Kaffetasse mit Schaumkunst.© nito100 / iStock / Getty Images
Krömer sprach vor laufender Kamera von seinen Problemen – mit Folgen.

Buchvorstellung

KURT KRÖMER SPRICHT ÜBER SEINE DEPRESSION

Alexander Bojcan alias Kurt Krömer ist trockener Alkoholiker und er war jahrelang depressiv. In seinem Buch „Du darfst nicht alles glauben, was du denkst“ berichtet er vom Spagat zwischen beruflicher Lustigkeit und tiefdunkler Traurigkeit.

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Chez Krömer, so heißt sein Fernsehformat, in dem er jeweils einen Gast empfängt und ihn interviewt – naja, eher verhört. Er ist lustig und scharfsinnig und man fragt sich oft, warum sich Gast und Gastgeber das antun, denn manchmal drängt sich der Eindruck auf, dass Krömer seine Leute nicht ausstehen kann. 

Stimmt natürlich nicht (immer). Das Ganze ist äußerst erfolgreich, denn der Krömer ist Komiker. Im März 2021 platzt sozusagen die Bombe: Seinem Gast Thorsten Sträter, ebenfalls Comedian, berichtet der Kunstfigur Krömer, dass er seit Jahren an Depressionen leidet.

Krömer sprach vor laufender Kamera von seinen Problemen – mit Folgen

Bei Thorsten Sträter ist das bekannt, er ist auch Schirmherr der Deutschen Depressionsliga. Tja, und der Kollege warnt Alexander Bojcan nach der Sendung hinter den Kulissen: „Jetzt stell dich mal auf einen Tsunami an Nachrichten ein.“ 

Dass es so heftig werden würden, mochte der 47-Jährige kaum glauben, aber: „Was dann passierte, war wirklich unfassbar. Es war wie eine Atombombe, aber niemand musste sterben, eine positive Atombombe.“ Tausende von Nachrichten in Form von E-Mails, Briefen, Facebook- und Instagram-Mitteilungen erreichten ihn, sodass er Wochen und Monate brauchte, um alles durchzulesen. Depressionen, so wird ihm klar, scheint eine Volkskrankheit zu sein. So ganz allein ist er nicht.

Vor der Erkenntnis kam der Alkohol

Bojcan beschließt, alles aufzuschreiben. Wie es kam, dass er seit dreißig Jahren an dieser Krankheit leidet, aber es erst seit fünf Jahren sicher weiß. Wie er in den Alkoholismus rutschte, „um die Depression wegzuschieben“, wie er schon mittags um zwölf zwei Flaschen Weißwein aufs Hotelzimmer bestellte, wie er auf dem roten Teppich betrunken hinfiel (und erstmal liegen blieb) und schließlich auf ärztlichen Rat entgiftete, sodass wenigstens diese Baustelle bearbeitet ist.

„Es fühlte sich oft an, als hätte ich meinen Körper verlassen, als stünde da nur noch die Hülle von Alexander in dem Haus rum und ich sei meilenweit entfernt.“

Doch es wartete schon die nächste: Impotenz. Bei Männern sei das „eine sehr, sehr große Katastrophe“ bekennt der Autor, und was er nicht alles versuchte, um dem Problem Herr zu werden. Heute weiß er: Alles hing wiederum mit der Depression zusammen. „Der Kopf ist quasi so beschäftigt mit Denken, dass er sich vom Lustzentrum abkoppelt und sagt: „Ey, Diggi, ich bin hier so beschäftigt mit Nachdenken, lass uns mal unten Betriebspause machen.“

Wenn depressive Menschen im Alltag trotzdem funktionieren müssen

Diese Verhaltensweisen sind auch insofern eine Katastrophe, als dass Bojcan erstens alleinerziehender Vater von drei Kindern ist und zweitens lustige Live-Shows im Fernsehen produzieren muss, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. 

Als er endlich seinen Arzt anspricht und einen Termin bei einem Psychiater bekommt, stellt dieser genau die richtigen Fragen. Bojcan bejaht jedes Mal – es gibt ein Fragemuster, mit dem man den Schweregrad einer Depression bestimmen kann - und irgendwann realisiert er, dass seine jahrelange Odyssee in diesen Momenten beendet ist. „Nach etwa 20 Minuten sagte der Chefarzt: „Wir können Ihnen helfen, Herr Bojcan.“ Und ich fing wieder an zu weinen.“

„Mein Lieblingspsychiater hat uns beigebracht, dass Depressive ›katastrophisieren‹. Ein schönes Wort.“

Der Comedian stellt eine Kinderfrau ein und geht acht Wochen in eine ambulante Berliner Klinik. Hier ist er ein Patient wie alle andern auch. Er hat sehr viel Angst vor diesem Schritt, doch schon bald versteht er die Krankheit. Er bekommt Hilfsmittel, wie er sie handhaben kann. Und er merkt, dass es vielen anderen auch so geht, dass Depression jedoch immer noch ein Tabu-Thema ist, genährt auch aus Unwissen. Kein Wunder, dass er damals so viele Zuschriften erhalten hat. 

Das Buch zum Artikel
Bojcan gelingt es (was kaum zu glauben ist) ein lustiges Buch über ein ernstes Thema zu schreiben, eines, das man gern liest, schließlich ist er ja nicht umsonst vom Beruf Comedien. Kurt Krömer: Du darfst nicht alles glauben, was du denkst. Meine Depression Gebundenes Buch, Kiepenheuer & Witsch, 192 Seiten, 20 Euro ISBN: 978-3-462-00254-6

Weinen ist gut!

Und er entdeckt das Weinen, das lernt er nämlich in der Klinik. Bei ihm ist das so: „Ich habe bitterlich geweint, weil ich lachen musste. Ich habe laut gelacht, weil ich weinen musste. Ich dachte: Na, was denn nun? Ich habe in der Klinik gemerkt, dass ich unglaublich gern weine.“

Denn: „In der Tränenflüssigkeit ist die ganze Scheiße drin, die dann rauskommt. Und wenn ich mich so richtig ausgeheult habe, dann geht es mir richtig gut. Dann fühle ich mich, als hätte ich zehn Tage geschlafen oder als wäre ich eine Woche in Urlaub gewesen. Wir sollten alle viel mehr weinen.“

Apropos Urlaub: Bojcan schafft, was er acht Jahre lang nicht fertiggebracht hat: Er reist mit all seinen Kindern in Urlaub. Und er genießt es. Zuvor hat er sein chaotisches Messiehaus aufgeräumt. Er freut sich, aus Berlin wegzufahren; er freut sich, wieder nach Hause zu kommen: „Alles fiel von mir ab. Es wurde jeden Tag krasser.“ 

Ab und zu schaut er auf den Zettel, den er von seinem „Lieblingspsychiater“ bekommen hat: „Du darfst nicht alles glauben, was du denkst“, steht da drauf. Ein leicht abgewandeltes Zitat von Heinz Erhardt, das dem Buch seinen Namen gegeben hat.

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