Ein rotes Blutkörperchen löst sich in Staub auf.© FlashMovie / iStock / Getty Images Plus
Bei der hämolytischen Anämie fehlt den Erythrozyten ein Enzym zur Energiegewinnung und sie werden vorzeitig abgebaut.

Mitapivat

ENERGIE FÜR ERYTHROZYTEN MIT ENZYMDEFEKT

Fehlt es dem Körper am Enzym Pyruvatkinase, baut er die roten Blutkörperchen vorzeitig ab. Blutarmut und weitere Beschwerden folgen. Die EMA prüft die Zulassung eines neuen Arzneistoffs. Der eröffnet Therapieoptionen – zumindest einem Teil der Betroffenen.

Seite 1/1 3 Minuten

Seite 1/1 3 Minuten

Einer von etwa 118 000 bis 313 000 Menschen hat einen diagnostizierten Pyruvatkinase-Mangel. Die Dunkelziffer könnte jedoch bei einer von 20 000 Personen liegen. Eine Genmutation löst diesen Enzymdefekt aus, der sich bei Neugeborenen oder schon während der Schwangerschaft zeigt. Manchen Betroffenen fehlt das Enzym völlig, bei anderen liegt es nur in geringerer Menge vor.

Pyruvatkinase macht in den roten Blutkörperchen aus Adenosindiphosphat (ADP) den Energieüberträger Adenosintriphosphat (ATP). Dr. Oliver Andres, Kinder-Hämatologe und Oberarzt in der Kinderklinik und Poliklinik am Universitätsklinikum Würzburg, erklärt, was mit den Erythrozyten passiert, wenn ihnen das Enzym und damit Energie fehlt: „Diese schwellen an, verändern ihre Struktur und können sich nicht mehr verformen, was jedoch wichtig für den Blutfluss in den kleinsten Gefäßen und die Sauerstoffabgabe an das Gewebe ist.“ Die Blutkörperchen haben auch nur eine kurze Lebensdauer, denn die Milz sortiert sie frühzeitig aus.

Hoher Leidensdruck und kaum Therapieoptionen bei Pyruvatkinase-Mangel

Dadurch kommt es zu einer Kombination aus Gelbsucht und Blutarmut, der hämolytischen Anämie. Der Körper lagert in der Folge übermäßig viel Eisen ein, um der Blutarmut entgegenzusteuern. Das Eisen wiederum belastet die Organe. Die Milz vergrößert sich, Osteoporose, Thrombosen, Gallensteine und andere Folgeerscheinungen sind möglich. Die Betroffenen sind nicht belastbar, chronisch erschöpft und müde.

Bislang lindern nur regelmäßige Bluttransfusionen die Beschwerden. Arzneimittel binden das überschüssige Eisen und schleusen es aus dem Körper aus. In schweren Fällen wird die Milz entfernt. Eine Stammzellentransplantation, um den Gendefekt ursächlich zu behandeln, ist theoretisch denkbar, laut Erythrozyten-Experte Andres aber zu riskant, um Standard zu werden. Ein neues Arzneimittel könnte die Therapielücke schließen.

ACTIVATE-Studie zu Mitapivat

„Unsere Patientinnen und Patienten haben geradezu dafür gebrannt, an der ACTIVATE-Studie teilzunehmen“, erzählt Andres, Co-Autor der Studie unter Leitung von Dr. Hanny Al-Samkari. Die internationale, randomisierte, doppelblinde, Placebo-kontrollierte Phase-III-Studie wurde im New England Journal of Medicine veröffentlicht. Sie zeigt: Mitapivat aktiviert die Pyruvatkinase.

Die Verum-Gruppe erhielt ein halbes Jahr lang oral Mitapivat. In den ersten zwölf Wochen optimierten die Forschenden die Dosis; die Proband*innen erhielten zweimal täglich 5, 20 oder 50 Milligramm. In den folgenden zwölf Wochen beobachtete das wissenschaftliche Team, wie sich die Lebensqualität im Vergleich zur Placebogruppe signifikant verbesserte: „Einige konnten wieder Fahrrad fahren oder sogar joggen“, berichtet Andres. Das messbare Ziel der Studie, ein Anstieg des Hämoglobinwerts um mindestens 1,5 Gramm pro Deziliter, erreichten 40 Prozent (16 Personen) der Verumproband*innen und niemand aus der Placebogruppe.

Die häufigsten Nebenwirkungen waren Übelkeit (Verum: 18%, Placebo 23%) und Kopfschmerzen (15% und 33%). Unerwünschte Ereignisse werden in Schweregrade aufgeteilt: Von Grad 1 (gering; asymptomatisch oder milde Symptome; nur diagnostische Beobachtungen) bis Grad 5 (Tod). Ab Grad 3 gelten sie als schwerwiegend, solche Nebenwirkungen kamen in der Mitapivat-Gruppe bei zehn, in der Placebogruppe bei fünf Personen vor.

Echte Hoffnung für Menschen mit Pyruvatkinasemangel

Andres schätzt ein: „Das klingt für Laien möglicherweise nicht so beeindruckend. Aber selbst, diejenigen, deren Wert „nur“ um einen Punkt stieg, haben enorm profitiert. Mit Mitapivat haben wir erstmals einen Wirkstoff bei hämatologischen Erkrankungen, der dort ansetzt, wo das Problem liegt.“

Mitapivat bindet an die Pyruvatkinase und steigert ihre Aktivität. Voraussetzung ist, dass das Enzym nur in seiner Struktur verändert ist und nicht vollständig fehlt, schränkt Andres ein. Das trifft aber bei den meisten Betroffenen zu: „Wir haben dies vor zwei Jahren in einer anderen großen internationalen Studie belegen können.“

Eine Studie an Kindern soll noch dieses Jahr starten. Die US-amerikanische Food and Drug Agency hat Mitapivat für Erwachsene bereits zugelassen, auch die Arzneimittelbehörde EMA prüft die Zulassung für die EU aktuell. Die Placebo-Proband*innen aus der ACTIVATE-Studie erhalten im Rahmen einer weiteren Studie nun Mitapivat, um Daten zu Wirksamkeit und Verträglichkeit zu generieren.

Quellen:
https://idw-online.de/de/news799161
Hanny Al-Samkari et al.: „Mitapivat versus Placebo for Pyruvate Kinase Deficiency“, The New England Journal of Medicine, 14. April 2022. https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa2116634
https://www.krebsregister-bw.de/fileadmin/user_upload/CTCAE_4.03_deutsch_20190130_KLR.pdf

×