Frau und Mann am Esstisch.© George Marks / Retrofile RF

Bücher, von denen man spricht

DIE ERFINDUNG DER HAUSFRAU

Wenn ein Sachbuch über Hausfrauen überall in den Medien besprochen wird, kommt eine gewisse Neugierde auf. Ein Blick hinein, und man weiß warum: Was noch vor siebzig Jahren Standard war, glaubt einem heute kein Mensch mehr.

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Berlin, Prenzlauer Berg, hier ist es üblich, zu Kindergeburtstagen mindestens vier Kuchen zu backen. Einen für morgens, einen für die Kita oder Schule und mindestens zwei für die Party. Auch nur einen davon zu kaufen, kommt einem Tabubruch gleich. Das hat die Autorin Evke Rulffes beobachtet, und zwar mit den Augen einer Kulturwissenschaftlerin: „Die selbst gebackenen Kuchen symbolisieren die Liebe für das Kind, in den Augen des sozialen Umfeldes ebenso wie in den Augen der Mutter.“

Sie weiß: „Im 19. Jahrhundert sollten sich die bürgerlichen Ehefrauen noch die Liebe ihres Mannes erkochen, heute richtet sich diese von der Gesellschaft mit Argusaugen beobachtete und bewertete Liebe auf die Kinder.“ Und das kommt nicht von ungefähr. Im Bürgerlichen Gesetzbuch von 1900 wird die sogenannte „Hausfrauenehe“ eingeführt. Bedeutet, dass die Ehefrau zur Führung des Haushaltes zwar verpflichtet ist, aber selbst keine Schlüsselgewalt hat. Sie darf keine Entscheidungen treffen, und hier gilt der „Gehorsamkeitsparagraf: „Dem Manne steht die Entscheidung in allen das gemeinschaftliche Leben betreffenden Angelegenheiten zu.“

Nun raten Sie mal, wann der Paragraf abgeschafft wurde. Sie kommen nicht drauf: 1977, zumindest in der BRD. In der DDR wurde dieses Gesetzeswerk gleich bei Staatsgründung 1949 gestrichen. Evke Rulffes lässt uns nun mit dem Blick der Wissenschaftlerin durch die Jahrhunderte schlendern. Sie hat die Gabe, das sprachlich spannend zu gestalten. Fest steht: Die Erfindung der Hausfrau, die unbezahlt und ohne große Rentenansprüche Heim und Kinder in Ordnung hält, ist ziemlich neu. Vor dem 19. Jahrhundert hieß der Job „Hausmutter“ – und die war Teil eines Wirtschaftsunternehmens, Partner ihres Mannes, und beide hatten den Job, den Laden am Laufen zu halten.

„Der Begriff der ,Hausmutter‘ wird heutzutage nur noch abwertend verwendet, als „Hausmütterchen“, doch früher stand er für etwas anderes, er war ein Herrschaftsbegriff“, sagt Rulffes. Ihr Professor war es, der den Blick der Autorin darauf richtete: Er machte sie auf die sogenannte „Hausväterliteratur“ aufmerksam, ein Genre, das im 17. und 18. Jahrhundert enorm populär war – „nur die Bibel wurde damals öfter verkauft“. Rulffes liest sich durch und bleibt bei dem einzigen Titel, der sich explizit mit der Dame des Hauses beschäftigt, hängen: „Die Hausmutter in allen ihren Geschäften“, verfasst um 1778 von dem Brandenburger Landgeistlichen Christian Friedrich Germershausen.

Auf gut 4000 Seiten schippert Germershausen durch alle Bereiche: Wie man mit dem Gesinde umgeht. Wie man einen Speiseplan erstellt, wie man das Putzen, das Melken, das Flachsspinnen organisiert. Eine Art Betriebsanleitung also, die Rulffes für uns übersetzt. Auffällig ist, dass die Hausherrin all diese Dinge gar nicht selber macht, sie muss nur vernünftig delegieren können und dazu sollte sie Ahnung haben von den Dingen, die sie anordnet. Germershausen liefert in seinem Traktat Rezepte für die Küche gleich mit: So gibt es hier eine schmackhafte Brotsuppe für den Morgen und falls mal Porridge auf den Tisch kommt, muss das so lange gekocht werden, „wie es braucht, um in die Kapelle zu gehen und vier Ave Maria zu beten.“

Auch die Kinderbetreuung übergibt die Frau des Hauses in geeignete Hände, denn sie hat andere Sachen zu tun. Keiner Hausmutter wäre es in den Sinn gekommen, den Nachmittag auf einer Krabbeldecke bei ihrem Kleinkind zu verbringen – dazu hatte sie schlicht keine Zeit. Gut, dass Evke Rulffes in die Seiten geschaut hat: So können wir Leser Einblick nehmen in eine Welt, die zwar längst vergangen, aber doch nicht so rückständig war, wie man gemeinhin denken mag. Die Hausmutter ist eine Chefin. Sie repräsentiert den bürgerlichen Mittelstand und wahrt den Abstand nach unten, das ist damals wichtig. Der Umbruch, er begann hundert Jahre später: Denn diese Mittelschicht wächst stark an, im Umbruch von der Standesgesellschaft zur bürgerlichen Gesellschaft.

„Der Mittelstand kann sich kein Personal mehr in dem vorherigen Maße leisten, muss aber weiterhin repräsentieren. Das bedeutet, dass die Ehefrau unentgeltlich – vorher wurde sie bezahlt – immer mehr diese Dienstleistungen übernehmen muss. Der Lebensstandard lässt sich nur durch die Ausbeutung der Ehefrau halten.“ Und das hat auch rechtliche Folgen. Zum Beispiel die, dass sämtlicher Besitz der Frau in den des Mannes übergeht, wenn sie ihn heiratet. Zwar wird dieser „Güterstand der ehemännlichen Verwaltung und Nutznießung“ (so heißt das im Juristendeutsch) 1953 wegen Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz außer Kraft gesetzt, doch anderes haarsträubendes Regelwerk bleibt bestehen: Nämlich ein Gesetz, das es als „eheliche Pflicht“ der Frau festschreibt, bei der “Beiwohnung“ weder Teilnahmslosigkeit noch Unwillen zur Schau zu tragen.

Dieser „Unwillen“ kam eine Frau bei ihrer Scheidung im Jahr 1966 teuer zu stehen. Und noch im Jahr 2000 kürzte ein Amtsgericht den Anspruch auf Unterhalt einer Frau wegen des von ihr verweigerten Beischlafs. Kein Witz. Heute hat sich das partnerschaftliche Modell im Haushalt weitestgehend durchgesetzt. Ein Mann, der den Müll nicht herunterträgt, hat wohl auf dem Markt der Liebesbeziehungen keine rechte Chance mehr. Rulffes ahnt jedoch, dass der Schein trügt: Viele Paare, die sich eigentlich gleichberechtigt die Hausarbeit teilen, kämen an ihre Grenzen, sobald Kinder ins Spiel kommen. Der Haushalt explodiere dann und bliebe oft an der Person hängen, die nach der Geburt zu Hause bleibt. „Und das ist eben meistens die Frau.“

Strukturen würden sich einschleichen, die schwer wieder rückgängig zu machen seien. Zwar habe sich in den vergangenen 20 Jahren viel getan, aber: „Trotzdem nehmen Väter im Durchschnitt nur zwei Monate Elternzeit, Mütter ein Jahr. Und das wird sich auch nicht ändern, solange die Arbeitsstrukturen diese Aufteilung unterstützen. Das Versorgermodell wird durch das Ehegattensplitting aufrechterhalten, und viele Väter stoßen immer noch auf Ablehnung im Job, wenn sie länger in Elternzeit oder in Teilzeit gehen wollen.“ Sie weiß: „In Deutschland erwirtschaften Mütter 70 Prozent weniger als kinderlose Frauen, das System beruht noch heute auf der kostenlosen Arbeit von Müttern.“

Den Artikel finden Sie auch in DIE PTA IN DER APOTHEKE 03/2022 ab Seite 108.

Alexandra Regner, PTA und Medizinjournalistin

Evke Rulffes Die Erfindung der Hausfrau Geschichte einer Entwertung
Hardcover, Harper Collins, 288 Seiten, 22 Euro ISBN: 9783749902408

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