Jemand wirft mit Schwung ein Tablettenfläschchen, einen Blister mit roten Dragees und einen abgeschnittenen Blister mit zwei Tabletten in einen Papierkorb.© komta/iStock/Getty Images Plus
Macht es einen Unterschied, ob man Antidepressiva ausschleicht oder abrupt absetzt?

Studien

ANTIDEPRESSIVA ABSETZEN: AUSSCHLEICHEN ODER NICHT?

Sie kennen es: Bei der Abgabe von Antidepressiva wird im Beratungsgespräch geraten, sie nicht abrupt abzusetzen, sondern langsam auszuschleichen. Doch warum eigentlich? Die Existenz der sogenannten Absetzsymptome wird in medizinischen Fachkreisen seit langem kontrovers diskutiert.

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Tatsache ist: Fast ein Drittel der Behandelten berichten über Probleme nach dem Absetzen ihrer Antidepressiva. Eine neue Übersichtsarbeit geht nun der Frage auf den Grund, wie häufgi und wie schwer diese Absetzsymptome sind.

In den neuen Therapieleitlinien findet sich der Hinweis, dass Absetzsymptome auftreten können. Auch darauf gehen die Autoren der Arbeit ein und klären, ob Ausschleichen sie wirklich verhindert.

Antidepressiva absetzen: Tatsächliche Beschwerden und Nocebo-Effekt

Dr. Jonathan Henssler von der Berliner Charité und Professor Dr. Christopher Baethge von der Universität Köln haben sich für ihre Übersichtsarbeit 44 randomisierte, kontrollierte Studien und 35 Beobachtungsstudien angesehen. Insgesamt umfassten die Analysen 21002 Patienten, von denen 16532 ein Antidepressivum und 4470 ein Placebo abgesetzt hatten. 72 Prozent der Teilnehmenden waren weiblich, das Durchschnittsalter lag bei 45 Jahren.

Nach dem Absetzen berichteten 31 Prozent der Studienteilnehmer in den Verumgruppen von Absetzsymptomen. Dazu zählen Schwindel, Kopfschmerzen, Übelkeit, Schlafstörungen und Reizbarkeit. Typischerweise beginnen die Reaktionen innerhalb weniger Tage nach dem Absetzen und können über Wochen bis Monate anhalten.

Auffällig: Auch in den Placebogruppen traten Absetzsymptome auf, und zwar bei 17 Prozent der Teilnehmer. Daraus folgern Henssler und Baethge, dass diese nur bei rund 15 Prozent der mit einem Antidepressivum behandelten Teilnehmer direkt durch den Wirkstoff ausgelöst wurden. Das Phänomen ist bekannt als Nocebo-Effekt.

Schwerwiegende Probleme nach Antidepressiva-Therapieende selten

Nur bei rund drei Prozent der Teilnehmer gab es schwerwiegende Probleme beim Absetzen. Vor allem die Wirkstoffe

scheinen das Risiko für schwere Symptome nach Therapieende zu erhöhen.

Allerdings verhindern die teils unterschiedlichen Methodiken der Studien und die dadurch schlechte Vergleichbarkeit konkrete wirkstoffspezifische Aussagen, so die Autoren. Auch fand sich teilweise pro Wirkstoff nur eine einzige Studie, und für häufig verordnete Substanzen wie Mirtazapin, Bupropion oder Amitriptylin gar keine geeigneten Daten. Die Autoren weisen außerdem darauf hin, dass es manchmal gar nicht so einfach ist, Absetzsymptome von einem Wiederauftritt der Depression zu unterscheiden.

Kein Unterschied zwischen Ausschleichen und abrupt Absetzen?

Ein überraschendes Teilergebnis war übrigens, dass es keinen Unterschied machte, ob die Wirkstoffe abrupt oder ausschleichend abgesetzt wurden. Allerdings, schränken die Forscher ein, könnten auch methodische Unterschiede zwischen den Studien dieses Ergebnis begünstigt haben.

Unterstützung nach der Therapie der Depression wichtig

Insgesamt kommt die Arbeit von Henssler und Baethge zu einem beruhigenden Urteil. Absetzsymptome sind seltener als befürchtet. Generell lässt sich sagen, dass nach dem Absetzen von Substanzen mit langer Halbwertszeit eher selten Probleme auftraten.

Trotzdem empfiehlt die nationale Versorgungsleitlinie prinzipiell das Ausschleichen über mindestens acht bis zwölf Wochen. Entscheidend sei, heißt es, „dass alle Patienten nach dem Einnahmestopp eines Antidepressivums professionell beraten, überwacht und unterstützt werden“.

Quellen:
https://www.pharmazeutische-zeitung.de/absetzen-kann-problematisch-sein-147815/
https://www.thelancet.com/journals/lanpsy/article/PIIS2215-0366(24)00133-0/fulltext
https://www.leitlinien.de/themen/depression/version-3

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