Evidenzbasierte Medizin
EINE CHANCE FÜR DIE PHYTOTHERAPIE
Seite 1/1 4 Minuten
Der Begriff kommt aus dem englischen „evidence-based medicine“ und bedeutet „beweisgestützte Medizin“. Damit ist eine medizinische Versorgung gemeint, die sich nicht allein auf Meinungen stützt, sondern auf Belege, die mit möglichst objektiven wissenschaftlichen Methoden erhoben worden und auf dem neuesten Stand sind.
Je nach Nachweis der Wirksamkeit gibt es verschiedene Evidenzgrade. Die stärkste Evidenz haben systematische Auswertungen, sogenannte Metaanalysen von mehreren randomisierten, kontrollierten klinischen Studien. Anwendungsbeobachtungen oder Fallberichte haben dagegen nur eine geringe Evidenz.
Evidenz oder Erfahrungswissen?
Selbstverständlich gibt es auch zahlreiche hochwertige klinische Studien mit Phytopharmaka. Die Ergebnisse sind eine gute Basis für Ihre Empfehlung in der Selbstmedikation, denn Sie können sich in Ihrer Beratung auf wissenschaftlich gesichertes Wissen beziehen. Studien können auch vor unsinnigen Therapien schützen.
Es gibt aber andererseits auch viele Heilpflanzen und Zubereitungen, die seit Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten zur medizinischen Praxis gehören. Hier gibt es oftmals keine Evidenz im Sinne von klinischen Studien, lediglich Erfahrungswissen mit geringem Evidenzgrad. Das Fehlen eines bewiesenen Nutzens darf jedoch nicht als Fehlen des Nutzens missinterpretiert werden. Der Gesetzgeber hat hier Möglichkeiten im Zulassungs- beziehungsweise Registrierungsverfahren geschaffen.
Gleiche Pflanze, trotzdem anders
Pflanzliche Arzneimittel sind im Gegensatz zu chemisch definierten Arzneimitteln Vielstoffgemische. Sie können mehrere Hundert bis Tausende Einzelsubstanzen enthalten, die alle zur Wirkung beitragen. Welche Stoffe in einem Extrakt enthalten sind, hängt nicht nur vom Ausgangsmaterial, sondern auch vom Extraktionsmittel und den übrigen Bedingungen ab. Daher kann man verschiedene Extrakte nicht vergleichen und Studienergebnisse nicht einfach von einem Produkt auf ein anderes übertragen.
Für pflanzliche Arzneimittel gelten die gleichen Kriterien wie für solche mit chemisch definierten Arzneistoffen. Viele pflanzliche Zubereitungen werden jedoch als Nahrungsergänzungsmittel (NEM) in Verkehr gebracht. Diesen Unterschied müssen Sie beachten.
Für ein NEM muss sich der Hersteller nicht an die Vorgaben des Arzneibuchs halten. Nicht selten sind NEM den zugelassenen Phytopharmaka daher in der Qualität unterlegen. So können geringere Mengen oder andere Pflanzen beziehungsweise Pflanzenteile verwendet werden. Man findet dies beispielsweise beim Lavendel. Der echte Arzneilavendel Lavandula angustifolia ist teuer, daher verwendet mancher Hersteller von Nahrungsergänzungsmitteln andere Lavendelarten. Qualitätsbestimmend ist der Gehalt von Linalylacetat. Dies muss bei Arzneimitteln geprüft werden, nicht jedoch bei Nahrungsergänzungsmitteln.
Ein anderes Beispiel sind Ginkgo-Präparate. Die Ginkgo-Blätter enthalten neben den wirksamkeitsbestimmenden Inhaltsstoffen auch toxische Ginkgolsäure. Für Arzneimittel sind Höchstmengen festgelegt, die enthalten sein dürfen, weshalb die Ginkgolsäure bei der Herstellung des Extraktes entfernt wird. Bei Nahrungsergänzungsmitteln gibt es keine Mengenbeschränkung. Hier haften die Hersteller nur allgemein für die Sicherheit des Produktes.
Nahrungsergänzungsmittel sind als solche zu kennzeichnen und tragen weder Zulassungs- noch Registrierungsnummer. Meist erkennt man sie an Begriffen wie „Tagesbedarf“ oder „Verzehrempfehlung“. NEM sollen die Ernährung ergänzen oder ernährungsspezifische Mängel ausgleichen. Ihre gesundheitsbezogenen Aussagen „Health-Claims“ unterliegen strengen Regularien von Seiten der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA).
Wie wird die Pflanze zum Arzneimittel?
Pflanzliche Zubereitungen müssen als Arzneimittel deklariert werden, wenn der Hersteller für sie eine pharmakologische Aussage ausloben möchte. Für Phytopharmaka gibt es grundsätzlich drei Möglichkeiten der Zulassung als Arzneimittel: Die Vollzulassung, den „well-established-use“ und den „traditional-use“.
Für die Vollzulassung eines pflanzlichen Arzneimittels müssen präklinische und klinische Studiendaten über Wirksamkeit, Toxikologie und Unbedenklichkeit genau wie bei einem synthetischen Arzneimittel vorgelegt werden.
Für viele pflanzliche Arzneimittel liegen solche Daten aber nicht vor und Aufwand und Kosten, zum Beispiel für die Zulassung eines Arzneitees, wären immens. Für sie gibt es eine Zulassung unter erleichterten Bedingungen. Hier wird bei nachgewiesener Qualität auf die Vorlage von eigenen Studien verzichtet. Stattdessen werden andere gut etablierte Wirksamkeits- und Unbedenklichkeitsnachweise, wie zum Beispiel die ESCOP (European Scientific Cooperative on Phytotherapy)- und HMPC (Commitee on Herbal Products)-Monographien akzeptiert.
Mehr Wissenswertes zu diesem Thema:
Well-established-use
Kann der Hersteller nachweisen, dass ein pflanzliches Arzneimittel seit mindestens zehn Jahren in der EU etabliert ist und eine anerkannte Wirksamkeit sowie ausreichende Sicherheit aufweist, erfolgt unter Bezug auf die allgemeine medizinische Verwendung (well-established use – WEU) eine bibliographische Zulassung. Für eine solche Zulassung können die Ergebnisse nichtklinischer und klinischer Studien durch detaillierte Verweise auf veröffentlichte wissenschaftliche Literatur ersetzt werden. Diese pflanzlichen Arzneimittel tragen wie bei einer Vollzulassung eine Zulassungsnummer.
Traditional use
Davon abzugrenzen sind traditionelle pflanzliche Arzneimittel, die Sie an der Registrierungsnummer erkennen. Sie durchlaufen ebenfalls ein erleichtertes Zulassungsverfahren, allerdings aufgrund einer langjährigen Anwendung (traditional use).
Die Wirksamkeitsprüfung ist hier im Grunde eine Plausibilitätsprüfung der traditionellen Anwendung. Das heißt, durch jahrzehntelange Erfahrung mit den Heilpflanzen gilt ihre Wirksamkeit als belegt (Traditionsbeleg). Um den Fortbestand dieser pflanzlichen Arzneimittel, dazu gehören auch viele Heilpflanzentees, zu gewährleisten, wurde hier die Möglichkeit einer Registrierung als traditionelles pflanzliches Arzneimittel geschaffen. Unter Anwendung findet man die Formulierung: „Traditionelles pflanzliches Arzneimittel für ...“
Um eine solche Registrierung zu erhalten, müssen die traditionellen Arzneimittel jedoch bestimmte Voraussetzungen erfüllen:
- Das Produkt muss eine belegte traditionelle medizinische Verwendung von mindestens 30 Jahre aufweisen, davon mindestens 15 Jahre in der Europäischen Union.
- Die Wirksamkeit muss durch den Nachweis einer medizinischen Anwendung über die langjährige medizinische Anwendung plausibel sein (Traditionsbeleg).
- In Hinblick auf die Anforderungen an die pharmazeutische Qualität des Arzneimittels werden keine Ausnahmen hinsichtlich der physikalischen, chemischen, biologischen oder mikrobiologischen Untersuchungen gewährt.
- Die Sicherheit des Arzneimittels muss gewährleistet und seine Anwendung unbedenklich sein.
- Die vorgeschlagenen traditionellen Indikationen müssen der Selbstmedikation zugänglich sein.
- Die Anwendung muss oral, äußerlich oder inhalativ erfolgen.
Solche traditionellen pflanzlichen Arzneimittel dürfen auch außerhalb der Apotheke angeboten werden, zum Beispiel in Reformhäusern, Drogerien und Verbrauchermärkten. Und natürlich dürfen auch PKA einen Kunden in der Apotheke dazu beraten.