Kolumne | Prof. Dr. Aglaja Stirn
VERTRAUEN
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Wovon hängt es ab, dass man einem Menschen vertraut oder nicht? Natürlich fängt alles mit dem Urvertrauen an, das Vertrauen in die Umwelt, die primären Bezugspersonen – gerade der Säugling muss darauf vertrauen, dass er gepflegt, versorgt und ernährt wird. Ohne Vertrauen lässt es sich nur sehr schwer leben, was aber nicht heißt, dass ein gesundes Misstrauen nicht auch gut wäre. Blauäugig zu vertrauen kann gefährlich sein. Aber wem kann ich wirklich vertrauen?
Der Politik, meinem Arzt oder Apotheker, dem Freund, dem Partner ...? Wir vertrauen darauf, dass man nicht hintergangen wird, der andere die Wahrheit sagt und mit dem, was wir ihm anvertrauen, gut umgeht. Wir können nicht alles prüfen oder kontrollieren – wir müssen also in gewissem Sinne vertrauen. Durch Vertrauen mache ich mich verletzbar und gebe die Kontrolle ab.
Wenn ich einer Freundin etwas Intimes erzähle, kann ich darauf hoffen und vertrauen, dass sie es nicht weitersagt. Wenn ich mein Kind in die Obhut des Kindergartens gebe, hoffe ich darauf, dass die Erzieherinnen gut auf es achtgeben. Vertrauen ist also auch riskant und zumeist entsteht Vertrauen erst durch Zeit, Beziehung, Bindung und Empirie. Wenn ich gehört habe, dass ein Kindergarten nicht zuverlässig ist, dann werde ich mein Kind auch nicht dort in die Obhut geben.
Um zu vertrauen, möchte man sich ein Bild über die Einrichtung machen und etwas über die Menschen wissen, denen man vertrauen soll. Einfach blind zu vertrauen, kann ein hohes Risiko bedeuten – nicht alles zu glauben und kritisch zu hinterfragen, ist sicherlich nicht falsch. Irgendwann kommen wir dann dazu, dass wir Menschen oder Institutionen für vertrauenswürdig halten oder nicht. Vieles hängt hier von den eigenen Erfahrungen ab, ist jedoch nicht immer rational begründet. Es kann auch sein, dass ich mit einem Menschen keine schlechten Erfahrungen gemacht habe und ihm trotzdem nicht vertraue. Und es hängt von meiner Persönlichkeitsstruktur ab, ob ich eher vertrauensselig bin oder eher misstrauisch.
Es gibt Menschen, denen begegnet man zum ersten Mal und hat schon ein großes Vertrauen – gerechtfertigt oder nicht gerechtfertigt – und bei anderen Menschen fehlt dies völlig. Womit das zu tun hat, ist nicht immer klar. Vertrauensforscher haben sich mit den Persönlichkeitsstrukturen von vertrauensseligen und misstrauischen Menschen beschäftigt und haben Faktoren herausgefunden, die dafür bedeutsam sind, ob wir eher vertrauen oder nicht. Einer davon ist die Prosozialität. Prosozial ist, wer anderen Gutes will und tut. Der- oder diejenige wird meist als vertrauenswürdig wahrgenommen, vertraut aber auch selbst mehr.
Als zweiten Faktor hat man Risikobereitschaft sowie das Vergebenkönnen herausgefunden. Wer sich vor Verletzungen schützen möchte, vertraut weniger, geht somit weniger Risiko ein. Trotz Verletzung vergeben zu können und nicht auf Vergeltung zu setzen, hat auch mit Vertrauen zu tun. Da es keine Beziehung ohne Verletzung gibt, ist dieses sehr wichtig. Im Leben die Balance zu finden zwischen zu viel Vertrauen und zu wenig Vertrauen ist immer wieder eine lohnenswerte Herausforderung.
Den Artikel finden Sie auch in DIE PTA IN DER APOTHEKE 01/2022 auf Seite 12.
Professor Dr. Aglaja Stirn
ist Direktorin des Instituts für Sexualmedizin und Forensische Psychiatrie und Psychotherapie, Fachärztin für Psychosomatische Medizin, Gruppentherapie, Psychoanalyse und Sexualtherapie an der Universität Kiel, Zentrum für Integrative Psychiatrie ZIP. www.zip-kiel.de