Schmöker des Monats
BARFUSS UM DIE WELT
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Viele Bücher versprechen Heilung von Krankheiten, dieses nicht. Doch es zeigt einen ungewöhnlichen Weg, mit ihr umzugehen. Man mag es davonlaufen nennen, und es ist auch nicht jedermann möglich. Doch es führte in diesem Fall zum Ziel.
Sich erden Judith Etz hat sich immer schon wohlgefühlt, wenn sie barfuß gelaufen ist. Sie liest mehrere Studien, nach denen das Immunsystem gestärkt und Entzündungen reduziert werden; sogar die Schlafqualität soll sich bessern. „Die wissenschaftliche Erklärung dazu lautet, dass die Erde negativ geladene Elektronen abgibt, die im Körper wie Antioxidanzien wirken und daher freie Radikale neutralisieren. Bei chronischen Entzündungen und Erkrankungen fallen diese freien Radikale über Zellen her und entziehen ihnen die Elektronen, sodass sie oxidieren und schneller altern.“
Tatsächlich berichten die von der Autorin angegebenen Wissenschaftler von einem Phänomen namens „Earthing“, nachzulesen in mehreren Abhandlungen und Büchern. Begeistert stürzt sich Judith Etz auf die Umsetzung dieses Vorhabens, kauft sich (wegen der befremdeten Blicke ihrer direkten Umgebung auf die nackten Füße) knallrote Barfußschuhe und muss erkennen: So ganz ohne vorheriges Training geht das nicht. Wenn man nämlich seinen Laufstil nicht ändert, bekommt man ganz schnell Probleme mit den Gelenken. Beim Barfußlaufen sollten zuerst Mittel- und Vorderfuß den Boden berühren und nicht, wie mit beschuhten Füßen, die Ferse. „Ich muss einige Wochen pausieren, und das nimmt mir viel von der anfänglichen Begeisterung“ bricht sie das Experiment ab.
Schilddrüse krank, in den Ohren ein Pfeifgeräusch Juditz Ez heiratet früh, beginnt mit einer Ausbildung zur Bankkauffrau. Ist Mitglied einer Kirchengemeinde mit stringenten Regeln. Es dauert nicht allzu lange, da rebelliert ihr Körper gegen dieses Leben. Zum Morbus Basedow, bei der die Schilddrüse in einer autoimmunen Reaktion den Stoffwechsel auf Hochtouren jagt, gesellt sich ein Tinnitus. Sie hört nachts laute Rockmusik, um den Pfeifton zu übertönen und einschlafen zu können. Ihr Ehemann kontrolliert sie wahnhaft. Die Ärzte legen ihr eine Totalentfernung der Schilddrüse nahe.
Und wenn das so ist, wenn man mit dem Rücken zur Wand steht: Entweder man ändert sein Leben oder es wird alles noch viel schlimmer. Judith Etz stellt sich auf die Hinterbeine, kämpft. Trennt sich vom Mann und vom Beruf, erinnert sich ans Barfußlaufen. Sie nimmt verschiedene Jobs an und spart Geld, bis sie genug beisammen hat, um den Roadtrip zu starten, den sie klar vor ihrem inneren Auge sieht: eine Reise durch die Welt. Und das alles mit bloßen Füßen.
Die Welt liegt ihr zu Füßen Es ist eine Reise mit ungewissem Ausgang, doch sie startet mit einem Lächeln. Per Couchsurfing lernt sie auf ihrem Trip ungewöhnliche Menschen kennen; ihr wird durchgängig neugierig, aber freundlich begegnet. Judith Etz lernt: Es ist ok, auch mal etwas anzunehmen ohne sich unbedingt zu revanchieren. Befremden löst sie höchstens bei manchen Ordnungshütern aus: Zum Beispiel, als sie eine Tempelanlage in Hongkong besucht.
Doch für diese Fälle hat sie immer ihre Barfuß-Sandalen in der Tasche. Die junge Frau reist nach Neuseeland und weiter nach Hawaii. Hier, inmitten einer grandiosen Natur, stellen sich ihr zwei Hindernisse in den Weg: Sie bohrt sich eine Glasscherbe tief in den Fuß – und ihre Kreditkarte verweigert ihre Funktion. Dazu summt ihr Handy unaufhörlich: „Manchmal wünschte ich, mein Handy würde einfach eine Zeitlang den Geist aufgeben.“ Dieser Wunsch wird ihr erfüllt.
Von Einstellungswechseln und Erkenntnisgewinnen Ganz schön happig, mag man denken. Wie sich Judith Etz diesen Schlamasseln stellt, dabei ihre Einstellung zum Leben ändert und Erkenntnisgewinne erlebt, das ist wirklich lesenswert. Beim Campen mit dem gemieteten Wohnmobil lernt sie Daniel kennen, einen zwanzig Jahre älteren Amerikaner mit Diabetes. Sie akzeptieren einander in ihrer Verschiedenheit und legen fortan Teile der Reise gemeinsam zurück. Er beäugt ein wenig skeptisch ihre Barfüßigkeit und sorgt sich um sie: „Die Stadt ist dreckig. Was, wenn du dir eine Infektion holst?“ Und er führt sie durch seine Heimat San Francisco, durch den Golden Gate Park: „Meine Füße reagieren wie Lungen, die aus einem stickigen Raum nach draußen ins Freie getragen werden. Sie atmen auf und füllen sich mit Sauerstoff und Klarheit.“ Ein ganz besonderes Erlebnis hat sie bei der Begegnung mit einem Redwood-Mammutbaum, was sie so beschreibt: „Ich hatte nicht gedacht, dass ich als Mensch mit den Bäumen so eine Verbindung aufnehmen kann. Doch genau das scheine ich jetzt zu spüren: als würden meine Füße durch die Berührung mit dem Waldboden und den Wurzeln die heilsame Energie des Waldes aufnehmen und mich zum Teil dieses natürlichen Netzwerkes machen. Wie in dem Film Avatar scheine ich mich gerade mit der Natur, die mich umgibt, austauschen zu können. Und zwar über die Berührung, besonders die meiner Füße. Ich fühle mich gelöst und frei.“
Am Ende ihrer Reise entdeckt sie, dass sich ihre Sicht auf das Leben verändert hat: „Es macht mir aus ganzem Herzen Spaß. Meine ängstliche Haltung, dass ich ständig etwas falsch machen könnte, ist kindlicher Lebenslust und Überschwang gewichen, die ich in meiner Kindheit viel zu früh verloren habe.“ Sie weiß nun: „Regeln stoßen irgendwann entweder an Grenzen, veralten oder verändern ihre Bedeutung – das habe ich vor allem in der Kirchengemeinde erfahren. Die Intuition dagegen ist untrüglich. Sie braucht keine Updates, keine komplizierten Denkprozesse, keine Kompromisse. Sie weiß in jedem Moment, was gut ist.“
Füße brauchen nun mehr Raum Nicht nur mental, sondern auch körperlich hat sich Juditz Etz verändert. Als sie sich nach ihrer Reise das erste Mal seit langem wieder Sportschuhe kauft, stellt sie grinsend fest, „dass diese Schuhe zwei deutsche Größen größer sind als meine früheren. Mir scheint, dass sich meine Füße im Bewusstsein ihrer Freiheit ein wenig mehr Raum verschafft haben.“ Der alljährliche Bluttest ist wieder fällig geworden. Die Autorin liest die Werte und staunt: Autoantikörper sind kaum mehr vorhanden, die Schilddrüsenwerte sind normal. Und der Hallux valgus, der sie jahrelang plagte, ist auch verschwunden. „All die Jahre, in denen ich verzweifelt gegen meine Krankheit gekämpft habe, ist mir nicht bewusst gewesen, wie wichtig die innere Heilung ist. Wie innen, so außen“, sagt Juditz Etz. Nun, da die Reise zu Ende ist, hat sie ihren Frieden gefunden. Ihr Leben, so ist im Klappentext zu lesen, passt nun in einen Rucksack.
Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 08/2021 ab Seite 102.
Alexandra Regner, PTA und Medizinjournalistin
Judith Etz Barfuß um die Welt. Wie ich durchs Barfußlaufen geheilt wurde und zu mir selbst fand
Paperback, Klappenbroschur Heyne, 352 Seiten, 12,99 Euro ISBN: 978-3-453-60565-7