Graphische Darstellung des Magens im Körper© magicmine/iStock/GettyImages
Helicobacter pylori ist ein stäbchenförmiges, spiralig gekrümmtes Bakterium, das den menschlichen Magen besiedeln kann.

Interview

DER MAGENKEIM HELICOBACTER PYLORI

Das Lebenswerk des Gastroenterologen Professor Dr. med. Dr. h.c. mult. Peter Malfertheiner ist die Forschung am Magenkeim Helicobacter pylori. Was ist das für ein Bakterium, das dem sauren Magenmilieu standhält? Der Wissenschaftler hat uns einen Einblick gewährt.

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Erstmals beschrieben wurde der Keim 1983 von den Australiern Barry Marshall und John Robin Warren, die aufgrund der Bedeutung dieses Keims bei Magen- und Zwölffingerdarmgeschwüren 2005 den Nobelpreis für Medizin erhielten.

Prof. Malfertheiner forscht seit 1985 am Einfluss und an den Mechanismen des Keimes auf Erkrankungen des Magens sowie an den Behandlungsmöglichkeiten dieser Infektion.

 

Herr Prof. Malfertheiner, Sie haben sich schon zu Beginn Ihrer wissenschaftlichen Karriere auf Magenerkrankungen konzentriert. Wieso hat Sie dann gerade der Magenkeim Helicobacter pylori so fasziniert?

Vor der Entdeckung des Helicobacter pylori war die gängige Lehrmeinung, dass die Magensäure alle Mikroorganismen abtöte und der Magen daher steril sei. Dann kam die Nachricht aus Australien, dass im Magen ein Keim, der zur Gastritis führt, gefunden wurde. Diese Mitteilung erschien uns zunächst nicht glaubwürdig, doch als wir uns mit dem Elektronenmikroskop auf die Suche nach seiner Bestätigung machten, sahen wir ihn!
Ein gekrümmtes Bakterium, das an Magenzellen haftete. Wir fanden, dass bei Nachweis des Keims immer auch entzündliche Veränderungen der Magenschleimhaut vorlagen. Von diesem Moment an war ich so fasziniert, dass es kein Halten mehr gab. Ich musste dieses ungewöhnliche Bakterium mit meinem Team weiter erforschen.

Wie schafft es Helicobacter im sauren Milieu des Magens zu überleben?

Im Magenlumen herrscht normalerweise ein saurer pH-Wert von 1 bis 2. Da kann sich selbst Helicobacter nicht lange aufhalten. Mit seinen Geißeln an einem Pol kann er sich jedoch rasch in Richtung Magenschleim und durch den Magenschleim hindurchbewegen. In der Schleimschicht kann er sich vor der Magensäure in Schutz bringen.
Zudem besitzt er ein für ihn überlebenswichtiges Enzym, die Urease, mit deren Hilfe er aus Harnstoff Ammonium-Ionen herstellt, die den pH-Wert anheben. Damit bildet er eine Art neutrale Wolke um sich herum und ist somit vor der Magensäure endgültig geschützt. Seine Ausstattung, auch mit einer Reihe von weiteren Mechanismen, ist einzigartig und erlaubt ihm die Magenschleimhaut zu besiedeln und zu infizieren!

Wie infiziert man sich mit Helicobacter?

Die Übertragung findet oral-oral oder fäkal-oral meistens im Kindesalter statt. Das Risiko, sich als Erwachsener anzustecken, ist zumindest in Regionen mit hohem Hygienestandard gering. Die Theorie, dass man sich als Erwachsener über Küssen infizieren kann – eine Schlagzeile aus den 80er Jahren – ist vom Tisch. Wir wissen heute, dass es nach einer Behandlung und Eradikation von H. pylori nur in weniger als einem Prozent der Fälle zur Reinfektion kommt.

Bei Kindern führt der Keim zu geringfügigsten Entzündungen im Magen aufgrund des noch unzureichenden Immunsystems, aber er richtet noch keinen Schaden an und verursacht nur in Ausnahmefällen Symptome. Darum behandelt man Kinder auch nicht.
Bei Erwachsenen kommen dann andere Faktoren dazu, die dazu führen, dass sich daraus bei etwa 10 bis 15 Prozent der Betroffenen schwerwiegende Entzündungen entwickeln. Und das ist wiederum die Voraussetzung für weitere Komplikationen, die vom Magengeschwür bis hin zu Magenkrebs reichen können.

Was genau geschieht bei einer chronischen Besiedelung mit dem Magenkeim? Warum muss eradiziert werden?

Wenn Helicobacter seinen Platz an der Magenschleimhaut gefunden und einen pH-Wert von 7 um sich herum geschaffen hat, beginnt er mit der Adhäsion an das Magenschleimhaut-Epithel. Er setzt verschiedene Stoffe frei, unter anderem Adhäsionsfaktoren und Enzyme, die zur chronischen persistierenden Entzündung führen. Bei vielen Infizierten bleibt die Entzündung unbemerkt. Erst eine zusätzliche Schwächung der Magenschleimhautbarriere, zum Beispiel durch Alkohol, Rauchen oder Stress können zu Symptomen, wie Schmerzen im Oberbauch, führen.

Bestimmte Helicobacter-Stämme weisen jedoch zusätzliche Pathogenitätsfaktoren auf. Sie fahren nach der Adhäsion an die Magenepithelzelle einen nadelartigen Fortsatz, also eine Art Spritze, aus und injizieren ein Protein in die Zelle.
Das Protein dockt an einen intrazellulären Rezeptor an und setzt eine Reaktionskette in Gang, die zu einer verstärkten chronischen Entzündung der Magenschleimhaut führt.
Dieser Mechanismus ist genetisch codiert, man bezeichnet den entsprechende Abschnitt auf dem Bakterienchromosom als Zytotoxin-assoziierte-Gen-Pathogenitätsinsel oder abgekürzt als cag-Pathogenitätsinsel. Stämme mit dieser Fähigkeit führen sehr viel häufiger zu gastroduodenalen Ulzera und zu Magenkrebs.


Zur Person
Der Facharzt für Innere Medizin und Gastroenterologie Professor Dr. med. Dr. h.c. mult. Peter Malfertheiner studierte Medizin in Bologna (Italien) und leitete nach Stationen in Ulm und Bonn bis zu seiner Emeritierung 2018 die Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Infektiologie der Medizinischen Universitätsklinik Magdeburg.
An der Ludwig-Maximilians-Universität München koordiniert er aktuell verschiedene Forschungsprojekte.


Ist bei Magenkrebs immer Helicobacter im Spiel?

Der Keim ist ein Trigger. Etwa 90 Prozent aller Magenkarzinome werden Helicobacter pylori zugeschrieben. Mehr als vier Milliarden Menschen weltweit sind von der H.-pylori-Infektion betroffen. Durch eine frühzeitige Diagnose könnte man viel Leid ersparen. Das wäre gar nicht so schwer, denn es gibt keine Infektionskrankheit, die man auf so vielfältige Weise nachweisen kann. Es stehen ein Atemtest, ein Antigentest aus dem Stuhl, ein Antikörpertest aus dem Serum und ein direkter Nachweis aus Biopsien im Rahmen der Gastroskopie zur Verfügung.

Wie funktioniert die Eradikationstherapie?

Als Erstlinientherapie wird heute international und auch in der Deutschen Leitlinie zur Therapie der H.-pylori-Infektion die bismuthaltige Quadrupeltherapie empfohlen. Dazu nimmt man 14 Tage lang einen Protonenpumpeninhibitor (Omeprazol) und ein Kombinationspräparat, das ein Bismutsalz, Tetracyclin und Metronidazol enthält. Wir konnten nachweisen, dass mehr als 90 Prozent der Patienten nach der Therapie frei von Helicobacter sind. Sie fragen sich vielleicht, warum man den Protonenpumpeninhibitor braucht: Der Anstieg des pH-Wertes im Magen regt das Wachstum des Keimes an. Dadurch wird er vulnerabler und zusätzlich wird die Wirksamkeit der Antibiotika verbessert.

Sie haben auch den Magen des „Mannes aus dem Eis“, der 5300 Jahre alten Mumie „Ötzi“, untersucht und bei ihm eine Besiedlung mit Helicobacter gefunden.

Ja, das war ein spannendes Unterfangen. Die Mumie darf möglichst nicht beschädigt werden, da sie ein allgemeines Kulturgut ist, aber so eine Mumie ist trocken und steif und die Speiseröhre war für das Gastroskop nicht passierbar. Also mussten wir einen kleinen Schnitt am Bauch vornehmen, um Proben aus dem Magen-Darm-Trakt entnehmen zu können. Natürlich gibt es nach so vielen Jahren keine Schleimhaut mehr und wir waren skeptisch, ob man überhaupt noch verwertbares Material für den Keimnachweis finden würde. Der Nachweis gelang letztendlich und das war schon eine kleine Sensation.

Durch Zusammenarbeit mit vielen Forschern aus aller Welt gelang es, das 5300 Jahre alte Helicobacter-pylori-Genom zu rekonstruieren, die vollständige DNA des Keims zu analysieren und aus der Gesamt-DNA einzelne pathogenitätsrelevante Sequenzen herauszufiltern. Wir konnten dann unter anderem herausfinden, dass Ötzi einen H.-pylori-Stamm mit Pathogenitätsfaktoren in sich trug, die eine verstärkte Entzündung der Magenschleimhaut auszulösen vermag.

Hat sich das Helicobacter Genom im Laufe der Zeit verändert?

Das gesamte Mikrobiom im Magen-Darm-Trakt passt sich an die Umweltfaktoren, wie Ernährung und Lebensstil an, und entwickelt sich ständig weiter. Man kann anhand des Genoms von H. pylori sogar feststellen, aus welcher Weltregion ein Mensch kommt. Mithilfe zahlreicher Studien konnte gezeigt werden, dass es unter anderen ein afrikanisches, ein asiatisches und ein europäisches Genom gibt. Jedes ist so charakteristisch, dass man aufgrund dieser Charakteristiken des H.-pylori-Genoms auf die Herkunft der Menschen im Rahmen der Völkerwanderungen schließen kann.

Ursprünglich hat sich Helicobacter von Afrika aus zunächst nach Asien verbreitet. Das Genom des Keimes aus der Mumie von Ötzi ähnelt stark dem jener Stämme, die heute in Mittel- und Südostasien vorkommen und nicht jenem der heutigen häufigeren europäischen Variante, die wahrscheinlich erst nach Ötzis Zeit entstanden ist.

Vielen Dank für das Gespräch!

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