen, bei Eszopiclon 6 Monate). Dennoch nehmen viele Senioren die Substanzen über einen langen Zeitraum ein, wenn der Arzt sie off-label auf einem Privatrezept verordnet. Bei hochbetagten, psychiatrischen Patienten kommen außerdem die Antipsychotika Melperon und Pipamperon in Frage, auch über einen längeren Zeitraum.
Hilfe aus der Apotheke Für Antihistaminika, Melatonin und Phytopharmaka sieht die Leitlinie die Wirksamkeit nicht ausreichend belegt, was allerdings auf die Studienqualität zurückzuführen ist und nicht zwangsläufig auf die Arzneimittel selbst. Viele Anwender haben gute Erfahrungen mit entsprechenden Präparaten gemacht. Melatonin als Arzneimittel ist verschreibungspflichtig, als Nahrungsergänzungsmittel nicht. Die Nachfrage der Kunden ist hierfür hoch, da Melatonin-Präparate aktuell stark beworben werden.
Auch für die Antihistaminika Diphenhydramin und Doxylamin sowie für pflanzliche Mittel benötigt der Kunde kein Rezept. Hier ist also Ihre Beratung gefragt. Bei älteren Kunden erhöhen einige dieser das Sturzrisiko, lösen Schwindel oder kognitive Störungen aus oder verändern die Herzaktivität. Eine gute Übersicht bietet Ihnen die PRISCUS-Liste, die für ältere Menschen potenziell inadäquate Medikamente aufzählt und bewertet. Auf der sicheren Seite sind Sie mit Phytopharmaka. Extrakte aus der Baldrianwurzel, dem Hopfenzapfen, der Lavendelblüte, Melissenblättern oder dem Passionsblumenkraut haben beruhigende und schlafanstoßende Eigenschaften.
Meine Oma Gertrud hat sehr selten mal einen Melissengeist getrunken. Ansonsten hat sie ihren Schlaf über den Tag verteilt. Getreu dem Sprichwort „Nach dem Essen sollst du ruh´n, eine Stunde gar nichts tun“ legte sie sich mittags kurz aufs Ohr und war dann wieder fit, um mit mir auf den Spielplatz zu gehen – in die Sonne. Oma war also kein Vampir. Und Knoblauch mochte sie auch.
Den Artikel finden Sie auch in der Sonderausgabe Senioren von DIE PTA IN DER APOTHEKE ab Seite 30.
Gesa Van Hecke, PTA/Redaktion